Michael Kretschmer: Direktmandat gewonnen - und trotz deutlichen Verlusten Platz eins für die CDU
Foto: Matthias Rietschel/ REUTERSMichael Kretschmer sah nicht wie ein Sieger aus. Es war Dezember 2017, Kretschmer hatte eben angekündigt, als Ministerpräsident von Sachsen zu kandidieren. Da saß er nun auf dem Podium der Landespressekonferenz, kurz davor, das höchste Amt im Freistaat anzutreten. Und wirkte alles andere als froh.
Bei der Bundestagswahl 2017 hatte er seinen Wahlkreis in Görlitz an die AfD verloren, es sah so aus, als sei Kretschmers Politikkariere vorbei. Dann trat Regierungschef Stanislaw Tillich überraschend zurück und schob Kretschmer ins Rampenlicht. Der wirkte, als habe er eine schwere Bürde zu tragen. Er, der nie am Zaun der Staatskanzlei gerüttelt hatte, sah sich in die Pflicht genommen. Kretschmer war ganz offensichtlich nicht sicher, ob er das Amt des Ministerpräsidenten ausfüllen konnte.
Er nahm den Kampf an, wuchs über sich hinaus, je aussichtsloser die Lage schien. Kretschmer fuhr durchs Land, besuchte Bürgerforen, ging zu Vereinen, in Firmen. Der kleine, schmächtige Kretschmer war derart emsig, dass man wie einst bei Hans-Dietrich Genscher glaubte, er müsse sich irgendwann selbst begegnen. Das Leichtgewicht gewann an Profil. Am Ende wuchtete er seine Partei bei der Landtagswahl fast im Alleingang auf deutlich über 30 Prozent.
Es ist das schlechteste Ergebnis, das die CDU je in Sachsen erhalten hat. Um zu verstehen, warum der Sonntagabend trotzdem ein Erfolg für Kretschmer ist, muss man sich die Ausgangslage vergegenwärtigen: Bei der Bundestagswahl 2017 und bei der Europawahl in diesem Mai hatte es die AfD geschafft, die CDU in Sachsen zu überholen.
Video: "Das freundliche Sachsen hat gewonnen"
Kretschmer hatte gleich beim Amtsantritt versprochen, er wolle viel verändern. Im Wahlkampf stellte er Investitionen in Bildung und Polizei nach vorn, warb mit 1000 neuen Polizisten für das Bundesland. Die AfD ließ er rechts liegen, verzichtete auf Frontalangriffe. In der CDU war man skeptisch, ob diese Strategie aufgeht.
Kretschmer wollte die Kritiker integrieren. Die CDU machte den Politikprofessor Werner Patzelt zum Wahlkampfberater, der auch am Wahlprogramm beteiligt war. Patzelts Überlegung, einen Volkseinwand für die Sachsen einzuführen, übernahm Kretschmer und ging damit in die Offensive. Der Bürger solle mitentscheiden dürfen, welches Gesetz die Regierung einbringt.
Als sich die erzkonservative Werteunion und der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in den Wahlkampf einmischten, ließ er die Gruppe gewähren. Erst wenige Tage vor dem Wahltermin distanzierte sich Kretschmer und setzte auch ein Zeichen an Berlin. Bis zur letzten Woche kämpfte er dafür, dass die Bundesregierung ein Gesetz durchs Kabinett bringt, das Milliarden für die Lausitz vorsieht. Letztlich beschloss die Bundesregierung genau das.
Immer wieder appellierte Kretschmer an den Stolz der Sachsen und warf der AfD vor, das Land schlechtzureden. Ebenso erklärte er den Rechtsextremismus zu einem der größten Probleme im Land. Er sagte, der ländliche Raum müsse gestärkt werden, er wolle Sachsen zum sichersten Bundesland machen. Es war der Versuch, einerseits Probleme klar anzusprechen und auf die Gefühlslage der Sachsen einzugehen - und andererseits den Pessimisten etwas entgegenzustellen.
Kretschmer geht nun trotz der deutlichen Stimmenverluste für die CDU gestärkt aus der Wahl. Das hilft ihm beim nächsten Schritt: Erstmals könnten die Grünen in Sachsen an der Regierung beteiligt sein. Schon in Sachsen-Anhalt brauchte es die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen, um gegen die AfD anzukommen. Diese Realität ist nun auch in Sachsen angekommen, dem bevölkerungsstärksten Bundesland in Ostdeutschland.
