Merkels Strategie im Griechen-Streit Rückkehr der Krisenkanzlerin

Kanzlerin Merkel: "Das kann nicht alles gewesen sein"
Foto: Markus Schreiber/ APdas marode Griechenland vor der Pleite zu retten
Berlin - Angela Merkel steht im Kanzleramt, sie trägt einen Leinenblazer. Er ist rot. Alarmrot. Von "Notsituation" spricht sie, von der "Ultima Ratio", von einem Gesetz mit enormer Tragweite. Es geht um bis zu 22,4 Milliarden Euro, die Deutschland schultern muss, um .
Die präsentiert sich als Krisenmanagerin. Die Woche der Entscheidung zu den Griechen-Hilfen soll ihre Woche werden. Von niemandem will sie sich die Show stehlen lassen.
Merkels Linie ist klar. Sie will Zuversicht ausstrahlen, ohne den Bürgern zu viel zu versprechen. Wie schon zu Beginn der Finanzkrise 2008 sollen die Deutschen das Gefühl bekommen, seriös und ruhig regiert zu werden. Panik oder Angststimmung soll verhindert werden.
Merkel, die Krisenkanzlerin. Die Regierungschefin hat einen Ruf zu verlieren: Ihr Krisenmanagement nach der Lehman-Pleite im Jahr 2008 wird gemeinhin als gelungen angesehen. Das Image der kühlen Macherin will sie nicht verlieren.
Ihr stehen schwere Zeiten bevor. Die Mehrheit der Deutschen hält gar nichts davon, dass nun sie für die Misswirtschaft der Griechen aufkommen sollen. Weil die Milliarden trotzdem nach Hellas fließen werden, ist Merkel unter Erklärungsdruck, und das in der Schlussphase des nordrhein-westfälischen Wahlkampfs. Am kommenden Sonntag wird im größten Bundesland gewählt, für die CDU läuft es nicht gut, und deshalb startet die Kanzlerin eine beispiellose Kommunikationsoffensive.
Allein an diesem Montagabend folgt ein Fernsehinterview dem anderen: ARD, ZDF, n-tv, RTL, N24, Sat.1. Das ganze Programm.
Banken sollen sich beteiligen, Staaten in geordnete Insolvenz gehen dürfen
Merkel verteidigt den Beschluss. Und fordert unter anderem, die deutschen Banken sollten sich in erheblichem Umfang an der Rettung beteiligen: "Man muss aufpassen, sich jetzt nicht auf kleine Zahlen zu kaprizieren." Banken müssten bei künftigen Finanzkrisen von Staaten stärker eingebunden werden: "Es sollte eine geordnete Insolvenz von Staaten geben, bei der die Gläubiger mit herangezogen werden. Banken werden dann nicht ungeschoren davon kommen." Sätze, die den Fokus der Debatte verschieben sollen, von der Hilfsaktion hin zur Schuldfrage.
Parallel müht sich Merkel, die Opposition zu gewinnen. Am Montagmittag empfängt sie die fünf Fraktionsvorsitzenden aus dem Bundestag im Kanzleramt, wirbt für ihren Kurs. SPD, Grüne und Linke sträuben sich, fordern eine klar geregelte Beteiligung des privaten Bankensektors. "Wir sind nicht beieinander", sagt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nachher. Von "grundsätzlichen Konstruktionsfehlern" in Merkels Plan spricht Linken-Vizefraktionschefin Gesine Lötzsch. Und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin bemängelt, Merkel habe "das alles viel zu lange ausgesessen".
Merkel sagt öffentlich nichts zur Kritik, versucht die Opposition aber rhetorisch zu umarmen. So hat sie es sich auch für die Fernsehinterviews vorgenommen. Kein Deutscher soll ihrer Argumentation entgehen, die da heißt: Kein Kredit ohne Gegenleistung.
"Das kann nicht alles gewesen sein", sagt sie im Kanzleramt und fordert, es müssten Lehren aus der Krise gezogen werden. Nämlich die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts und eine eigene europäische Rating-Agentur, die zwar unabhängig sein, sich aber der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen soll.

Ganz bewusst setzt sie sich in die Traditionsspur ihres Vorgängers Helmut Kohl. Dessen Regierung habe einst auf der Einführung des Stabilitätspakts bestanden. "Unsere Aufgabe ist es heute, ihn so auszugestalten, dass er nicht mehr unterlaufen, sondern strikt eingehalten wird."
Merkel drohte schon am Wochenende im Interview mit "Bild am Sonntag" mit Sanktionen im Falle eines erneuten Falls Griechenland: "Es muss künftig möglich sein, einem Land, das seine Verpflichtungen nicht einhält, zumindest vorübergehend das Stimmrecht zu nehmen."
Besonders wurmt Merkel der Vorwurf der Opposition, sie habe in der Krise gezaudert und gezögert, um die unpopulären Hilfen auf einen Tag nach der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu verschieben. Mit der Landtagswahl habe dies alles nichts zu tun, sagt ein Berater der Kanzlerin. Die Annahme sei naiv, man könne eine so große Krise nach Landtagswahlterminen in einem deutschen Bundesland planen. Schon im März sei grundsätzlich klar gewesen, dass Griechenland jede Minute Hilfen beanspruchen könne. Da habe es nicht mehr in der Hand Deutschlands gelegen, sondern es sei allein Sache der Griechen gewesen, den Hilfsmechanismus auszulösen.
Geiz als erste Kanzlerpflicht
Merkels Vertraute sagen seit Wochen, es habe zu ihrem Vorgehen keine Alternative gegeben. Die Kanzlerin habe auf eine Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) drängen müssen, weil allein diese Organisation über die nötige Erfahrung verfüge, um Krisen in Pleitestaaten zu beherrschen. Außerdem schreibe der Amtseid der Kanzlerin vor, alles zu tun, um vorschnelle Zahlungen von deutschem Steuergeld für Rettungsaktionen dieser Art zu verhindern. Mit anderen Worten: Merkel sieht im Geiz die erste Kanzlerpflicht.
Ihre wichtigsten Minister springen ihr an diesem Montag bei. Im Falle eines vorschnell ausgestellten Blankoschecks wäre das ambitionierte Konsolidierungsprogramm der Griechen nicht zustande gekommen, sagt Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) an Merkels Seite im Kanzleramt. Und selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der in der Vergangenheit auf mehr Eile gedrängt hatte, hält zu Merkel: Die "gründliche Beratung" habe sich gelohnt.
Für die Kanzlerin geht es nun ums Ganze. Bis zur Wahl am Sonntag muss sie nicht nur die Parlamentarier, sondern vor allem die Bürger von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugen. Sonst droht die Rache der Wähler. Eine Niederlage von Union und FDP wäre zwar in erster Linie Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und seinen Affären zuzuschreiben. Doch auch die Kanzlerin müsste in den eigenen Reihen heftige Kritik einstecken.
Ihr Dauerwidersacher, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), hat die Melodie für eine unionsinterne Merkel-Debatte vorgegeben. Vor wenigen Tagen mahnte er per Interview ein entschlossenes Krisenmanagement an: "Je schneller eine Entscheidung getroffen wird, umso weniger Schäden entstehen."