
Schulz-Abschied aus Brüssel Schade, aber richtig


EU-Parlamentspräsident Martin Schulz
Foto: YVES HERMAN/ REUTERSNun also doch. Martin Schulz verlässt Brüssel und wechselt in die Bundespolitik. Der Mann, der das europäische Parlament mit viel Raffinesse so mächtig gemacht hat wie nie zuvor, kehrt der EU den Rücken und tritt nicht mehr für den Posten als Parlamentspräsident an. So, wie er es vor Beginn seiner letzten Amtszeit versprochen hat, so, wie er es seit Monaten mit aller Kraft vermeiden wollte.
Die Entscheidung ist richtig, auch wenn sie das Parlament als Ort europäischer Demokratie zumindest vordergründig schwächt. Anders als in Deutschland ist in Brüssel viel im Fluss, wenn es darum geht, wie die Macht zwischen den Institutionen, zwischen Parlament, Kommission und Rat, verteilt ist. Europas Parlamentspräsident ist daher auch immer oberster Boxer für sein Haus, wenn man so will, eine Art oberster Verteidiger der Demokratie in der EU.

Martin Schulz: Vom Fußball in die Politik
Martin Schulz war wie gemacht für diese Rolle. Wollten ihn die Staats- und Regierungschefs nicht beim Krisengipfel in Bratislava dabei haben oder übergingen sie ihn schnöde bei den Ceta-Verhandlungen - was soll's, lud sich Schulz eben selbst ein. Egal, welcher der Nachfolger, die für ihn im Gespräch sind, nun zum Zuge kommt - diese Chuzpe besitzt keiner.
Europa wird um einen kantigen Politiker ärmer, einen, der die Bürger von der europäischen Idee begeistern konnte, der herausragte aus der zumeist blassen Beamtenriege, die die Geschicke der EU in Brüssel so oft bestimmt.
Und dennoch: Schulz' Entscheidung, den monatelangen Machtkampf um seinen Verbleib in Brüssel zu beenden, war überfällig.
Gegen Martin Schulz' Kampagne für Martin Schulz wirkte "House of Cards" wie ein Mikadospiel von Laiendarstellern. Schulz' Drehbuch hätte auch für einen Politthriller getaugt, Kommissionschef Jean-Claude Juncker musste sich auf seine Seite werfen, Staatsoberhäupter und Regierungschefs bearbeitete Schulz genauso höchstpersönlich wie den letzten Hinterbänkler. Die Zukunft des SPD-Mannes beschäftigte mehrere europäische Hauptstädte gleichzeitig, kein Parlamentarier von Rang und Namen konnte einem Termin in der noblen Präsidentenetage im neunten Stock des Brüsseler Parlamentsbau entkommen.
Doch trotz aller Bewunderung für die machiavellistische Finesse - Schulz' Feldzug für sich selbst hatte das Zeug, der EU zu schaden.
Ende der Ein-Mann-Show Martin Schulz
Schulz drohte, genau die Errungenschaften zu beschädigen, für die er sich in Europa immer stark gemacht hat. Statt einer transparenten Nachfolgeentscheidung im Parlament wollten er und Kommissionschef Juncker eine weitere Amtszeit im kleinen Kreis ausklüngeln. Doch eine Entscheidung nach dem Vorbild der Auswahl Frank-Walter Steinmeiers als Bundespräsident wäre genau das Falsche für Europa gewesen. Es wäre ein Erfolg genau jener Hinterzimmerpolitik, nach der in Europa noch immer zu viel entschieden wird, und die Schulz - zu Recht - immer gegeißelt hat.
Noch in dieser Woche bearbeitete Juncker prominente CDU-Leute für die Sache seines Freundes. Seine Argumente waren die gleichen wie immer: Stabilität in der Krise erfordere einen bewährten Mann an der Spitze. Nachdem die Bürger den Eliten die rote Karte gezeigt haben, beim Brexit-Votum in Großbritannien genauso wie bei der Wahl Donald Trumps in den USA, sei Kontinuität angesagt. Aber das ist genau der falsche Schluss aus dem Populistenerdbeben auf beiden Seiten des Atlantik.
Denn was ist Europa wert, vor allem dieses Plus an Demokratie, das Juncker und Schulz als Spitzenkandidaten für das Europäische Parlament bei der vergangenen Europawahl herausgeschlagen haben, wenn es am Ende nur an einem Mann hängt? Indem sie Schulz als alternativlos hinstellten, schwächten Schulz und Juncker ihre eigene Errungenschaft - die sogenannte große Koalition im Brüsseler Parlament. Jetzt kann sich - ohne Schulz - zeigen, ob das Modell tragfähig ist.
Vielleicht erfährt der geneigte deutsche Zuschauer bei "heute journal" und "Tagesthemen" nun sogar, dass im Europäischen Parlament neben Martin Schulz noch andere Sozialdemokraten sitzen. Kritiker des Spitzenkandiatenmodells, zu denen nicht zuletzt die deutsche Kanzlerin zählt, könnte das mehr überzeugen als weitere zweieinhalb Jahre der Ein-Mann-Show Martin Schulz.
Schulz hat Europa viele Dienste erwiesen. Dass er seine Kampagne um den Posten des Parlamentspräsidenten nun einstellt, ist nicht der geringste davon.
Wofür steht Martin Schulz? Ein Videoporträt in Zitaten: