Merkel und Steinbrück auf Abschiedstournee Szenen einer Ehe

Möglicherweise ist die Große Koalition am Sonntag beendet - doch Angela Merkel und Peer Steinbrück nutzen ihre vielleicht letzten gemeinsamen Auftritte zu einer eindrucksvollen "Wir haben uns lieb"-Show, die kein bisschen gekünstelt wirkt.
Von Wolfgang Reuter
Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück in Pittsburgh: "Genau so"

Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück in Pittsburgh: "Genau so"

Foto: A2800 epa Michael Reynolds/ dpa

Die beiden sitzen da, wie alte, über Jahre eingespielte Partner - sie erinnern an eine plumpe Regietheater-Version von Philemon und Baucis, jenem Ehepaar, aus der griechischen Mythologie, das dem verkleideten Zeus und seinem Sohn Hermes Gastfreundschaft gewährt - und dafür einen Wunsch frei hat.

Angela Merkel

Peer Steinbrück

Es ist eine Bild routinierter Harmonie. trägt ein dunkles Kostüm. sitzt eng an sie geschmiegt im blau-weiß karierten Freizeithemd, den obersten Knopf hat er offen gelassen. Die beiden sind eingequetscht zwischen drei Journalisten auf der Polsterbank im Konferenzraum des Airbus 310 der Luftwaffe und umzingelt von weiteren 29 Journalisten und Beamten, die sich in den neun, zehn Quadratmeter großen Raum gezwängt haben.

G20

Die Bundeskanzlerin eröffnet das Briefing mit dem Satz: "Wir fahren heute nach Pittsburgh, zum Gipfel der ". Es ist ein typischer Merkel-Satz, er ist ebenso richtig, wie banal. Jeder der Anwesenden weiß, wohin die Reise geht, was wiederum auch Merkel weiß. Sie lächelt ihr schelmisches Lächeln, bei dem sie immer etwas schüchtern aussieht und das ihr etwas mädchenhaftes gibt. Sie hat den Satz trotzdem gesagt - weil er eine Botschaft beinhaltet. Und die lautet: Hier oben, 10.000 Meter über dem Atlantik und 850 Kilometer nördlich der Azoren, gibt es keinen Wahlkampf. Hier geht es um G20. Um Sachpolitik. Das ist ihr Metier, hier fühlt sie sich am wohlsten.

Das Pingpong-Spiel wirkt ganz natürlich

Finanzkrise

Merkel kommt schnell ins referieren, in einfachen Worten erklärt sie die , die nötigen Lehren aus der Misere - und dann skizziert sie die unterschiedlichen Interessen der G-20-Staaten, die denkbaren Kompromisse. Nach 15 Minuten übergibt sie das Mikrophon an Steinbrück, der sie ergänzt. Gelegentlich nickt die Bundeskanzlerin jetzt beifällig, so wie Steinbrück ihren Vortrag durch zustimmende Gesten begleitet hat.

Vermutlich haben sich die beiden noch nicht einmal abgestimmt, die Harmonie, das Pingpong-Spiel wirkt ganz natürlich, auch in der Fragerunde. Stets achtet Merkel darauf, dass Steinbrück ebenfalls zu Wort kommt, auch wenn eigentlich alles gesagt ist. Und stets achtet Steinbrück darauf, dass er nicht ganz so lange spricht, wie seine Chefin. Keiner widerspricht dem anderen - und wenn doch, dann entwickelt sich der Dialog schnell in einen handfesten Flirt. Und die Meinungsverschiedenheit endet im Happy End.

