Merkel und die FDP Die schwarze Witwe

Kanzlerin Merkel: Den Partner FDP stutzen
Foto: A3534 Hannibal Hanschke/ dpaEs sind zwei Eigenschaften, die den meisten Spitzenpolitikern überlegen machen - beide für sich genommen, und erst recht in ihrer Summe. Die Kanzlerin kann länger warten und weiter denken.
Nur in der internationalen Liga gibt es den einen oder anderen, der über diese Fähigkeiten in einem ähnlichen oder höheren Maße verfügt. Sie erliegt nicht ihren Emotionen. Deshalb macht Merkel so gerne Außenpolitik. Weil sie es da nicht mit einfachen Sparringspartnern zu tun hat. Oft sind es gerade jene, die sie nicht leiden kann, mit denen sie besonders gerne ihre Kräfte misst. Scharmützel mit intelligenten, ruhig auch KGB-geschulten Männern wie Wladimir Putin genießt sie wie andere einen erlesenen Whisky oder eine anspruchsvolle Partie Schach.
Sie redet sehr respektvoll gerade über ihre Gegner - wenn sie gut sind. Es hört sich immer an wie die Achtung eines Feldherrn vor den strategischen Fähigkeiten seines Gegenübers auf dem Schlachtfeld.
Länger warten, weiter denken: Der bisherige Koalitionspartner der Kanzlerin kann ein Requiem davon anstimmen, was es heißt, sich mit dieser Frau einzulassen. Schon nicht eben im Vollbesitz der Kräfte in die Große Koalition eingetreten, wurden die Sozialdemokraten von Merkel regelrecht herunterregiert auf die kläglichen Reste, die nach der Bundestagswahl von der einstmals stolzen Volkspartei übrig geblieben sind.
Elias Canetti beschreibt in "Masse und Macht", wie der Machtmensch als solcher seine unterlegenen Mitmenschen in nahrhafte Bestandteile auflöst, sich an diesen stärkt und deren unverwertbare Reste liegen lässt. Genauso hat es Merkel auf ihrem Weg zu Macht mit innerparteilichen Gegnern gemacht. Genauso hat sie es mit ihrem ersten Koalitionspartner gemacht. Sie hat sich die Expertise der fähigen SPD-Minister zunutze gemacht und die bösen Sachen wie die Rente mit 67 auf sie abgewälzt. Sie hat die guten Ideen wie die Abwrackprämie geklaut und die SPD so plagiiert, dass am Ende kaum einer mehr das Original wählen wollte.
Skelette am Wegesrand der Angela Merkel
Genauso wird sie es absehbar mit ihrem zweiten Koalitionspartner machen. Die wird ihr zentrales Wahlversprechen massiver Steuersenkungen nicht so halten können, wie sie es angekündigt hat. Ihr droht genau das gleiche Glaubwürdigkeitsproblem wie vor vier Jahren der SPD, die keine Mehrwertsteuererhöhung plakatiert hatte und dann drei Prozent Erhöhung mitgemacht hat.
Angela Merkel hat nach der Bundestagswahl ihre Machtposition gestärkt. Sie hat der die Koalition geliefert, die sich die Partei gewünscht hat. Mäkeleien wie jene der Jungen Union, Nachfragen nach dem für sich genommen mittelmäßigen Wahlergebnis - all das erreicht sie gar nicht. Es wirkt kleinkariert vor dem Hintergrund, dass Merkel ein Zweierbündnis mit dem Wunschpartner hinbekommen hat in einer Zeit, in der das politische System sich mehr und mehr fragmentiert.
Innerparteiliche Widersacher sowie der neue Koalitionspartner sind gut beraten, sich die Skelette am Wegesrand der Angela Merkel genau anzuschauen. Am Wochenende haben sich zwei phänotypisch ähnliche Männer in den Koalitionsverhandlungen darin versucht, den Aufstand gegen Merkel zu proben. provozierte den Eklat mit , als er den Steuersenkungsfetischismus der FDP aufs Korn nahm. Westerwelle wiederum reagierte wie der Hund des russischen Forschers Iwan Petrowitsch Pawlow.
