Reformpapier Schulz rechnet mit eigenem Wahlkampf ab

Martin Schulz
Foto: Sebastian Willnow/ dpaNach dem Debakel bei der Bundestagswahl drängt SPD-Chef Martin Schulz auf eine umfassende Reform seiner Partei und eine deutlich stärkere Mitbestimmung von Mitgliedern in Personalfragen. Im Entwurf des Leitantrags für den Parteitag im Dezember heißt es, die SPD werde "die Beteiligung der Mitglieder bei Personalentscheidungen auf Bundesebene ermöglichen". Ziel sei es, spätestens 2019 über den SPD-Vorsitz per Urwahl abstimmen zu lassen, hieß es in Parteikreisen. Schulz wolle eine Änderung des Parteistatuts anregen. Möglich ist eine Urwahl bislang nur in der Frage der Kanzlerkandidatur.
Mit dem Papier, das dem SPIEGEL vorliegt und das Schulz am Montag dem SPD-Präsidium vorstellen will, versucht der Parteichef auch aus der Defensive zu kommen und den Genossen eine Vorstellung davon zu geben, was ihm beim Erneuerungsprozess vorschwebt. Seit Wochen gibt es unter führenden Sozialdemokraten Gemurre über Kurs und Personalmanagement des Ex-Kanzlerkandidaten.
Zuletzt hatte Olaf Scholz mit einem Papier für Aufsehen gesorgt. Darin hatte der SPD-Vize seiner Partei vorgeworfen, den Ernst der Lage zu verkennen. Der Vorstoß war allgemein auch als indirekte Kritik am SPD-Chef interpretiert worden. An der Basis ist Schulz noch immer beliebt. Seine Urwahl-Idee ist daher auch als Botschaft an seine Gegner zu verstehen, keine Manöver hinter verschlossenen Türen zu starten, sondern sich im Zweifel offen dem Wettbewerb zu stellen.
Überraschend hart geht Schulz in dem Papier mit seinem eigenen Wahlkampf ins Gericht. "Nicht die Medien, nicht die Demoskopen und auch nicht die politischen Gegner sind schuld an unserer Wahlniederlage", heißt es. "Der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren." Vielen Wählern sei ingesamt nicht klar gewesen, wofür die Partei stehe.
Zudem sei es nicht gelungen, die Kampagne thematisch zuzuspitzen. Stattdessen habe die SPD zu viele unterschiedliche Botschaften setzen wollen. Am Ende hätten viele Wähler den Eindruck gehabt, "die SPD treibe jeden Tag eine 'neue Sau durch das Dorf'". Besonders beim Thema Innovation und Wirtschaft sei der Partei "deutlich zu wenig" zugetraut worden. Die düstere Analyse seiner Kampagne dürfte auch ein Zugeständnis an seiner Kritiker sein, die bemängeln, er würde für die Niederlage nicht genügend Verantwortung übernehmen.
Das Ergebnis, so Schulz, sei auch die Folge der "Sprunghaftigkeit bei wichtigen Themen in den letzten Jahren". Auf dem Spiel steht aus Sicht des Parteichefs nun nicht weniger als der Status der Sozialdemokratie als Volkspartei. Zwar besitze man Lösungsansätze für fast alle Politikbereiche, es mangele jedoch an einer übergeordneten programmatischen Klammer. "Eine verständliche Erzählung, wo wir mit dem Land hinwollen, fehlt - und damit eine wesentliche Voraussetzung für echte Zukunftskompetenz."
Streit ist ausdrücklich erwünscht
Schulz' Papier ist weder revolutionär noch ist es ein fertiges Konzept für den Wiederaufbau der SPD, es enthält allerdings etliche Anhaltspunkte, wohin der Weg seiner Meinung nach gehen muss - auch jenseits des Urwahlvorschlags.
Erkennbar ist Schulz' Vorhaben, die SPD künftig wieder deutlich kapitalismuskritischer aufzustellen. "Zu lange haben die Sozialdemokraten Europa den Marktradikalen und Konservativen überlassen", heißt es in dem Papier. "Der ungebändigte Neoliberalismus hat nicht nur weltweit, sondern auch mitten in Europa zu eklatanten Fehlentwicklungen geführt. Deshalb muss die SPD den Mut haben, ihre eigene Politik der letzten 20 Jahre zu hinterfragen." Sie dürfe dabei auch nicht davor zurückschrecken, "grundsätzliche Fragen zu stellen und Widersprüche unserer Wirtschaftsordnung zu problematisieren".
Streit ist nach den Vorstellungen des Parteichefs ausdrücklich erwünscht: "Vielleicht haben wir uns auch in den letzten Jahren zu sehr hinter dem Ziel versammelt, möglichst geschlossen zu sein. Darum wirkt die Partei von außen oft zu starr und autoritär."
Schulz identifiziert vier Kerngebiete, die für die Neuausrichtung der SPD entscheidend seien: Die Europapolitik, die Digitalisierung, Integration und Chancengleichheit. Die Haltung der Partei zu diesen Fragen will Schulz in innerparteilichen Foren unter der Überschrift "Kompass2018-Prozess" klären lassen - ein Format, das freilich nicht völlig neu ist. Auch Ex-Parteichef Sigmar Gabriel setzte nach der schweren Wahlniederlage 2009 darauf, inhaltliche Standpunkte im Rahmen von so genannten Zukunftswerkstätten zu erarbeiten. Die Idee wurde damals von vielen Sozialdemokraten als Beschäftigungstherapie belächelt. Schulz drängt aufs Tempo. Er will, dass die Foren bis Ende kommenden Jahres Ergebnisse produzieren.
Fokus auf Ostdeutschland
Konkret wird Schulz besonders dort, wo die Organisation der Partei betroffen ist. So sollen die Mitglieder sich künftig über eine zentrale App leichter vernetzen können. Zudem sollen sie sich digital an Themenplattformen beteiligen können. Schulz will auch eine Mitgliederbefragung starten, um die Erwartungen der Basis aufzunehmen. Auf zwei Konventen im Jahr 2018 und 2019 sollen die Ergebnisse in konkrete Maßnahmen gegossen werden.
Ein großes Augenmerk will Schulz offenbar auf den Osten Deutschlands richten, wo die SPD bei der Wahl besonders schlecht abschnitt. Beabsichtigt ist, dafür eine neue Position des "Ostbeauftragten" zu schaffen, der gemeinsam mit dem Generalsekretär ein "Zukunftsprogramm Ost" entwickeln soll. Zudem will Schulz eine eigene Dialogreihe in jenen Gebieten starten, in denen die Rechtspopulisten von der AfD besonders starke Ergebnisse erzielten.
Das Papier soll zunächst vom Präsidium diskutiert und dann in zwei Wochen vom Parteivorstand beschlossen werden.