Es ist der Ministerpräsident, der die sächsische Union nun in dieses Bündnis führen muss. Eine Koalition mit der grünen "Verbotspartei", wie Kretschmer sie nannte, wird viel Murren in der Partei auslösen. Patzelt sagte sogar, sie würde "die CDU zerreißen". Die Werteunion fordert bereits eine CDU-Minderheitsregierung.
Kretschmer selbst erklärte immer wieder, er wolle nicht mit den Grünen regieren. Und doch sagte er noch am Wahlabend, dass er der SPD und Grünen Sondierungsgespräche anbieten werde. 41 Direktmandate hat die CDU gewonnen, 46 stehen ihr nach Zweitstimme zu. Es gibt also keine Überhangmandate für die CDU, somit reicht es nicht für Schwarz-Rot - auch wenn ein Weiterregieren mit der SPD die einfachste Variante für Kretschmer gewesen wäre.
Abgesehen vom CDU-Gesamtergebnis dürfte Kretschmer am Wahlabend besonders auf eine Zahl geachtet haben: das Erststimmenergebnis im Wahlkreis Görlitz 2, seinem Wahlkreis. Er steht für das Dilemma, in dem Kretschmer steckt: In Görlitz ist die AfD stark, die Stadt ist von Abwanderung geplagt - alles konzentrierte sich darauf, ob die Zuversicht, die Kretschmer zu verbreiten versuchte, auch dort angekommen war.
Die Antwort lautet ja. Dem vorläufigen Ergebnis des Landeswahlleiters zufolge bekam Kretschmer 45,8 Prozent der Stimmen, rund acht Prozentpunkte mehr als der Kandidat der AfD.
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Die CDU hat es doch noch mal in Sachsen geschafft: Zeitweise sah es im Wahlkampf so aus, als ob sie den Spitzenplatz bei der Wahl an die AfD abgeben müsste. Nach den abendlichen Hochrechnungen liegt die Partei vom bisherigen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) mit mehr als 30 Prozent ein paar Prozentpunkte vor der AfD. Doch wie geht es weiter?
Das dürfte sich auch Kretschmer fragen: Denn der Koalitionspartner SPD ist noch weiter abgerutscht. Auch die CDU selbst büßte mehrere Prozentpunkte ein. Ein Bündnis von CDU und SPD dürfte in Sachsen keine Mehrheit mehr haben.
Das weiß auch der sächsische SPD-Spitzenkandidat und Vizeministerpräsident Martin Dulig. CDU und SPD, sofern sie denn zusammenarbeiteten, bräuchten einen dritten Bündnispartner.
Einen herben Rückschlag muss auch die Linke hinnehmen: Sie fällt von 18 Prozent auf 10. Die Ernüchterung ist der Landesvorsitzenden Antje Feiks (l.) deutlich anzusehen.
Ob die Grünen da mitmachen? Sie sind sicherlich eine Option. Sie können im Gegensatz zu vielen anderen Parteien in Sachsen Zugewinne verbuchen, landen aktuell bei 8,3 Prozent. Die Freude bei den Grünen-Spitzenkandidaten Wolfram Günther und Katja Meier ist jedenfalls groß.
Bonjour Tristesse: Die FDP um Spitzenkandidat Holger Zastrow legt zwar dezent zu, dürfte den Sprung in den Landtag aber wohl verpassen.
Die AfD fährt dagegen starke Zugewinne ein, landet bei knapp 28 Prozent. Im Bild: Spitzenkandidat Jörg Urban.
Auch in Brandenburg konnte die Partei von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sich knapp als stärkste Kraft behaupten. Sie büßte aber mehrere Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren ein.
In Brandenburg fällt die Linke so wie in Sachsen tief: Sie erhält nur noch etwa zehn Prozent, 2014 waren es noch 18. Im Bild sind die Landesvorsitzenden Diana Golze (l.) und Anja Mayer (M.) zu sehen.
Die AfD legte dagegen mehr als zehn Prozentpunkte zu und ist mit 23 Prozent zweitstärkste Kraft. Im Bild: Spitzenkandidat Andreas Kalbitz.
Wie in Sachsen auch können sich die Grünen in Brandenburg über Zugewinne freuen: Ursula Nonnemacher (r.) und Benjamin Raschke waren als Spitzenkandidaten angetreten.
Für die FDP und Spitzenkandidat Hans-Peter Goetz dürfte es mit einem Einzug schwierig werden.