Milliarden-Hilfskredite Wie der Angriff auf den Euro abgewehrt wurde

Die Politik als Getriebene der Märkte: Mit einer Blitzaktion und einem gigantischen Schutzschirm verhindern Deutschland und Frankreich einen Generalangriff auf den Euro. Hinter den Kulissen wurde heftig gestritten - SPIEGEL ONLINE zeichnet die dramatische Rettungsaktion nach.
Europäische Finanzminister in Brüssel: Starkes Signal mit hohen Folgekosten

Europäische Finanzminister in Brüssel: Starkes Signal mit hohen Folgekosten

Foto: GEORGES GOBET/ AFP

Berlin/London - Die Kanzlerin und ihr Vize klingen pathetisch: "Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland", sagt Angela Merkel. Guido Westerwelle wendet sich direkt an die Spekulanten: Sie sollten wissen, dass die EU "willens, bereit und in der Lage" sei, diese Angriffe abzuwehren.

Nach monatelangem Zögern, vielen Vertröstungen und vagen Versprechen gibt es nun einen Rettungsschirm für die Euro-Zone. Er lässt weder an Volumen noch an Konkretheit zu wünschen übrig. 750 Milliarden Euro insgesamt sollen bereitstehen, davon 440 Milliarden Euro an Kreditgarantien der Euro-Zone, 60 Milliarden Euro aus einem EU-Budget für Notfälle und 250 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF).

Es sind schwindelerregende Summen. Deutschland soll von der Garantiesumme bis zu 123 Milliarden Euro übernehmen - entsprechend seinem 28-Prozent-Anteil der Bundesrepublik an der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Nachricht hat die Deutschen am Sonntag ereilt, irgendwo zwischen Vorabendserie und Hochrechnungen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Doch erst am Montag, mit den Frühnachrichten und im Verlaufe des Tages, wird vielen klar, welche dramatischen Stunden da zurückliegen. Und vielleicht noch vor ihnen.

Demonstration finanzieller Feuerkraft

Fürs Erste scheint die erhoffte Wirkung einzutreten. Die Finanzmärkte reagieren am Montag beeindruckt auf die Demonstration finanzieller Feuerkraft. Die Kurse an den Weltbörsen gehen nach oben, die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen von Euro-Ländern fallen. Spekulanten, die in den vergangenen Wochen massiv gegen den Euro gewettet hatten, holen sich eine blutige Nase. Für die nächsten Monate, sagten Analysten voraus, werde der Euro erstmal Ruhe haben.

Die Politik zeigt sich allerdings, wieder einmal, als Getriebene der Märkte - die vergangenen Tage haben das dramatisch offenbart:

Am Freitag in Brüssel: Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich zum Euro-Sondergipfel. Eigentliches Thema sollte die Griechenland-Hilfe sein. Doch die Börsen weltweit spielen ihr eigenes Spiel. Schon am Nachmittag gibt es eine Schaltkonferenz der G-7-Finanzminister. Auf der Tagesordnung: die Warnzeichen an den Börsen. Abends schließlich schildert der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, bei einem Treffen der Euro-Notenbankchefs die Dramatik der Lage. Eine Spekulationswelle rolle auf die Euro-Zone zu. Das Ziel sei es zu testen, ob der Euro breche oder nicht. Nun geht es um Stunden - am Montagmorgen öffnet als erste die Börse in Tokio.

Bis dahin braucht es ein starkes Signal. In Brüssel geraten Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy aneinander. Merkel sieht die Aktion skeptisch, mahnt zur Besonnenheit. Vor allem die französische Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung hatte sie bislang abgelehnt. Man habe sehr harte Verhandlungen mit ihr führen müssen, heißt es in Paris. Sogar US-Präsident Barack Obama habe Merkel anrufen müssen, um auf sie Druck auszuüben. Während Sarkozy einen Beschluss bereits am gleichen Tag fordert, drängt Merkel auf ein Sondertreffen der Finanzminister.

