Medien-Experte Gäbler "Deutlicher Fortschritt gegenüber dem ersten Duell"
SPIEGEL ONLINE:
Nach dem ersten TV-Duell vor 14 Tagen hagelte es Kritik zu straffe Formen, zu wenig Diskussion über Inhalte. Vergeben Sie diesmal wenigstens einen Trostpreis?
Gäbler: Es war wieder nicht sensationell. Mir fehlten auch diesmal die Fragen nach dem Grundsätzlichen. Zum Beispiel: Welche Rahmenbedingungen kann Politik überhaupt noch selbst bestimmen? Aber es war ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem ersten TV-Duell zu erkennen. Man merkte es auch daran, dass solche Nebensächlichkeiten wie das Zeitkonto der beiden Kandidaten keine Rolle mehr gespielt haben. Ich denke, das Gespräch hat gebracht, was auch sonst politische Gesprächsrunden im Fernsehen bringen.
SPIEGEL ONLINE: Sie finden das TV-Duell überflüssig?
Gäbler: Das Duell ist eine Zuspitzung des Wahlkampfes und bietet die Chance, Leute zu erreichen, die sonst eher politisch desinteressiert sind. Diese Chance wurde auch diesmal nicht ausreichend genutzt.
SPIEGEL ONLINE: Haben es die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF denn besser gemacht als die Privaten?
Gäbler: Es lag nicht an den öffentlich-rechtlichen Sendern, es lag an den Persönlichkeiten der beiden Journalistinnen. Es hat sich bewährt, dass Sabine Christiansen und Maybrit Illner Erfahrungen mit politischen Gesprächsrunden haben. Beide haben energischer nachgefragt, vor allem Maybrit Illner. Ich glaube aber auch, dass sie aus dem ersten Duell vor 14 Tagen etwas gelernt haben. Beim ersten Mal erstickte die Form die Inhalte. Dieses Überformalisierte wurde etwas zurückgedrängt. Die Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten wurden deutlicher.
SPIEGEL ONLINE: Die Medien sind selbst Teil der Inszenierung. Werden Sie ihrer Rolle damit noch gerecht?
Gäbler: Wir können eine Schwäche der Parteien und der Parlamente konstatieren, die sich darin ausdrückt, dass sie ihre eigentliche Rolle, die Kontrolle der Regierenden, nicht mehr wahrnehmen. Wenn die Medien ein solches Vakuum erkennen, stoßen sie hinein und versuchen es auszufüllen. Das ist nicht verwerflich. Problematisch wird es, wenn es eine solch personalisierte Form annimmt wie dieses Duell. Der Anspruch, den eine Parteiendemokratie stellt, wird schwerer durchsetzbar.
SPIEGEL ONLINE: Drohen amerikanische Verhältnisse im Wahlkampf?
Gäbler: Die gab es schon bei Willy Brandt, der im Wahlkampf mit einem weißen Mercedes herumfuhr. Brandts Berater hatten Kennedy wirklich studiert. Auch Konrad Adenauers Wahlkampf war personifiziert. Insofern ist das nichts Neues. Man muss allerdings heute die Sorge haben, dass die Personen für nichts mehr stehen. Diese Tendenz gibt es. Und kleinere Parteien müssen sich sorgen, dass sie schlechter wegkommen.
SPIEGEL ONLINE: Mehr als 15 Millionen Menschen haben zugesehen. Sender schielen auf die Quote. Hat sich das Duell durch das große Interesse bereits etabliert?
Gäbler: Es hat sich sicher etabliert, aber man kann nicht sagen, dass es in jedem Wahlkampf ein Duell geben wird. Der hessische Ministerpräsident Koch hat für die kommenden Landtagswahlen ein TV-Duell bereits abgelehnt. Aber bei den Bundestagswahlen muss ein Kanzler bereit sein, sich seinem Herausforderer in einem Duell zu stellen.
SPIEGEL ONLINE: Welcher Kanzler kann jetzt noch "nein" sagen?
Gäbler: Der Druck wird natürlich größer. Insofern wird das TV-Duell Auswirkungen darauf haben, wie Wahlkämpfe in Zukunft angelegt werden. Sie werden noch mehr auf die Spitzenspieler ausgerichtet sein und weniger in die Tiefe gehen. Und es wird noch mehr Fernsehen geben.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben mit anderen Medien- und Politikwissenschaftlern eine "Kommission der Kanzlerdebatten" ins Leben gerufen, um TV-Duelle kritisch zu begleiten. Misstrauen Sie den Medien?
Gäbler: In einem TV-Duell liegen Chancen für die politische Meinungsbildung. Diese Chancen, sollte man nicht allein den Parteien und den Sendern überlassen. Ich habe die Hoffnung, dass nach diesem Duell der Reiz des Neuen verfliegt und man in der Nachbearbeitung weniger auf Formen, sondern stärker auf Inhalte eingeht. Ob wir als Kommission das machen oder andere, ist zweitrangig.
Das Interview führte Marcus Schymiczek.