Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mohring "Wer AfD wählt, bekommt Ramelows Linksbündnis"

Mike Mohring möchte dem CDU-Abwärtstrend trotzen und Ministerpräsident von Thüringen werden. Hier spricht er über die Versäumnisse seiner Partei, das Links-Bündnis als Hauptgegner und Brücken für AfD-Wähler.
Mike Mohring: "Wir müssen den Vertrauensverlust stoppen"

Mike Mohring: "Wir müssen den Vertrauensverlust stoppen"

Foto: Martin Schutt / DPA

SPIEGEL ONLINE: Ist die CDU noch zu retten?

Mohring: Klar.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll das gelingen?

Mohring: Die CDU ist Volkspartei. Und diesem Anspruch muss sie wieder gerecht werden. Sie muss gesellschaftliche Debatten bestimmen und ihnen nicht nachlaufen - oder gar sprachlos sein wie gegenüber dem Rezo-Video.

SPIEGEL ONLINE: Was ist derzeit das drängendste Problem für die CDU?

Mohring: Wir müssen in der Bundesregierung in den Arbeitsmodus kommen. Dinge entscheiden, die zugesagt sind. Der Eindruck, dass die Koalitionsparteien nur mit sich selbst beschäftigt sind, schadet auch der CDU massiv. Diesen Vertrauensverlust müssen wir stoppen.

SPIEGEL ONLINE: Das ist der Teil Regierungshandeln. Aber was ist mit der CDU als Partei, die nun auch deshalb mehr im Fokus steht, weil Angela Merkel nur noch Kanzlerin und Annegret Kramp-Karrenbauer Parteichefin ist.

Mohring: Diese Doppelspitze ist für uns ja auch ein Novum und kann sicherlich keine Dauerlösung sein. Aber darin liegt die Chance, die CDU neu aufzustellen und im Diskurs eigene Positionierungen zu entwickeln. Wir dürfen nicht mehr allein durch den Kompromiss in der Koalition wahrgenommen werden.

SPIEGEL ONLINE: Was ist noch CDU pur?

Mohring: Wir müssen die Fragen der Zeit aus unserem Koordinatensystem heraus beantworten. Dabei darf die CDU weder dem grünen Narrativ vom Untergang der Welt hinterherlaufen noch dem Narrativ der AfD vom Nationalismus als Allheilmittel.

Zur Person
Foto: imago images/ Müller-Stauffenberg

Mike Mohring, Jahrgang 1971, ist Parteichef und Vorsitzender der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag sowie seit Dezember vergangenen Jahres Mitglied im CDU-Bundespräsidium. In die Landtagswahl am 27. Oktober geht er als Spitzenkandidat der Thüringer Christdemokraten. Mohring hat eine Krebserkrankung überwunden, die er Anfang Januar mit einem selbstgedrehten Video öffentlich gemacht hatte.

SPIEGEL ONLINE: Geht es ein bisschen konkreter? Beispiel Klimaschutz. Was will die CDU da?

Mohring: Eins vorweg: Es ist der Eindruck entstanden, als hätte die CDU umweltpolitisch komplett versagt. Dabei sind in der Kanzlerschaft von Angela Merkel so weitreichende Entscheidungen getroffen worden wie nie zuvor: Atomausstieg, Energiewende, Kohleausstieg. Und jetzt geht es um die Frage, wie wir konsequenter CO2 reduzieren wollen. Unsere Antwort als Volkspartei muss die Interessen aller berücksichtigen, die weitere Spaltung der Gesellschaft verhindern. Maß und Mitte sind unsere Koordinaten. Ob und wie wir gegebenenfalls CO2 bepreisen wollen, wird bis zum Herbst feststehen.

SPIEGEL ONLINE: Liegt ein Defizit der CDU auch darin, dass viele Christdemokraten bis vor Kurzem nicht bereit waren, den Klimawandel und die Dringlichkeit politischer Antworten zu akzeptieren?

Mohring: Das würde ich angesichts der genannten Entscheidungen nicht generalisieren. Doch viele Kollegen haben sich wohl auch zu wenig mit wissenschaftlichen Erkenntnissen beschäftigt. Da gibt es Nachholbedarf. Wir können uns mit dem Problem nur angemessen auseinander setzen, wenn wir es als solches anerkennen. Für die Fraktionsvorsitzenden-Konferenz von CDU/CSU war es eine Bereicherung, Wissenschaftler von "Scientists for Future" zu Gast zu haben.

SPIEGEL ONLINE: Zeigt sich jetzt, dass Annegret Kramp-Karrenbauer doch nicht die richtige Vorsitzende ist?

Mohring: Eine Partei gewinnt nicht dadurch, dass sie ständig ihr Führungspersonal in Frage stellt - dafür muss man sich nur die SPD anschauen. Annegret Kramp-Karrenbauer wurde vor einem halben Jahr zur CDU-Chefin gewählt. Ich rate dringend von Personaldebatten ab. Wir alle müssen besser werden, durch Inhalte und Entscheidungen in der Sache.

SPIEGEL ONLINE: Wer wird Kanzlerkandidat der Union, falls es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt?

Mohring: Die kommen nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sicher?

Mohring: Die SPD in ihrem Zustand kann kein Interesse an Neuwahlen haben. Sollten die Sozialdemokraten doch aus der Regierung aussteigen, spricht viel für eine Unions-geführte Minderheitsregierung. Das wäre keine ideale Lösung, aber vorübergehend zumindest hinzunehmen.

SPIEGEL ONLINE: Mit Angela Merkel an der Spitze, die eine Minderheitsregierung nie wollte?

Mohring: Wenn sich die Umstände in der Politik ändern, können sich auch Einschätzungen ändern.

