Merkel-Rede beim CDU-Parteitag Delegierte bejubeln die Abkanzlerin

Minutenlangen frenetischen Applaus erntete CDU-Chefin Merkel für ihre Grundsatzrede auf dem Bundesparteitag. Ihr Auftritt war von deftigen Attacken gegen die Bundesregierung durchzogen. Der eigenen Partei sprach sie den "geistigen Führungsanspruch" zu und beschwor die Einheit mit der CSU - trotz der Differenzen bei den Sozialreformen.

Leipzig - Die CDU habe die programmatische Kraft und den politischen Gestaltungswillen, Deutschland wieder nach vorn zu bringen, sagte Merkel am Montag in ihrer mit Spannung erwarteten Grundsatzrede auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig.

Zugleich griff sie die Bundesregierung scharf an: "Rot-Grün macht Fehler am Fließband", kritisierte Merkel vor den rund 1000 Delegierten. Deutschland stecke mit Rekordarbeitslosigkeit und Rekordverschuldung in einer der schwersten wirtschaftlichen und sozialen Krisen seit 1949. Bundeskanzler Gerhard Schröder warf sie Regierungsunfähigkeit vor. Ausgerechnet in dieser Situation habe Schröder der eigenen Truppe auf dem SPD-Parteitag in Bochum gedroht: "Euch mache ich fertig!" Wer so reformunfähig sei, der sei regierungsunfähig.

"Wir müssen den Mann davon abhalten, dass er alles kaputt macht in diesem Land", sagte Merkel. "Das ist unser Auftrag!" Das Signal, das von Leipzig ausgehen solle, laute: "Wir, die CDU, wir haben die programmatische Kraft, den geistigen Führungsanspruch und den politischen Gestaltungswillen, Deutschland wieder nach vorne zu bringen."

Merkel übte zugleich den Schulterschluss mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber. Sie dankte dem bayerischen Ministerpräsidenten ausdrücklich für die Zusammenarbeit. Die CDU-Vorsitzende betonte angesichts des Streits zwischen den Schwesterparteien über die Sozialpolitik: "Die CDU braucht eine starke CSU, die CSU braucht eine starke CDU, gemeinsam sind wir eine starke Union." Gemeinsam müssten CDU und CSU das Land als Reformmotor nach vorne bringen. "Wie sagt man bei Euch im Süden? Mir san mir? Richtig. Und wie sagt man bei uns im Norden? Wat mut, dat mut. Beides gehört zusammen", sagte Merkel. "Niemand von uns kann sich drücken."

Merkel distanzierte sich erneut vom Abgeordneten Martin Hohmann und rechtfertigte seinen Ausschluss aus der Unionsfraktion. Um keine Zweifel zu säen, habe die Fraktion auf die Hohmann-Äußerungen reagiert und letztlich entscheiden müssen, sagte Merkel. "Zu den wichtigsten geistigen und politischen Wurzeln der christlich-demokratischen Union zählt gerade der christlich motivierte Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime." Wer durch sein Verhalten Zweifel an der demokratischen Haltung der CDU begründe, der müsse diese Zweifel ausräumen. Sie fügte unter dem Applaus der Delegierten hinzu: "Wenn das in angemessener Zeit nicht geschieht, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen, so schmerzlich sie menschlich auch sind."

Merkel warb nachdrücklich um Zustimmung für einen Kurswechsel in der Sozialpolitik geworben. Ohne einen Systemwechsel ließen sich die Probleme der nächsten Jahrzehnte nicht meistern. Notwendig sei ein wirklicher Befreiungsschlag, der eine stärkere Entkoppelung der Sozialsysteme von den Arbeitskosten bringe. Eine Bürgerversicherung im Gesundheitswesen lehnte sie erneut als falschen Weg ab.

Sie versprach, dass nach dem CDU-Konzept zur Umstellung der Krankenversicherung auf ein einkommensunabhängiges, kapitalgedecktes Pro-Kopf-Prämiensystem niemand außer den hohen Einkommensgruppen mehr zahlen müsse als heute. Geringverdiener würden nicht schlechter gestellt, mittlere Einkommen bis zur Bemessungsgrenze seien direkte Gewinner. Einen stärkeren Beitrag müssten dagegen die Bezieher wirklich großer Einkommen leisten. Unter dem Strich aber würden alle Gewinner sein, denn die Reform sei ein Befreiungsschlag zur Senkung der Arbeitskosten.

Merkel signalisierte in den Reformverhandlungen und den von der Union angestrebten Änderungen im Tarifrecht Kompromissbereitschaft. Sollten die Gewerkschaften in den nächsten Tagen Vorschläge für betriebliche Bündnisse für Arbeit machen, könnten diese Vorrang vor gesetzlichen Vorgaben haben, sagte Merkel am Montag auf dem CDU-Parteitag in Leipzig. Dies wäre ein fairer Kompromiss, der auch gesetzlich klar geregelt würde. Grundsätzlich müssten solche Bündnisse möglich sein.

Die CDU-Vorsitzende sprach sich erneut nachdrücklich gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ausgesprochen. Die EU sei nicht in der Lage, die Türkei in absehbarer Zeit aufzunehmen, sagte Merkel am Montag während des CDU-Bundesparteitags in Leipzig. Eine Mitgliedschaft der "türkischen Freunde" überfordere die EU.

Zum Abschluss der Rede spendeteten die begeisterten Delegierten minutenlang rhytmischen Applaus.

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