Mikrozensus 2000 Die Macht der Männer
Berlin - Es gibt Worte, die Winziges suggerieren und Großes verbergen. "Minimal" ist so ein Beispiel: steht für einen Supermarkt, klingt aber eher nach einem Krämerladen. Oder Mikrophon: klingt nach leisen Tönen, bedeutet aber Lautstärke.
Auch "Mikrozensus" ist so ein Wort. Diese Volksbefragung führt das Statistische Bundesamt jedes Jahr unter einem Prozent der Bevölkerung durch, was zunächst nach wenig klingt. Dahinter aber verbergen sich 800.000 Menschen, die einen Bogen mit 120 Fragen beantworten, was jeden Befragten und seinen Interviewer etwa eine Stunde kostet. Wollte ein Interviewer alle 800.000 Bürger befragen, bräuchte er dafür immerhin 91 Jahre!
Der Mikrozensus ist die größte europäische Haushaltsbefragung, wie der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann Hahlen, am Donnerstag in Berlin deutlich machte. Und nicht nur der Aufwand ist groß, auch die Ergebnisse sagen viel über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Lande aus.
Unterschiede zwischen Ost und West
Die im Mai 2000 durchgeführte Befragung belegt vor allem eines: Auch nach zehn Jahren deutscher Einheit leben die Menschen im Osten unter schwierigeren Bedingungen als im Westen. Und das nicht nur wegen der höheren Arbeitslosigkeit.
So hatten im Osten gut 13 Prozent aller Berufstätigen nur einen befristeten Arbeitsvertrag (im Westen nur acht Prozent). Amtsleiter Hahlen führte das auf die schwierige Arbeitsmarktlage in den neuen Ländern zurück. Gestiegen ist auch der Anteil der Erwerbstätigen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten. Der dünne Arbeitsmarkt führt auch dazu, dass immer mehr Menschen im Osten für einen Arbeitsplatz lange Anfahrten in Kauf nehmen.
Es gibt jedoch auch positive Signale aus dem Osten. So hatten zum Beispiel nur elf Prozent der Erwerbstätigen in den neuen Ländern keinen Ausbildungsabschluss; im früheren Bundesgebiet waren es 19 Prozent.
Positiv klingt zunächst auch der Anteil der Teilzeitarbeiter im Osten des Landes: 13 Prozent im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von 22 Prozent, darunter am meisten Frauen. Völlig verschieden sind jedoch die Motive für eine Teilzeitarbeit. Während im Westen viele Frauen wegen ihrer Kinder kürzer treten, arbeiten ihre Kolleginnen im Osten in der Regel nur deshalb weniger, weil sie keinen Vollzeitjob finden.
Führungspositionen sind eine Männerdomäne
Nicht nur zwischen Ost und West sind die sozialen Unterschiede also noch groß, sondern auch zwischen Männern und Frauen. Das zeigt vor allem ein Blick in die Führungsetagen deutscher Behörden und Unternehmen.
Über 60 Prozent aller Führungsaufgaben nehmen Männer wahr, nur ein Drittel Frauen. Statistik-Experte Hahlen sprach denn auch von einer "Zwei-Drittel-Gesellschaft".
Insgesamt übt jeder fünfte Mann eine leitende Funktion aus, aber nur jede zehnte Frau. Damit hat sich der Zugang von Frauen in Führungsposten in den vergangenen fünf Jahren nicht verbessert. Der Anteil sei auch deshalb so gering, weil Frauen nach der Babypause nur mit Schwierigkeiten in ihren Beruf zurückfänden, erklärte Hahlen.
Allerdings ist das Ausbildungsniveau von Frauen in den letzten Jahren gestiegen: Unter den 20 bis 30-Jährigen haben sogar mehr Frauen Abitur als Männer. Hahlen zeigte sich daher hoffnungsvoll: "Die Frauen holen in der Gesellschaft erheblich auf."
Der Osten holt auf
Nicht nur die Gleichberechtigung lässt noch zu Wünschen übrig, auch der Umweltschutz droht unter die Räder zu geraten. Nach dem Mikrozensus fahren zwei von drei Berufstätigen mit dem Auto zur Arbeit, die meisten mit dem eigenen Fahrzeug; nur fünf Prozent sind Mitfahrer. Im Westen hat sich daran seit zehn Jahren nichts geändert, wohl aber im Osten: Dort fuhr 1991 nur jeder dritte mit dem Auto zum Arbeitsplatz.
Trotz der hohen Aussagekraft der Ergebnisse des Mikrozensus forderte der Leiter des Bundesamts möglichst bald eine Volkszählung. Der letzte Zensus liegt im Westen 14 Jahre, in der ehemaligen DDR sogar noch länger zurück.
Anders als bei der Volkszählung von 1987 plant das Statistische Bundesamt für die erste gesamtdeutsche Erhebung allerdings keine Befragung der Haushalte, sondern einen Datenabgleich mit den Einwohnermeldeämtern und der Bundesanstalt für Arbeit. Das koste weniger und erspare den Bürgern Arbeit, sagte Hahlen.
Zunächst soll ein Probelauf unter ausgewählten Gemeinden starten, sobald der Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat. Der Makrozensus wird also frühestens nach der nächsten Bundestagswahl stattfinden. So müssen sich die Befragten des Mikrozensus 2000 zunächst auf weitere Hausbesuche einstellen: Denn wen das Bundesamt einmal auf der Liste hat, der wird vier Jahre in Folge befragt.