SPIEGEL ONLINE: Und wer wird Kanzlerkandidat, falls im Herbst 2021 wie geplant gewählt wird?

Mohring: Dann hat die Parteivorsitzende das erste Zugriffsrecht.

SPIEGEL ONLINE: In Thüringen wird Ende Oktober gewählt: Wie sehr leidet die CDU im Freistaat unter dem schlechten Bundestrend?

Mohring: Wir wünschen uns, dass die CDU in der Bundesregierung bei für uns wichtigen Schlüsselprojekten liefert. Da ist zum Beispiel die Grundrente, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Rentnern zu helfen, die unter der Grundsicherung liegen, obwohl sie gearbeitet haben, ist vor allem im Osten ein Thema.

SPIEGEL ONLINE: Die SPD will aber mehr: eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Sollte man dem Koalitionspartner also noch entgegenkommen, damit die Grundrente so rasch wie möglich kommt?

Mohring: Nein. Aber wir sollten beim Soli auch das umsetzen, was mit der SPD vereinbart ist, also die Abschaffung für 90 Prozent der Bürger, wie es im Koalitionsvertrag steht. Dann fehlen der SPD die Argumente für ihre weitergehende Forderung bei der Grundrente.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Parteifreund, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, hat sich gerade mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen und ein Ende der Sanktionen gegenüber Moskau gefordert. Er begründet das auch mit einer anderen Sicht in Ostdeutschland auf Russland. Hat er damit und mit seiner Forderung Recht?

Mohring: Der Thüringer Landtag hat schon 2017 gefordert, die wechselseitigen Sanktionen der Europäischen Union und Russlands möglichst zeitnah zu überwinden. Genauso klar hat er mit unseren Stimmen und denen von Rot-Rot-Grün beschlossen, dass das Minsker Abkommen erfüllt werden muss, um dieses Ziel zu erreichen. Das ist nach wie vor aktuell, da sich die Sachlage nicht geändert hat. Alles, was dazu beiträgt, diesen Weg Schritt für Schritt und Zug um Zug zu gehen, ist gut. Dialogbereitschaft ist dafür Voraussetzung und deshalb kam es im Osten gut an, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich mit Putin am Rande des G20-Gipfels in Buenos Aires getroffen hat. Am Ende hat das nicht mit unterschiedlichen Sichten auf Russland, sondern mit außen- und sicherheitspolitischen Interessen zu tun. Man kann auch von nationalen Interessen sprechen.

SPIEGEL ONLINE: Wer ist Ihr Hauptgegner bei der Landtagswahl: Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow oder die AfD?

Mohring: Rot-Rot-Grün ist unser Hauptgegner. Diese Koalition wollen wir mit einem bürgerlichen Bündnis in der politischen Mitte ablösen. Wenn wir Vertrauen zurückgewinnen, vor allem durch gute Regierungsarbeit in Berlin, sinkt auch die Zustimmung zur AfD.

SPIEGEL ONLINE: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hat SPIEGEL ONLINE gerade ein gemeinsames Interview mit Ramelow gegeben und für einen unverkrampften Umgang mit der Linkspartei geworben.

Mohring: Wer leicht verkrampft, ist auf der politischen Bühne ohnehin fehl am Platz. Vielleicht sind im Norden solche Lockerungsübungen noch nötig, für uns im Osten gilt seit Jahrzehnten: nicht ausgrenzen, aber klar abgrenzen. Wir wollen Ramelows Linkskoalition mit einer von der CDU-geführten Regierung der bürgerlichen Mitte ablösen. Vier Monate vor unserer Landtagswahl ist es hilfreich, sich nicht nur über das Wiedersehen mit dem netten Onkel aus dem Osten zu freuen, sondern auch zu sehen, dass er das Gesicht eines linken politischen Bündnisses ist, das sein Heil aus allen möglichen ideologischen Gründen in der Gängelung und Bevormundung der Bürger sucht und sogar Grundregeln der parlamentarischen Demokratie aushebelt. Da wird ein Haushalt für die neue Wahlperiode beschlossen, der dann in Kraft tritt, wenn ein neuer Landtag längst gewählt ist. Das ist nicht nur verfassungswidrig sondern einmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte.

SPIEGEL ONLINE: Und die AfD wollen Sie ignorieren?

Mohring: Nein. Aber sie ist ein politischer Gegner wie die anderen auch. Eines werden wir klar herausstellen: Wer in Thüringen AfD wählt, bekommt am Ende die Verlängerung von Ramelows Linksbündnis.

SPIEGEL ONLINE: Die Partei des rechten Hardliners Björn Höcke ist ein politischer Gegner wie alle anderen?

Mohring: Der Protest wandert im Osten von links nach rechts. Auch in Thüringen ist der Protest gegen die staatlichen Institutionen, gegen die Gesellschaft an sich, in Teilen inzwischen bei der AfD gelandet. Diese Wähler holen wir nicht zurück, in dem ich sie ständig in die rechte Ecke stelle und ihnen keine Hand mehr reiche. Volksparteien wie die CDU haben die Aufgabe, Brücken zu bauen. Weil Höcke mit seinen extremen Positionen die Gesellschaft spaltet, heißt es für uns nicht, etwaige Wähler einfach am Rande stehen zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von einem bürgerlichen Bündnis, um Ministerpräsident Ramelow abzulösen - was nach Lage der Dinge nur mit SPD und Grünen ginge. Und das soll funktionieren?

Mohring: Meine Wahlziele lauten: Rot-Rot-Grün ablösen und die CDU zur stärksten Kraft zu machen. Alles Weitere wird man sehen. Ich gehe davon aus, dass die Parteien in einer breiten bürgerlichen Mitte dann bereit sind, miteinander zu reden.

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