Ministerpläne Schäuble will Abschuss von Passagierjets bei Terrorgefahr erlauben
Hamburg - Vor bald einem Jahr, im Februar 2006, hatte das Bundesverfassungsgericht das Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Der Abschuss eines Passagierflugzeugs nach der Abwägung "Leben gegen Leben" sei ein Verstoß gegen Artikel 1 Grundgesetz ("Die Würde des Menschen ist unantastbar"), lautete die Begründung.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält dennoch an seinem Plan fest, die Tötung von Passagieren bei drohenden Terroranschlägen mit Flugzeugen zu erlauben. Dazu soll es künftig neben dem in der Verfassung vorgesehenen "Verteidigungsfall" einen "Quasi-Verteidigungsfall" geben, sagte Schäuble der "Süddeutschen Zeitung". Die Entführung eines Flugzeugs durch Terroristen solle demnach einen solchen Quasi-Verteidigungsfall darstellen und berechtige die Bundeswehr zum Abschuss des Flugzeugs. Schäuble sagte der "SZ", diese Gesetzespläne seien in seinem Ministerium "auf Fachebene" erarbeitet worden.
Schäuble zufolge werde das Luftsicherheitsgesetz die Einführung des Quasi-Verteidigungsfalls verfassungsgemäß gemacht. Im Falle der Feststellung des Quasi-Verteidigungsfalls gelten nach Ansicht von Schäuble die Regeln des Kriegsvölkerrechts - "also vor allem die Regeln des Genfer Abkommens über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte", heißt es in dem Bericht.
Das Genfer Abkommen sieht vor, dass nur Angriffe verboten sind, "die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen". Schäuble zufolge bleibe aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe wie einem Terroranschlag per Flugzeug der Abschuss einer entführten Passagiermaschine gesetzlich erlaubt wird. Demnach sei der Tod von unschuldigen Passagieren in einem solchen Fall folglich zu akzeptieren.
Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Februar bei seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass der Staat nicht die Ermächtigung geben dürfe, Menschen zu opfern, um auf diese Weise eventuell mehr Menschen zu retten. Gleichwohl hatten die Richter in Karlsruhe nicht die Frage erörtert, ob ein solches Vorgehen im Verteidigungsfall möglicherweise doch juristisch anders zu bewerten sei; diese Frage stand damals nicht zur Debatte.
In diese Lücke drängt Schäuble nun mit seinem Vorstoß. Der "SZ" sagte er, sein Ministerium habe geprüft, ob ein terroristischer Angriff als Verteidigungsfall gewertet werden könne. Man habe sich zwar dagegen entschieden, habe ihn aber "in seiner Qualität dem Verteidigungsfall" gleichgestellt. Der entsprechende Artikel in der Verfassung solle nun entsprechend geändert werden.
Dem "SZ"-Bericht zufolge mahnte der FDP-Rechtspolitiker Max Stadler Schäuble, das Urteil des Verfassungsgerichts zu respektieren. SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz nannte Schäubles Pläne demnach "nicht akzeptabel".
kaz