Merkel-Kritik an Schuldensündern Alarm im Club Med

"Beschämend, billig, absurd" - die Empörung über Angela Merkels deutliche Kritik an Renten- und Urlaubsregeln in Südeuropa ist groß. Die Kanzlerin sieht keinen Grund für Reue. Doch in den gescholtenen Schuldenstaaten Griechenland, Spanien und Portugal dürften ihre Worte noch für Ärger sorgen.
Kanzlerin Merkel, Griechenlands Premier Papandreou (im Dez. 2010): Zu viel Urlaub?

Kanzlerin Merkel, Griechenlands Premier Papandreou (im Dez. 2010): Zu viel Urlaub?

Foto: YVES HERMAN/ REUTERS

Berlin - Eigentlich sollte es der Tag des Thomas de Maizière werden. Kabinett, Kaserne, Pressekonferenz - flächendeckend präsentierte der Verteidigungsminister am Mittwoch die Grundzüge seiner Bundeswehrreform. Ungeteilte Aufmerksamkeit, so hatte es die Bundesregierung geplant, sollte das Mega-Projekt bekommen.

Doch ausgerechnet die Kanzlerin störte dabei.

Mit markigen Worten über die krisengeplagten Schuldenstaaten der Euro-Zone sorgte Angela Merkel dafür, dass die Pläne für die Neuausrichtung der Truppe nicht mehr im Mittelpunkt standen. Stattdessen muss der Regierungssprecher die Kanzlerin gegen empörte Angriffe aus der Opposition verteidigen.

Die Vorwürfe sind deftig: SPD-Chef Sigmar Gabriel unterstellt ihr, "antieuropäische Ressentiments" zu schüren, Grünen-Kollege Cem Özdemir lästert über "Marktplatzsprüche", Linken-Chef Klaus Ernst erkennt "Politik unterhalb des Stammtischniveaus". SPD-Europapolitiker Martin Schulz tadelt Merkels Worte als "maßlos" und befürchtet sogar "Schaden für Deutschland und die Europäische Union".

Viel Ärger also wegen eines Auftritts in der Provinz. Am Dienstagabend besucht die CDU-Chefin das Frühlingsfest des Parteikreisverbandes Hochsauerland im Städtchen Meschede. Merkel hat eine alte Schuld zu begleichen, eigentlich wollte sie schon im vergangenen Jahr kommen, um Jürgen Rüttgers im Wahlkampf zu helfen, aber ein kaputter Regierungsjet kam dazwischen. Nun ist sie da, dazu 1500 Fans auf dem Kaiser-Otto-Platz in der Fußgängerzone.

Merkel spricht über Europa, über den Euro, sie verteidigt die Milliardenstützen für die krisengeschüttelten Euro-Staaten. Und sie verlangt Gegenleistungen. "Es geht auch darum", wird Merkel von der Nachrichtenagentur dpa zitiert, "dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen - das ist wichtig." Und wenn sie schon einmal in Fahrt ist: "Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig."

Faule Südeuropäer?

Merkel fordert die Pleitekandidaten des Kontinents nicht zum ersten Mal auf, sich im Gegenzug für die Hilfen ins Zeug zu legen. Aber solche deutlichen Worte hat man von ihr noch nicht gehört. Zu früh in Rente? Zu viel Urlaub? Da lässt sich schon ohne bösen Willen die Botschaft herauslesen: Die Menschen in den Mittelmeerstaaten, gern auch mal als Club Med bezeichnet, arbeiten nicht genug. Mit bösem Willen könnte jemand der Kanzlerin auch unterstellen, sie habe sagen wollen: Die sind faul.

Nun mag es sein, dass das Klischee-Bild vom frühverrenteten Südeuropäer, der es sich auf einer schattigen Café-Terrasse gut gehen lässt, auf den Marktplätzen von Meschede und anderswo in der Republik gut ankommt. Denn die Bereitschaft ist bei vielen Bürgern wenig ausgeprägt, deutsches Steuergeld in notleidende EU-Mitgliedstaaten zu pumpen, die es in der Vergangenheit mit der Haushaltsdisziplin nicht so genau nahmen. Merkel gehörte zwar auch nie zu jenen, die den Rettungsaktionen schnell ihren Segen gab. Doch dass die Kanzlerin nun den Populismus bedient, ist neu.

Möglich, dass Merkel sich wieder einmal schlicht in ihren eigenen Formulierungen verirrt hat, so wie ihr das immer wieder mal passiert. Zuletzt rutschte ihr heraus, dass sie sich über die Tötung von Terrorchef Osama Bin Laden gefreut habe - eine scharfe Debatte über ihre Wortwahl war die Folge. Vielleicht wollte die CDU-Chefin auch nur ein Signal an die eigenen Reihen geben, dass es neue Rettungspakete für Griechenland und Portugal nicht zum Nulltarif gibt. Schließlich folgen viele Abgeordnete in der Koalition dem Euro-Kurs der Kanzlerin zunehmend widerwillig.

Merkel lässt auf Euro-Pakt verweisen

Fest steht aber: Für das Gemeinschaftsgefühl in der EU sind Merkels markige Worte alles andere als förderlich. Auf den Online-Seiten der großen Tageszeitungen in Griechenland, Spanien und Portugal sind die Äußerungen der Kanzlerin am Mittwoch ein großes Thema. Im Forum des wichtigsten spanischen Blattes "El Paìs" gibt es zahllose Einträge wütender Leser, die Merkel beschimpfen. Der Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CGTP, Manuel Carvalho da Silva, wettert: "Das ist Kolonialismus pur", der "jegliche Solidarität" vermissen lasse. Diplomatischer fiel die erste Reaktion aus Spaniens Regierung aus. In Madrid erklärt der spanische Wirtschaftsstaatssekretär José Manuel Campa, die Homogenisierung der europäischen Arbeitsmärkte sei zwar zu begrüßen. Aber, lässt er Berlin wissen, das bedeute keine "strikte Konvergenz" bei Arbeitszeiten und Renten.

Da hilft es auch wenig, wenn Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans erklärt, Merkel habe mit ihrem Appell an die Schuldensünder nur die geltende Beschlusslage der EU-Staats-und Regierungschefs wiedergegeben. Er verweist auf den Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, mit dem die Europäer ihre Wirtschaftspolitik künftig stärker koordinieren wollen. Dazu zähle auch die Angleichung der Rentensysteme an die jeweilige demografische Lage. "Das ist kein Populismus, das ist ernsthaft", sagt Steegmans.

Allerdings lohnt es sich auch, ernsthaft einen Blick auf die nackten Zahlen zu werfen: Laut Statistischem Amt der EU liegt Deutschland beim tatsächlichen Eintrittsalter (Stand 2009) zwar mit einem Durchschnittswert von 62,2 Jahren vor Griechenland mit 61,5 - aber hinter Portugal mit 62,6 und Spanien mit 62,3 Jahren. Zudem hat das griechische Parlament bereits beschlossen, das gesetzliche Rentenalter auf 65 heraufzusetzen. Berücksichtigt man nur das Durchschnittsalter der Männer, gehen Deutsche laut OECD sogar etwas früher in Rente als Griechen - und gut fünf Jahre früher als Portugiesen..

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