Kanzleramt übernimmt Merkel macht Flüchtlingshilfe zur Chefsache

Seit Wochen herrscht Chaos in der Flüchtlingsfrage, nun hat Angela Merkel genug. Die Gesamtkoordination soll nach Informationen von SPIEGEL ONLINE im Kanzleramt gebündelt werden. Eine Ohrfeige für den Innenminister.
Innenminister de Maizière, Kanzlerin Merkel: Immer häufiger aneinandergeraten

Innenminister de Maizière, Kanzlerin Merkel: Immer häufiger aneinandergeraten

Foto: Michael Sohn/ AP/dpa

Die Bundesregierung will die Organisation der Flüchtlingskrise deutlich straffen und die politische Leitung für alle Maßnahmen direkt im Kanzleramt von Angela Merkel ansiedeln.

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wird das Bundeskabinett dazu am Mittwoch ein neues "Konzept zur Koordinierung der Flüchtlingshilfe" beschließen. Das Papier benennt Peter Altmaier, den Chef des Bundeskanzleramts, als zentralen Ansprechpartner für die "politische Gesamtkoordinierung aller "Aspekte der aktuellen Flüchtlingslage".

Mit diesem Konzept zieht das Kanzleramt nach teilweise heftigem Streit zwischen den beteiligten Ministerien und den Ländern die Krisenbewältigung endgültig an sich. Mit Staatsminister Helge Braun soll Kanzleramtschef Altmaier eine bessere Abstimmung sicherstellen und das Hickhack beenden.

Für die gewaltige Aufgabe wird im Kanzleramt für Altmaier extra eine Stabsstelle "Flüchtlingspolitik" eingerichtet. Intern richtet man sich auf eine Dauerkrise ein. Deswegen soll das Thema "bis auf Weiteres als ständiger Tagesordnungspunkt" in jeder Kabinettssitzung besprochen werden, stets soll dazu ein aktueller Lagebericht vorliegen.

Dass die bisherige Koordination mangelhaft war, gibt man öffentlich natürlich nicht zu. Mit dem neuen Konzept aber, so der Kanzleramtschef in einem Brief an alle Ministerien, sollten endlich "die Ressourcen der Ressorts bei der Bewältigung der Flüchtlingslage besser genutzt werden". Insider lesen diese Passage als kaum verhohlenen Seitenhieb auf das Innenministerium.

Zwar solle, so Altmaier, "die operative Koordinierung" weiterhin dem Innenminister obliegen - aber eben unter Federführung des Kanzleramts. Mit der ungewöhnlichen Maßnahme wird deutlich, wie wenig das Kanzleramt dem Innenministerium noch zutraut, Minister Thomas de Maizière (CDU) gilt seit Wochen als überfordert.

Immer wieder gab es Unstimmigkeiten

Zuletzt waren Merkel und ihr früherer Kronprinz in der Sache immer häufiger auch öffentlich aneinandergerasselt. Als de Maizière etwa osteuropäischen Ländern mit der Kürzung von EU-Geldern drohte, sollten sie nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen, erklärte Merkel postwendend, von derlei Drohungen halte sie nichts.

Umgekehrt ließ das Innenministerium das Kanzleramt wissen, es sei die falsche Entscheidung, Sonderzüge nach Österreich zu schicken, um Flüchtlinge von dort abzuholen. Man locke damit nur weitere Menschen in Richtung Deutschland. Merkel wollte davon nichts wissen - und ließ die Züge fahren.

Auch de Maizières öffentliche Einlassungen zur Flüchtlingskrise werden in Teilen der Bundesregierung als mindestens unglücklich bewertet. So zog der CDU-Mann jüngst über die Anspruchshaltung von Flüchtlingen her und wunderte sich, wie viel Geld diese angeblich für lange Taxifahrten ausgeben könnten. Das sorgte selbst in der Union für Kopfschütteln.

Klare Aufteilung, Schluss mit Streitigkeiten

Viele werfen dem Minister vor, auch nach Monaten kein wirksames Konzept ob der vielen Hilfesuchenden zu haben. Jetzt hält Merkel offenbar den Zeitpunkt für gekommen, die drängendste innenpolitische Aufgabe von ihren eigenen Leuten lösen zu lassen.

Für die kommenden Monate hat die Regierung in dem Konzept nun zehn Großbaustellen benannt, die durch die einzelnen Ressorts federführend bearbeitet und schnellstmöglich gelöst werden sollen. Mit doppelten Zuständigkeiten, vor allem aber Reibereien unter den Ressorts, soll nun Schluss sein:

  • Das Innenministerium soll als Schwerpunkt rechtliche Fragen, die Flüchtlingsaufnahme, Sicherheitsaspekte und die gesellschaftliche Integration betreuen, aber auch neue Wege zur Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern planen.
  • Das Finanzministerium wird leitend das Thema Haushalt und Finanzen betreuen und soll die nötigen Mittel für die Flüchtlingshilfe berechnen.
  • Die Bundeswehr ist laut dem Konzept für die Unterbringung der Flüchtlinge in Liegenschaften der Truppe zuständig.
  • Das Arbeitsministerium soll neue Ideen für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt, die Gesundheitsversorgung und die soziale Absicherung vorlegen.
  • Im Auswärtigen Amt wird die Frage der internationalen Bekämpfung der Fluchtursachen angesiedelt.
  • Der dringend nötige Bau von neuen Wohnungen wird im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit geplant.

Die Zustimmung zu dem Konzept gilt trotz des Zwists innerhalb der Regierung als sicher, es wurde bis Montagabend "mit den betroffenen Ressorts abgestimmt", schreibt Altmaier in seinem Brief. Die Länder will Kanzlerin Merkel am Sonntag auf Linie bringen. Für den Abend hat sie die Innenminister zum Dinner eingeladen.


Zusammengefasst: Die Flüchtlingshilfe in Deutschland wirkt schlecht organisiert, von allen Seiten kommt Kritik. Nun gibt es eine Neustrukturierung, federführend wird das Kanzleramt sein. Kanzlerin Merkel will ihre eigenen Leute in der Verantwortung sehen, Innenminister de Maizière macht keine glückliche Figur.

Mitarbeit: Jörg Diehl
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren