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Mietprotest in Berlin Nackte Subjekte in begehrten Objekten

Münchner Preise für Berliner Apartments - das wollen sich empörte Hauptstädter nicht gefallen lassen. Polit-Aktivisten haben die Form des Wohnungs-Flashmobs bis auf ihren Kern entblößt. Sie tanzen nackt durch teure Mietobjekte, um Makler und Eigentümer zu erschrecken.
Von Anna Fischhaber

Berlin - Berlin ist eine billige Stadt. 4,83 Euro pro Quadratmeter kalt kostet eine Wohnung hier laut Mietspiegel im Durchschnitt - so günstig kommen Mieter in keiner anderen deutschen Metropole davon. Nicht in Hamburg und schon gar nicht in München.

Aber ist Berlin billig genug?

Die Mieten in der Hauptstadt steigen seit einigen Jahren. Zumindest in Bezirken wie Kreuzberg und Friedrichshain, die einst als Herzkammern der alternativ-kreativen Szene galten und jetzt schicker werden. Gebiete, in denen der Quadratmeter schnell mal 11,50 Euro kostet, was in etwa dem Münchner Durchschnitt entspricht.

11,50 Euro pro Quadratmeter - für eine Handvoll Polit-Aktivisten ein Grund, bei einer Besichtigung Tatsachen zu schaffen. Nackte Tatsachen.

Eine Hausbesichtigung in Kreuzberg. Der Andrang ist groß. Plötzlich geht alles ganz schnell. Die vermeintlichen Interessenten reißen sich die Kleider vom Leib und stürmen die Wohnung. Die erschrockene Maklerin kann nur noch zur Seite springen. Bis auf exotische Tiermasken sind nun fast alle Besucher nackt. Sie tanzen zu Musik aus dem mitgebrachten Lautsprecher. "Zu teuer" steht in großen, blauen Buchstaben auf dem Rücken einer Frau. Ein anderer Aktivist hat sich mit Dollarzeichen bemalt. Transparente werden hochgehalten, Luftschlangen geworfen. Alles auf dem schicken Parkett in dem Raum, der einmal das Wohnzimmer werden könnte.

Flashmobs

Berlin

Die unverhüllte Art des Wohnungshappenings ist noch eine Rarität in Deutschland - die Idee des in fremden Wänden allerdings ist nicht neu. In Paris veranstaltet das Aktionsbündnis Jeudi Noir seit einigen Jahren derlei innovative Mietwucher-Proteste, und auch in Zürich und Hamburg gab es schon Fette-Mieten-Partys. Aber wäre nicht Berlin, wären die Aktivisten hier nicht noch radikaler. Der größeren Aufmerksamkeit halber haben sie sich mit der Hedonistischen Internationalen zusammengetan, die auch schon mal nackt eine Nazi-Kneipe stürmte.

"Wir wollen schockieren"

Nach ein paar Minuten ist die Blitzbesetzung in Kreuzberg wieder vorbei - aber natürlich wird alles für YouTube dokumentiert, damit die FKK-Sabotageaktion Langzeitwirkung entfalten kann. Im Internet finden sich mehrere solcher Aufnahmen. "Wir wollen, dass jeder Makler, jede Hausverwaltung, die so etwas macht, damit rechnen muss, dass wir vorbeikommen", sagen Peter und Denis, als sie ein paar Tage später in Friedrichshain von ihren Aktionen berichten.

Wieder tragen sie gelbe Mausmasken. Ihren echten Namen verraten sie nicht. Ein Eigentümer hat einen Anwalt eingeschaltet und Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet. Abhalten lassen wollen sich die Aktivisten davon nicht. Sie organisieren sich weiter als loser Zusammenschluss per Internet und über Mundpropaganda. Jeder, der will, kann mitmachen.

Peter und Denis machen im wirklichen Leben Stadtteilarbeit und wohnen in Friedrichshain, wie viele ihrer Mitstreiter. Die Idee zu der etwas anderen Demonstration hatten sie, als sie in einer Kneipe über Probleme bei der Wohnungssuche sprachen. "Hier geht es zu wie im Wilden Westen", sagt Peter. Und wenn sie sich die Mieten nicht mehr leisten könnten, "wie geht es dann erst Familien, Alleinerziehenden, Menschen mit Behinderung?"

Sie beschlossen bei einem Quadratmeterpreis von mehr als zehn Euro aktiv zu werden. Politisch aktiv mit Spaßfaktor. "Wir wollten nicht dauernd auf Demos rennen, wo alle wütend und traurig sind", sagt Peter. "Sondern etwas Lebensbejahendes machen." Er hält Eigentümer für "unmoralisch" und "hemmungslos", sie müssten per Gesetzesänderung gestoppt werden. Dafür demonstriere man gerne auch ohne Kleider. "Wir wollen schockieren", sagt Peter. "Um unsere politischen Forderungen zu verbreiten."

"Die Berliner sind verwöhnt"

Andreas Stücke, Generalsekretär von Haus & Grund Deutschland, rät Eigentümern, Hausverwaltern und Maklern, locker zu bleiben. "Wer Spaß hat, sich bei solchen Gelegenheiten auszuziehen, soll das machen", sagt er SPIEGEL ONLINE. Er erwarte, dass diese Protestbewegung, "die jetzt vielleicht irgendwie hip ist", sich auch wieder legt. Der Berliner Wohnungsmarkt sei im Vergleich besonders günstig, sagt er mit Verweis auf internationale Studien.

"Die Berliner sind verwöhnt", sagt David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, der für 40 Prozent der Mietwohnungen in der Hauptstadt zuständig ist. "Wenn man sich die Zahlen anschaut, können sie selbst im Vergleich mit manchen Kleinstädten in den neuen Bundesländern nicht klagen." Seinen Berechnungen zufolge liegt die Belastung der Berliner Mieter bei 12,3 Prozent des Einkommens und die der Münchner bei 17,6 Prozent. "Vor der Wende wurden die Mietpreise künstlich niedrig gehalten", sagt Eberhart. Außerdem seien Häuser nicht mehr bewohnbar gewesen. Die Aufwertung sei daher im Interesse aller.

Doch gerade in zentralen Bezirken sind die Preise gestiegen: Dem Wohnungsmarktbericht 2009 zufolge liegt die mittlere Angebotsmiete für Friedrichshain-Kreuzberg bei 6,42 Euro - deutlich über dem Stadtdurchschnitt von 5,82 Euro. Besonders im unteren und mittleren Preissegment sei die Lage angespannt. Der Mietspiegel "gilt nur bei bereits bestehenden Mietverhältnissen", sagt Stefan Brenner vom Berliner Mieterschutzbund. Wer neu einziehe, für den sei der Preis frei verhandelbar. Das heißt: Je beliebter der Bezirk, desto teurer die Wohnung. Brenner teilt deshalb die Befürchtung, dass sich normale Mieter bestimmte Gegenden bald nicht mehr leisten können.

"Wir können Vorbild werden"

Auch der Berliner Senat beschäftigt sich inzwischen mit dem Thema. Am Dienstag beschloss er überraschend eine Bundesratsinitiative, um Mietsteigerungen zu deckeln. Bislang ist nur dann von Mietwucher zu sprechen, wenn in einer ganzen Stadt Knappheit herrscht. Die Bundesratsinitiative drängt nun darauf, das Gesetz auch auf einzelne Bezirke anzuwenden. Wenn in einem Viertel Wohnungsnot ist, dürfte die Neumiete dann nicht mehr als 20 Prozent über dem ortsüblichen Vergleich liegen. Ob die Initiative Erfolg hat, ist allerdings fraglich.

Peter und Denis hoffen nun auf Nachahmer. Drei Protestgruppen waren allein am vergangenen Sonntag in Friedrichshain unterwegs. In anderen Städten seien die Innenstädte längst tot, sagt Peter. "Aber in Berlin haben wir noch die Chance, etwas zu verändern. Wir können Vorbild werden."

Notfalls ein nacktes Vorbild.

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