Militäreinsatz in Libyen Koalition der Kämpfer

Ex-Außenminister Fischer: "Mir bleibt da nur die Scham"
Foto: dapdBerlin - Joschka Fischer hat sich rar gemacht, seit er nicht mehr Außenminister ist. Aus den Debatten in seiner Partei hält der Grüne sich weitgehend raus, aus dem Wahlkampf auch, die Politik betrachtet er inzwischen von der hohen Warte.
Wenn er sich aber mal zu Wort meldet, dann richtig. So wie an diesem Dienstag.
Joschka Fischer hat einen Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben. Er knöpft sich darin die deutsche Außenpolitik vor, genauer: Die Enthaltung der Bundesregierung zu Libyen im Uno-Sicherheitsrat. Fischer schreibt: "Mir bleibt da nur die Scham für das Versagen unserer Regierung und - leider! - auch jener roten und grünen Oppositionsführer, die diesem skandalösen Fehler anfänglich auch noch Beifall spendeten."
Der Ex-Chefdiplomat ist außer sich. Er scheut nicht einmal vor dem ungewöhnlichen Schritt zurück, seinen Nachfolger direkt anzugreifen. Er wisse nicht, was sich Guido Westerwelle dabei gedacht habe, zunächst die arabischen Freiheitsrevolutionen zu feiern und sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo Beifall abzuholen, "nur um schließlich, als es im Sicherheitsrat zum Schwure kam, den Schwanz einzuziehen." Fischers Fazit: "Mit einer an Werte gebundenen Außenpolitik und mit deutschen und europäischen Interessen konnte das nicht viel zu tun gehabt haben."
Entsetzen über das deutsche Votum
Der Grüne ist Teil einer kleinen Koalition deutscher Politiker, die in Sachen Libyen klar für ein Eingreifen plädieren, sei es aus moralischer oder transatlantischer Überzeugung. Ungläubig haben sie beobachtet, wie lange die internationale Gemeinschaft gebraucht hat, um den Machenschaften von Muammar al-Gaddafi etwas entgegenzusetzen. Entsetzt sind sie über das deutsche Verhalten. Sie fragen sich, wie man sich an der Seite von Staaten wie Russland und China enthalten kann, wenn es gilt, die Zivilbevölkerung eines Landes vor Gräueltaten eines Despoten zu schützen. Sie warnen vor einem deutschen Sonderweg. Sie fühlen sich wie die letzten Aufrechten.
Für Kanzlerin Angela Merkel und ihren Vizekanzler Westerwelle ist diese Koalition der Kämpfer eine ernste Bedrohung. Viele der Gegner sind über die Parteigrenzen hinweg angesehene Außenpolitikexperten. Die Stimmen von Fischer und Co. haben Gewicht - in den Medien, aber auch in der Bevölkerung. Ihre Kritik schwächt die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und erhöht den Rechtfertigungsdruck.
Neben Fischer war es in den vergangenen Wochen vor allem einer, der offen für eine humanitäre Intervention trommelte: Daniel Cohn-Bendit. Wie kaum ein anderer warb er in den vergangenen Wochen für eine militärische Option in Libyen - beinahe hätte man dabei übersehen können, dass seine politische Heimat ebenfalls die Grünen sind. Cohn-Bendit sitzt für sie im Europa-Parlament und führt dort die Fraktion an. Aber mit dem dogmatischen Pazifismus in Teilen seiner Partei hat er schon lange abgeschlossen, der Jugoslawien-Krieg wurde für ihn zum Wendepunkt.
In Libyen befürchtete er früh, dass die Opposition aus eigener Kraft nicht mit Gaddafi fertigwerden würde. Deshalb brachte der Deutsch-Franzose als einer der ersten prominenten europäischen Politiker eine Flugverbotszone ins Gespräch - und legte immer wieder nach. So lieferte er sich im "heute-journal" ein hitziges Wortgefecht mit Moderatorin Marietta Slomka, als sie ihn in die Kriegstreiberecke stellen wollte. Das ist Cohn-Bendit nicht. Aber er hält militärische Mittel wie im Fall Libyen für opportun, wenn es dafür gute Gründe gibt. "Hier geht es um eine Befreiungsbewegung, die es fast aus eigener Kraft geschafft hätte, einen Diktator zu stürzen. Da haben wir beinahe eine einmalige Chance verpasst", sagt er im SPIEGEL-ONLINE-Interview.