Nur sehr oberflächlich betrachtet hat Wulff bei seiner Attacke gegen Westerwelles Vorstellungen von Steuererleichterungen im Sinne seiner Herrin gehandelt. In Wahrheit war der Ausbruch des Niedersachsen eine Kritik an der Kanzlerin, die abermals die Dinge sehr lange laufen lässt. Wenn sie dieser präpotenten FDP nicht eins auf die Nuss gibt, dann mach ich es eben - das war das Signal von Wulff. Damit erhebt er einen Führungsanspruch.
Merkel kann sich Partnerverschleiß leisten
Beide, Wulff und Westerwelle, könnten leicht als kuschelige Muffs an Merkels Händen enden. Schlimmer ist diese Aussicht für Guido Westerwelle.
Er ist noch besoffen von dem Glücksgefühl, die FDP zu nie gesehenen Höhen geführt zu haben. Er sollte schnell wieder nüchtern werden: Denn jetzt wird Merkel ihn so klein wie möglich regieren. Westerwelle wird erleben: Es ist ein zweifelhaftes Vergnügen, ein Bündnis mit Angela Merkel einzugehen. Sie ist wie jene Weibchen in der Tierwelt, die ihrem Partner nach dem Leben trachten, sobald der seinen Pflichten nachgekommen ist. Bei der Gottesanbeterin muss das Männchen nach dem Liebesakt schnell sein, von der schwarzen Witwe sagt man es auch.
Schwarze Witwe trifft es ganz gut. Erst die SPD, als nächstes die FDP? Rücksicht nehmen muss sie jedenfalls nicht. Merkel kann sich Partnerverschleiß leisten. Denn sie selbst stärkt das, außerdem erwächst ihr in den Grünen schon der nächste politische Partner. Deshalb macht sich die FDP größer als sie in Wahrheit ist. Zu sehr blasen sich jene von der FDP auf, die behaupten, die FDP müsse keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. Nebbich. Natürlich muss sie. Die FDP muss mehr als Merkel, so liegen die Kräfteverhältnisse.
Angela Merkel ist die späte deutsche Wiederkehr einer englischen Königin. Es ist frappierend, bis in die Details hinein, wie sehr sie Elisabeth I. ähnelt. Elisabeth blieb kinderlos, weil sie keinen Konkurrenten auf die Krone aufziehen wollte. Sie war unprätentiös machtbewusst und hatte ihre Emotionen extrem unter Kontrolle, im Unterschied zu ihrer leidenschaftlichen Cousine Maria Stuart, die nach Elisabeths Thron trachtete und auf deren Schafott endete.
"Wir werden Angela Merkel noch sehr, sehr lange haben"
Die Rollen von damals lassen sich mit dem heutigen Personal problemlos besetzen: Wolfgang Schäuble war als Parteichef ein Intermezzo wie die Neuntagekönigin Jane Grey, Helmut Kohl trägt unverkennbar Züge ihres Vaters, Heinrich VIII., und Elisabeths bis den Tod treu ergebener Berater William Cecil heißt am Hofe Merkel Beate Baumann.
Es war nicht vorgesehen und absehbar, dass Elisabeth I. je Königin werden würde. Dann ist sie es against all odds geworden und für 45 Jahre geblieben. Ein Zeitalter trägt heute ihren Namen.
In einer Liebeserklärung an Merkel hat der US-Leitartikler Jacob Heilbrunn dieser Tage prophezeit, dass wir sie noch sehr, sehr lange haben werden. Er vermute, "dass Merkel als einer der größten Bundeskanzler in die Geschichtsbücher eingehen wird" . So etwas darf man natürlich nur schreiben, wenn man nach Diktat wieder in die USA verreist ist. Richtig ist, dass Merkel mittelfristig am Ende gewesen wäre, wenn sie Schwarz-Gelb nicht geschafft hätte. Jetzt aber hat sie strategische Höhen eingenommen, die ihr einen weiten Blick erlauben.
Wer sich mit Angela Merkel anlegt wie jetzt die Steuersenker von der FDP, sollte immer an das Schicksal von Maria Stuart denken. 35 Milliarden Euro Entlastung - und keinen Cent weniger? Man sollte die Ziele nicht zu hoch stecken und den Mund nicht zu voll nehmen, sonst wird man schnell einen Kopf kürzer gemacht.
Merkel hat schon damit begonnen, ihren neuen Partner FDP zu stutzen. Er merkt es offenbar nur noch nicht.