Brüderle darf Schäuble nicht vertreten

Am Sonntagnachmittag wird schließlich die Sondersitzung der Euro-Finanzminister angesetzt. Ausgerechnet in dieser Lage aber wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, seit langem angeschlagen, in Brüssel ins Krankenhaus eingeliefert. Eine allergische Reaktion auf ein neues Medikament, heißt es offiziell. Staatssekretär Jörg Asmussen, ein erfahrener SPD-Mann, vertritt ihn vor Ort, doch es fehlt ein politischer Entscheidungsträger.

Eilig wird am frühen Sonntagabend CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maiziére nach Brüssel entsandt. Eigentlich wäre es die Aufgabe von FDP-Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, den Erkrankten zu vertreten. Doch Merkel persönlich entscheidet sich für ihren Vertrauten. Offizielle Erklärung ihres Regierungssprechers: Als Verfassungsminister sei de Maiziére in den vergangenen Tagen mit der Euro-Frage "intensiv befasst" gewesen.

In Wirklichkeit aber traut Merkel dem FDP-Mann Brüderle nicht zu, die Sache in Brüssel zu regeln. Während der Griechenland-Hilfe hatte der Liberale munter über Zahlen in den Medien geplaudert - zum Ärger der Kanzlerin.

Dabei braucht sie gerade jetzt einen gesunden Bundesfinanzminister. Denn es wird, wieder einmal, gepokert zwischen Berlin und Paris, den beiden stärksten Wirtschaften in der Euro-Zone. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy will den großen Wurf, kein Klein-Klein der Kanzlerin mehr.

Dann sickert die Nachricht durch, dass 500 Milliarden Euro für den Rettungsschirm bereitgestellt werden sollen. Sarkozy beeilt sich mitzuteilen, es sei seine Idee gewesen. Der deutschen Seite ist vor allem eines wichtig: Es soll keine gesamtstaatliche Haftung geben. Berlin will keine Transferunion, Merkel setzt sich in diesem Punkt durch.

EZB erhöht nicht die Geldmenge

Doch vieles, was einst heilig war, gilt nicht mehr. Für Aufsehen sorgt die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen von bedrängten Euro-Staaten aufzukaufen. Das ist ein Bruch mit bisherigen Grundsätzen. Die EZB betont jedoch, es handele sich nicht um "quantitative easing", wie es seit Monaten von der Federal Reserve und der Bank of England praktiziert wird. Die Notenbanken der USA und Großbritanniens hatten in großem Stil die Staatsanleihen ihrer eigenen Regierung aufgekauft und so die Geldmenge deutlich erhöht.

Die EZB versichert, sie kaufe die Anleihen nur, um den Anleihenmarkt am Laufen zu halten. Die Geldmenge erhöhe sich nicht, sondern werde durch Gegenmaßnahmen stabil gehalten. Das ist ein Punkt, der auch Merkel wichtig ist. Ausdrücklich weist sie in Berlin darauf hin. Damit werde der Inflationsgefahr begegnet.

Für Merkel zeigt die konzertierte Aktion, dass die EU handlungsfähig ist. Selbst einzelne Nicht-Euro-Staaten wie Schweden und Polen beteiligen sich an dem Teil des Rettungspakets, der nur von der kleineren Euro-Zone getragen werden soll. Und schließlich: Alle 27 EU-Mitglieder tragen die Kosten des EU-Beitrags von 60 Milliarden Euro. Bei einigen sorgte dies für Empörung - nicht zuletzt in Großbritannien. "Wir sichern nicht den Euro ab", musste sich der britische Finanzminister Alistair Darling verteidigen.

Doch tun die Briten dies natürlich doch: Mit acht Milliarden Pfund wären sie laut Darling dabei, wenn der EU-Beitrag komplett abgerufen würde. Es handele sich um einen "guten Deal" für Großbritannien. Schließlich hänge auch die eigene wirtschaftliche Stabilität von der Euro-Zone ab.

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