"Die Enthaltung ist eine Schande"
Jene, die aus moralischer Überzeugung den Freiheitskampf der libyschen Bevölkerung mit Waffengewalt schützen wollen, findet man auch in der SPD. An durchaus überraschender Stelle. Dass ausgerechnet die ehemalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sich in dieser Hinsicht hervortat, hatte man in der Partei jedenfalls nicht unbedingt erwartet.
Die linke Sozialdemokratin hatte vergangene Woche einen bemerkenswerten Auftritt im Bundestag. Nachdem Außenminister Westerwelle das deutsche Votum zu rechtfertigen versucht hatte, setzte Wieczorek-Zeul zu einer Kurzintervention an. Sie erinnerte an das Prinzip der Schutzverantwortung der Vereinten Nationen, das auf den Erfahrungen des Genozids in Ruanda basiere. Dann sagte sie: "Ich finde es eine Schande, dass sich die Bundesregierung als Mitglied des Uno-Sicherheitsrates in dieser Situation enthalten hat." Ein Satz, der ziemlich quer zur Argumentation ihrer eigenen Parteiführung lag. Ihre Haltung vertrat sie am Montag auch im SPD-Parteivorstand, wenn auch unter Verzicht auf das Wort "Schande". Es folgte eine lebhafte Debatte.
Bei Union und FDP geht es weniger emotional zu. Das ist wenig überraschend, denn sitzt man in der Regierung, wirkt die Verantwortung disziplinierend. Während es bei den Liberalen niemand öffentlich wagt, den Kurs der Bundesregierung in Frage zu stellen, ist das bei der CDU etwas anders. Bei den Christdemokraten spielt zwar keiner den Cohn-Bendit. Kritik gibt es aber doch, wenn auch vor allem mit Blick auf die transatlantische Bündnistreue.
Mißfelder stellt sich gegen den Kurs der Bundesregierung
Allen voran der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, der sich für eine Flugverbotszone eingesetzt hatte, reagiert verärgert, wenn er auf die Enthaltung angesprochen wird. Der Chef der Jungen Union geht deutlich auf Distanz zu Westerwelle: "Der Minister hat seine Entscheidung getroffen. Der Minister hat seinen Botschafter in New York angewiesen. Er vertritt diese Entscheidung auch." Auch der CDU-Europapolitiker Elmar Brok plädierte für eine Flugverbotszone - notfalls gar ohne Uno-Mandat.
Das Grummeln zieht sich quer durch die Riege der Außenpolitiker der Union. Ruprecht Polenz, Chef des Auswärtigen Ausschusses, brachte die Diskrepanz zwischen der Forderung nach einem Rücktritt des Diktators und den von Deutschland befürworteten, aber erst langfristig wirkenden Sanktionen auf eine Kurzformel: Hier gebe es eine "operative Lücke". Und der CDU-Abgeordnete Manfred Kolbe, an sich Finanzexperte, fordert für die Parlamentsfragestunde am Mittwoch eine Klarstellung von der Koalition. Er will wissen: "Glaubt die Bundesregierung, dass allein die starken Worte des Bundesministers des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle den Diktator Muammar al-Gaddafi zur Einhaltung der Menschenrechte bewegen werden und das angekündigte Massaker an der Opposition in Bengasi verhindert hätten?"
Scharf gehen vor allem jene mit Merkels und Westerwelles Kurs ins Gericht, die nicht mehr aktiv im politischen Geschäft sind - wie Friedbert Pflüger. Der frühere CDU-Bundesvorstand spricht von einem schweren Fehler. Rhetorisch setze sich Deutschland für eine gemeinsame europäische Außenpolitik ein, "nun im konkreten Fall entscheidet man sich für einen Sonderweg."
Noch harscher reagiert Ex-Generalinspekteur Klaus Naumann, selbst CSU-Mitglied: "Deutschland hat zum ersten Mal seit 1949 einen Alleingang gewagt - und sich selbst international isoliert." Die Weigerung Deutschlands, sich an einer Flugverbotszone zu beteiligen, "rüttelt an der Verankerung Deutschlands im Westen und "dient somit nicht der Wahrung deutscher Interessen". Naumann bekennt offen: "Ich schäme mich für die Haltung meines Landes."
Es klingt ein bisschen nach Joschka Fischer.