"Wir sind doch nicht ganz dumm" sagt Merkel, als sie die Strategie eines G-20-Landes beschreibt, das Deutschland trickreich von den Bemühungen um stärkere Finanzmarktkontrollen abhalten will. Und Steinbrück fällt ihr ins Wort: "noch nicht einmal ein bisschen", aber Merkel versteht den Einwurf akustisch nicht, schließlich hält sie gerade das Mikrophon. "Wir sind noch nicht einmal ein bisschen dumm", wiederholt Steinbrück und Merkel lacht. "Sehen Sie", sagt sie und wendet den Kopf nach links zu ihrem Finanzminister, "vielleicht ist das einer der wenigen Punkte, wo wir uns unterscheiden". Sie nämlich habe schon die Selbsteinschätzung, nicht völlig unfehlbar zu sein. Darauf Steinbrück: "Ja manchmal vielleicht, zwischen 3 und 4 Uhr morgens, wenn man wach im Bett liegt." "Genau so", sagt Merkel. Und wieder sind sich die beiden einig.

Demonstrative Harmonie

Ob die übrigen Staats- und Regierungschefs denn wissen, dass in Deutschland Wahlkampf ist, will ein Journalist wissen - und ob sie auch wüssten, dass Merkel und Steinbrück gar nicht der gleichen Partei angehören. Diesmal antwortet Steinbrück zuerst: "Oh ja", sagt er, "das wissen die sehr wohl, dass wir nicht bei der gleichen Feldpostnummer sind." Und Merkel lacht: "Manchmal gucken die uns an, wie die Tiere im Zoo." Die europäischen Regierungschefs hätten sich beim jüngsten Ratstreffen auch "halb totgelacht", dass sie mit ihrem Außenminister ein Fernsehduell veranstalte. "Die können sich so etwas gar nicht vorstellen."

G-20-Gipfels

Nach der Eröffnung des trifft Merkel abends im Hotel noch einmal die Journalisten, Steinbrück ist allerdings noch bei der G-20-Finanzministerrunde. Als er eintritt, gibt ihm die Kanzlerin das Wort - und Steinbrück referiert über die Ergebnisse der Verhandlungen zur Finanzmarktregulierung. "Bei dem Thema waren wir schon", unterbricht ihn die Bundeskanzlerin, "Sie können das gerne ergänzen oder kommentieren, das wäre sicherlich hilfreich, aber im Prinzip habe ich das den Journalisten schon erzählt." Und Steinbrück fragt sie: "Haben Sie auch gesagt, dass wir bei der Begrenzung der Größe der Banken nicht ganz zufrieden sind?" Darauf Merkel: "Ich habe gesagt, dass wir da noch einen Zeitrahmen brauchen." Steinbrück: "Dann sind wir da ja auch einer Meinung."

Wehmut zum Ende des Wahlkampfs

Merkel wirkt aufgeräumt wie selten, man sieht ihr den strapaziösen Wahlkampf nicht an, den sie in den vergangenen Wochen geführt hat. Im Gegenteil: Scheinbar hat es ihr richtig Spaß gemacht. Jedenfalls habe sie "Wehmut" beschlichen, als sie am Mittwochabend ihre letzte Wahlkampfrede in Wuppertal gehalten habe. Sie ist danach auch nicht gleich in das Auto gestiegen, das immer irgendwo für sie bereitsteht. "Statt dessen habe ich drei Lokalsendern noch ausgiebige Interviews gegeben", erzählt Merkel. Und sie habe sich gedacht: Schade, dass das jetzt vorbei ist.

Und auch Steinbrück wirkt aufgekratzt, aber eben auch ein bisschen traurig. Was aber vielleicht daran liegt, dass sein Verbleib in der Regierung wesentlich unsicherer ist, als der von Merkel. Der Wunsch von Philemon und Baucis bleibt Merkel und Steinbrück verwehrt - jedenfalls im übertragenen Sinne. Das Ehepaar wünschte sich, wenn ihre Zeit gekommen ist, zusammen zu sterben - damit keiner der beiden alleine bleibt.

Das Schicksal zwingt die Bundeskanzlerin und ihren Finanzministers dagegen, zusammen weiter zu regieren. Wenn das nicht eintritt, wird einer der beiden abtreten. Ohne den anderen.

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