
TV-Duell Der brave Herr Schulz


So wird man nicht Kanzler. Im TV-Duell hat Martin Schulz nicht gekämpft.
Aber kampflos kommt man nicht ins Kanzleramt. Schulz hat Angela Merkel einfach in Ruhe gelassen. Und mehr als Ruhe braucht sie nicht, um im Amt zu bleiben. Schulz hätte ein Ruhestörer sein müssen. Einer, der im Studio und im Land Lärm macht. Der für Aufregung sorgt. Der Aufbruch ruft. Der die Wähler weckt. Und die Lust an der Demokratie. Der Mut macht, wo Furcht ist. An diesem Abend war Martin Schulz kein solcher Mann. Vielleicht ist er es nicht.
Für die Kanzlerin lief es prächtig. Das war nicht ihr Verdienst. Merkel wirkte müde und lispelte sich lustlos durch den Abend. Der einzige Hinweis darauf, dass auch für das alte Schlachtross ein solches Duell mehr ist als ein stoischer Pflichttermin, waren ihre Ohren, die nach einer Stunde rot leuchteten. Aber Merkel machte keinen Fehler. Für sie genügt das. Für Schulz nicht.
Wenn man keine Chance hat, muss man sie nutzen. Vor diesem Abend standen die Umfragen für den Kandidaten der SPD schlecht. Nur eine Minderheit traute ihm den Wahlsieg zu. Aber viele Wähler hatten angegeben, noch unentschlossen zu sein. Es hätte Martin Schulz gelingen müssen, diese Unentschlossenen umzustimmen. Und er kündigte zu Beginn der Debatte an, genau das sei sein Ziel. Aber dann tat er es nicht. Warum nur? Martin Schulz hatte eine Chance - aber er hat sie nicht genutzt.
Der Wahlkampf heißt nicht umsonst so
Kanzler werden in Deutschland nicht gewählt - sie werden abgewählt. Die Aufgabe des Herausforderers besteht darin, den Amtsinhaber als ablösungsreif zu entlarven. Der Kandidat steckt da in einer Zwickmühle.
Angriff kann auch Angst verbreiten. Aggressivität verzerrt die Züge. Wer mag einen Streithansel? Und dann noch das Geschlechterproblem: ein Mann, der auf eine Frau eindrischt, und sei es nur verbal, steht auf verlorenem Posten.
Andererseits - wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und wer nicht den Eindruck macht, dass er das Amt will, wird es nicht bekommen. Es sollte ein Duell sein, kein Duett. Und der Wahlkampf heißt nicht umsonst so.
Wer ist noch mal der nette Herr mit Brille und Bart? Der will Kanzler werden? Warum das denn?
Als Martin Schulz zu Beginn des Jahres Kanzlerkandidat wurde, begeisterte er die Menschen mit einem Wort: Respekt. Für die arbeitenden Menschen. Für ihre Leistung. Respekt in einer Gesellschaft, die zunehmend ungleicher und ungerechter wird. Diese Ungleichheit, diese Ungerechtigkeit, das sind die Themen mit denen Schulz in den Wahlkampf zog - aber in diesem Duell kamen sie kurz oder gar nicht vor.
Merkels Schlusswort vom "sozial gerechten Land, wo Zusammenhalt gilt" war da wie ein Hohn. Welches Land meinte sie? Das Deutschland, dessen Kanzlerin sie ist, kann es nicht gewesen sein. Denn Merkels Deutschland ist kein Land des Zusammenhalts, sondern eines der Spaltung. Es ist ja ein moderner Mythos, dass Merkel eine irgendwie sozialdemokratische Kanzlerin sei, dass sie ihre Partei auf links gedreht habe, dass sie dadurch der SPD die Existenzgrundlage nehme. Nichts davon ist wahr.
Ungleichheit und Ungerechtigkeit haben in Merkels Deutschland zugenommen. Abgenommen hat nur die Bereitschaft der Wähler, das zu erkennen - und die der Journalisten, das zu benennen.
Kaum andere Themen als Muslime und Migranten
An diesem Abend taten die anwesenden Journalisten im Gegenteil alles, um den Vorwurf zu kontern, die deutschen Medien seien "links-grün" versifft. Dauernd ging es um Muslime und Migranten, Ausländer und Flüchtlinge, Menschenhändler und Gefährder - Millionen Fernsehzuschauer mussten den Eindruck gewinnen, der ganze Wahlkampf drehe sich um nichts anderes. Zwischendurch hatte man den Eindruck, es gehe überhaupt nur um die Befähigung zum Abschieben. So machten die Moderatoren die AfD zum Gewinner des Abends.
In diesem Wahlkampf, der bisher keiner war, hatte das ganze Land auf dieses TV-Duell gewartet. Es sollte die Bewegung bringen, die vorher vermisst worden war. Das ist ein zu hoher Anspruch für einen Abend. Und dass es nur ein Abend sein durfte, lag ja an der Kanzlerin und ihren Leuten, die unnötige Risiken nicht eingehen wollten. In 97 Minuten alle Themen des Wahlkampfs abzuhandeln, inklusive 60 Sekunden Schlusswort für jeden - das war absurd. Im Studio herrschte noch dazu ein kumpelhaft-freundlicher Ton der publizistisch-politischen Verbrüderung, der einem die Schamröte ins Gesicht treiben konnte. Diese Journalisten haben sich verhalten, als seien sie Merkels Angestellte. Sie sollen aber ihre Kontrolleure sein.
Aber es hilft weder Schulz noch der SPD die Verantwortung auf das Format oder die Moderatoren abzuschieben. Schulz hätte seine Themen durchdrücken müssen, gegen die Kanzlerin, gegen die Moderation, gegen das Format. Er hätte die Sendung zu seiner Sendung machen müssen.
Stattdessen war er ganz brav.
Die braven Jungs kommen vielleicht in den Himmel, aber sicher nicht ins Kanzleramt.