Merkels Moratorium Gabriel wittert geheimen Deal mit Atomwirtschaft

SPD-Chef Gabriel: "Die Konzerne werden eine Gegenleistung verlangen"
Foto: dapdBerlin - Es ist eine bemerkenswerte Kehrtwende in der Atompolitik: Angesichts der nuklearen Katastrophe in Japan will die Bundesregierung sieben deutsche Meiler vorerst abschalten. Das genaue Vorgehen des Moratoriums will Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) an diesem Mittwoch um 11 Uhr im Umweltausschuss des Bundestags erläutern. Es dürfte Streit geben.
Denn das Vorhaben steht massiv in der Kritik. Die Opposition stößt sich besonders an der rechtlichen Grundlage der Entscheidung: Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes. Weil die Bundesregierung sich damit auf den "Gefahrenabwehr-Paragraf" beziehe, wittert SPD-Chef einen heimlichen "Deal mit der Atomwirtschaft". Da keine unmittelbaren Gefahren drohten, hätten die Atomkonzerne laut Gabriel einen Schadenersatzanspruch für jeden Tag des Stillstands. "Garantiert werden die Konzerne das nicht einfordern, aber sie werden eine Gegenleistung für ihr Stillhalten verlangen", sagte der SPD-Chef SPIEGEL ONLINE.
Angela Merkels Bundesregierung
Selbst in den eigenen Reihen scheint man sich nicht so sicher, ob das Moratorium rechtlich einwandfrei begründet hat. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, unterstrich, die vollziehende Gewalt sei nach dem Grundgesetz an Recht und Gesetz gebunden. Bei aller verständlichen Eile müsse der Kurswechsel in der Atompolitik rechtsstaatlich sauber vollzogen werden, mahnte er.
Den Weg der Bundesregierung, sämtliche Maßnahmen auf eine Notsituation im Sinne des Atomgesetzes zu stützen, hält Kauder für eine Sackgasse. "Die betroffene Vorschrift setzt entweder eine konkrete Strahlengefahr für die Bevölkerung oder einen Verstoß der Kraftwerksbetreiber gegen rechtliche Vorgaben voraus", sagte Kauder der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Beides treffe nicht zu.
Lammert will Bedarf zusätzlicher Regelungen prüfen
Das scheinen auch andere Christdemokraten so zu sehen. Bundestagspräsident Norbert Lammert prüft, ob es neben der Anordnung der Koalition einen Parlamentsbeschluss braucht. "Ich lasse prüfen, ob es dazu weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf", sagte Lammert der "Berliner Zeitung". Der Bundestagspräsident soll nach Medienberichten ebenso wie Kauder bereits in der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag rechtliche Bedenken geäußert haben. Die Fraktion billigte den Entschließungsantrag zu den Regierungsplänen aber einstimmig.
Für die Opposition ist ohnehin klar, dass das schwarz-gelbe Gesetz über die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke von 2010 gilt und eine Aussetzung ebenfalls eines Gesetzes bedürfe. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine "wiederholte Missachtung des Deutschen Bundestags" vor. Die Laufzeitverlängerung müsse per Gesetz rückgängig gemacht werden. Es sei nicht hinzunehmen, dass Merkel schon wieder beschließe, ein bestehendes Gesetz einfach nicht anzuwenden.
Ob die Bundesregierung mit ihrer Maßnahme die wachsende Skepsis der Bevölkerung mindern kann, scheint fraglich. Die Mehrheit der Deutschen ist einer Erhebung zufolge für einen Ausstieg aus der Kernenergie. Laut der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des "Stern" wollen elf Prozent der Befragten, dass sämtliche deutsche Reaktoren sofort abgeschaltet werden, weitere 52 Prozent sind für einen Ausstieg binnen fünf Jahren.