Menschenrechtspolitik Die gefährliche neue Feigheit der SPD
Berlin - Eigentlich müsste die SPD ihrer Entwicklungshilfeministerin dankbar sein. Kurz bevor der Dalai Lama Deutschland wieder verlässt, wird immerhin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Oberhaupt der Tibeter in Berlin treffen. Sonst hätte der 73-Jährige auf seiner viertägigen Tournee durchs Land fast ausschließlich Unionspolitiker getroffen.
Stattdessen erntet die Ministerin heftige Kritik: "Wir haben eine China-Politik des Außenministers, die sich an langen Linien orientiert und die Stabilität Chinas im Auge hat", sagt SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow. Der Verteidigungsexperte Jörn Thießen sekundiert und spricht von einem "schweren Fehler der deutschen Außenpolitik".
Natürlich werden hier auch parteipolitische Flügelkämpfe ausgetragen - Wieczorek-Zeul gehört dem linken Lager an. Die Schelte zeigt aber auch, in welcher Zwangslage sich die SPD befindet. Weil sie ihren Spitzenmann Frank-Walter Steinmeier, der vielleicht eines Tages Kanzlerkandidat wird, nicht beschädigen will, hält sie weitgehend still. Es ist kein Geheimnis, dass der SPD-Vizechef nicht viel von symbolischer Menschenrechtspolitik hält. Im Herbst reagierte er verärgert auf den Empfang, den Angela Merkel dem Dalai Lama im Kanzleramt bereitete. Auf dem SPD-Parteitag in Hamburg sprach er von einer "Schaufensterpolitik" - die Kritik galt der Kanzlerin.
Es ist immer so, dass Kanzleramt und Außenministerium auf dem Felde der Außenpolitik konkurrieren. Doch Merkel hat der Außenpolitik etwas zurückgegeben, was eigentlich Rot-Grün für sich beanspruchte: Sichtbare Zeichen zu setzen - neben der stillen Diplomatie.
Hat das Treffen der Kanzlerin mit dem Oberhaupt eines Volkes, das von China politisch und kulturell dominiert wird, wirklich geschadet? Es gab kurzzeitige Dissonanzen in den deutsch-chinesischen Beziehungen, doch die sind überwunden. Die chinesische Führung weiß, dass mit Merkel eine Frau im Kanzleramt sitzt, die eigene Erfahrungen mit dem Leben in einem autoritären Regime gemacht hat. Westliche Politiker haben Vergleichbares nie erlebt.
Auch unter Rot-Grün wurde Symbolik vermisst
Mag sein, dass westdeutsche Ministerpräsidenten wie Roland Koch und Jürgen Rüttgers ihre Zusammentreffen mit dem Dalai Lama auch unter taktischen Gesichtspunkten sehen. Doch als Partei zum Schutze von Minderheiten und zur Wahrung der Menschenrechte will auch die deutsche Sozialdemokratie wahrgenommen werden. Nur, dass die Öffentlichkeit es kaum noch merkt. Schon unter Rot-Grün fehlten selbst minimale symbolische Gesten - ein krasser Widerspruch zu der oft selbstgefälligen Pose, die SPD und Grüne zu Oppositionszeiten gepflegt hatten.
Merkel hat die Symbolik in der Menschenrechtspolitik wieder eingeführt. Auch mit Kalkül, das darf man ihr getrost unterstellen. Falsch wird ihre Politik dadurch nicht. In Moskau traf sie sich mit Bürgerrechtlern, in China bei ihrem Antrittsbesuch mit dem katholischen Bischof von Shanghai. Das sind nur Signale. Sie mögen hierzulande kaum eine Rolle spielen. Für die Betroffenen vor Ort, für die Menschenrechtsaktivisten Russlands oder die Christen in der Volksrepublik, sind es Zeichen der Solidarität.
Eine irrlichternde SPD
Die SPD bietet dagegen ein Bild der Verzagtheit. Sie überlässt der Union ganze Politikfelder - von der Familienpolitik bis hin zu den Menschenrechten. Sie irrlichtert, weil ihr ein steuerndes Machtzentrum fehlt. Nun erscheint sie auch noch außenpolitisch konfus. Der Besuch des Dalai Lama war schließlich lange bekannt. Was hätte es geschadet, schon im Voraus wenigstens ein Treffen eines hochrangigen Parteivertreters mit ihm zu arrangieren, ohne in den Verdacht zu geraten, damit Steinmeiers Außenpolitik zu beschädigen?
So aber wirkt auch Wieczorek-Zeuls Termin dahinimprovisiert, sie scheint getrieben von einer Union, deren Repräsentanten die schönen Bilder mit dem Dalai Lama einsammeln dürfen. Immerhin ist der Tibeter einer der beliebtesten Religionsführer hierzulande - doch auch das scheint in der SPD niemanden zu interessieren, selbst unter wahlstrategischen Gesichtspunkten nicht. Menschenrechte bei der SPD? Kein Anschluss unter dieser Nummer, könnte es eines Tages heißen. Das aber hieße, der Tradition der ältesten Partei Hohn zu sprechen.
Seit 2005 hat es die SPD nicht geschafft, sich aus der Denkschule Gerhard Schröders zu verabschieden. Als Gasprom-Vertreter redet er heute die Menschenrechtsverstöße in Russland klein und schön. Es ist jene Realpolitik, die Altkanzler Helmut Schmidt gerne in seinen Interviews pflegt, und die ihr schon früher nicht gut bekam. Auch vor dem Fall der Mauer pflegte die SPD lieber den Dialog mit den Mächtigen in der DDR statt mit den Bürgerrechtlern - bis auf wenige rühmliche Ausnahmen.
Als der schöne Schein der Stabilität im Osten zusammenbrach, waren die Sozialdemokraten sprachlos. Geschichte rächt sich manchmal. Heute muss die SPD mit einer Ostdeutschen im Kanzleramt auskommen.