Merkel und die Flüchtlingskrise Immer wieder Ärger mit Schäuble

Vom Finanzminister kommt ein vergifteter Vorschlag, die eigenen Leute rebellieren, beim Koalitionspartner steigt die Unzufriedenheit: Der Druck auf Kanzlerin Merkel in der Flüchtlingskrise wächst - zumal schon bald wichtige Wahlen anstehen.
Minister Schäuble, Kanzlerin Merkel: Was hat der Parteifreund vor?

Minister Schäuble, Kanzlerin Merkel: Was hat der Parteifreund vor?

Foto: Michael Kappeler/ picture alliance / dpa

Wer in sein elftes Jahr als Kanzlerin geht, hat schon einiges erlebt und weggesteckt. Aber selbst für Angela Merkel dürfte sich der Wind eisig anfühlen, der ihr in diesen Tagen entgegenbläst. Sogar die "Bild am Sonntag", nicht als übermäßig Merkel-kritisch bekannt, fragt auf ihrer Titelseite: "Ist Merkel noch die Richtige?"

Die Kanzlerin steckt tiefer in der Flüchtlingskrise als je zuvor.

CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble tut zwar so, als wolle er seiner Vorsitzenden den Rücken stärken, spricht aber gleichzeitig wieder von der "Lawinengefahr" - und zündelt mit dem Vorschlag eines Benzin-Soli. Aus der CSU kommt immer neue offene Kritik, die inzwischen allerdings von manchen Politikern aus der eigenen Partei nicht weniger harsch vorgetragen wird.

Selbst die SPD, bisher verlässlicher Partner für die Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage, fordert nun mehr Härte von Merkel. Weil die Zahlen der nach Deutschland flüchtenden Menschen selbst im Winter hoch bleibt - und gleichzeitig die Bestrebungen nach europäischen Lösungen nicht vorankommen. Und dann sind da ja noch die drei Landtagswahlen Mitte März: Sie dürften der Kanzlerin ebenfalls Sorgen bereiten.

SPIEGEL ONLINE analysiert die fünf größten Probleme Merkels in der Flüchtlingskrise:

  • Die Unionskritiker - und Wolfgang Schäuble

In der Union gibt es zwei Arten von Kritik an Merkels Flüchtlingskurs. Die unverblümte - prominent vorgetragen vor allem von CSU-Politikern wie Parteichef Horst Seehofer, Bayerns Finanzminister Markus Söder sowie CDU-Dauerrenegat Wolfgang Bosbach - und die versteckte.

Dabei dürfte Letztere für die Kanzlerin fast die gefährlichere sein, insbesondere wenn sie von einem Mann wie Bundesfinanzminister Schäuble vorgetragen wird. Schäuble hatte bereits vor Monaten mit dem Bild einer Flüchtlingslawine für Aufsehen gesorgt - zumal er die Frage nach deren Auslöserin in den Raum stellte und nach Meinung der meisten Beobachter dabei nur Merkel gemeint haben konnte.

Schäuble kommt deshalb so großes Augenmerk zu, weil er in der Union als Einziger gilt, der die Kanzlerin stürzen könnte. Dieses Ansinnen weist der Finanzminister stets von sich. Doch nun hat er erneut von der "Lawinengefahr" gesprochen, zudem brachte Schäuble eine Abgabe auf jeden Liter Benzin zur Finanzierung der Flüchtlingskrise ins Gespräch. Der Vorschlag wurde binnen weniger Stunden von seiner Partei beerdigt: Eine Flüchtlingsabgabe könnte die Stimmung im Lande noch mehr anheizen.

Was hat Schäuble wirklich vor? Keiner weiß es. Aber er schadet der Kanzlerin schon jetzt immens. Bei der AfD höhnt man schon: "Schäuble, unser AfD-U-Boot bei der CDU", schrieb der Europaabgeordnete Marcus Pretzell angesichts des Benzin-Soli-Vorschlags bei Twitter.

Am Sonntagabend kam mit Edmund Stoiber noch ein weiterer Unions-Kritiker hinzu: In der "Süddeutschen Zeitung" setzte der frühere bayerische Ministerpräsident Merkel ein Ultimatum: "Maximal bis Ende März" habe die Kanzlerin Zeit, die angekündigte Reduzierung der Flüchtlingszahlen auch umzusetzen.

  • Die SPD

Lange war für die Kanzlerin in Sachen Flüchtlingspolitik auf den Koalitionspartner Verlass. Doch die Stimmung bei der SPD verändert sich, immer mehr führende Sozialdemokraten fordern nun Verschärfungen. Parteichef Sigmar Gabriel drängte zum Auftakt der Vorstandsklausur im brandenburgischen Nauen auf die Reduzierung des Flüchtlingszuzugs bis zum Frühjahr. Ansonsten, hatte Gabriel zuvor in einem Interview orakelt, "bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden". Was das genau heißt und zu welchen Schritten seine Partei dann bereit wäre, ließ er offen. Manches bisher gültige sozialdemokratische Dogma, beispielsweise keine festen Obergrenzen, könnte dann wohl fallen - für Merkel keine guten Aussichten.

  • Die Flüchtlingszahlen

Rund 1,1 Millionen registrierte Flüchtlinge kamen im vergangenen Jahr nach Deutschland. Flüchteten 2016, darin sind Merkels Kritiker ausnahmsweise mit der Kanzlerin einig, erneut so viele Menschen hierher, wäre das kaum mehr zu schaffen. Nur: Selbst in diesen kalten Wintertagen kommen pro Tag rund 3000 Flüchtlinge nach Deutschland - das wären bis Ende des Jahres mehr als eine Million. Es muss also dringend etwas passieren.

Aber was? Die Türkei scheint bisher nicht in der Lage oder willens zu sein, ihre Grenze Richtung EU dichtzumachen und damit vor allem syrische Flüchtlinge zu stoppen. Rufe nach rascheren und umfangreicheren Abschiebungen oder die mögliche Aufnahme weiterer Länder wie Marokko oder Algerien in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ändern wenig.

  • Europa

Um die Flüchtlingskrise wirklich in den Griff zu bekommen, ohne dass gleichzeitig die EU zerbricht, braucht es eine europäische Lösung. Auch darüber gibt es kaum Dissens zwischen Merkel und ihren Kritikern. Doch Europa scheint im Moment seiner größten Bewährungsprobe zu versagen: Die bereits beschlossene Verteilung von 160.000 Flüchtlingen innerhalb der EU-Mitgliedsländer kommt nicht voran, stattdessen werden die Widerstände in vielen Ländern immer größer - insbesondere nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht. Selbst EU-Staaten wie Schweden, die bisher als Verbündete Merkels erschienen, schwenken auf einen Abschottungskurs. Gut möglich, dass es am Ende aus purer Not doch zum Schließen der Grenzen und zum Ende des Schengen-Abkommens kommt.

  • Die Landtagswahlen

Als wäre die Lage nicht kompliziert genug, stehen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auch noch Landtagswahlen an. Die ersten beiden sind von besonderer Bedeutung - auch für die Kanzlerin: In Stuttgart will die CDU unbedingt das Ministerpräsidentenamt von den Grünen zurückgewinnen, in Mainz hofft ihre Partei ebenfalls auf die Rückkehr in die Staatskanzlei.

Aber die CDU schwächelt in den Umfragen, die Nervosität in den jeweiligen Landesverbänden steigt. Sollten die Christdemokraten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg scheitern, wäre Merkels Flüchtlingspolitik aus Sicht ihrer Partei wohl endgültig gescheitert.

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