Mittelstandschef Schlarmann Merkels letzter Widersacher

Gegen die Politik von Angela Merkel regt sich kaum noch Protest. Eine Ausnahme ist Josef Schlarmann, der sich Kritik am Kurs der Union in der Großen Koalition nicht verkneift. Deshalb soll der Chef der Mittelstandsvereinigung nun stärker in die Partei eingebunden werden.

Berlin - Josef Schlarmann sitzt am Schreibtisch und malt vier Kreise auf ein weißes Papier. Sie sind unterschiedlich groß. Dann beschriftet er sie. Einer steht für die "Traditionsbewussten", ein fast gleich großer für die "Christlich-Sozialen", ein kleiner für die "Gesellschaftspolitisch Liberalen". Der größte Kreis heißt: die "Marktwirtschaftsorientierten". Dann malt er eine Zahl hinein - 32 Prozent.

"Dazu zählen wir", sagt der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung. Er legt den Stift beiseite.

Die Zahlen und soziologischen Begrifflichkeiten entstammen einer Studie der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung über CDU-Mitglieder. Für Schlarmann sagt die Umfrage eigentlich alles: Die Partei müsste sich mehr um Selbständige, Unternehmer, Anwälte, Ärzte kümmern.

Müsste. Sollte.

Josef Schlarmann, Bundesvorsitzender der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung: "Ich hatte noch die Probleme damit, Autoritäten zu kritisieren"

Josef Schlarmann, Bundesvorsitzender der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung: "Ich hatte noch die Probleme damit, Autoritäten zu kritisieren"

Foto: DPA

Seit 2005 führt er die Mittelstandsvereinigung. Sie hat rund 30.000 Mitglieder. Es ist keine unwichtige Gruppe für die Union. Doch manchmal hat er das Gefühl, manche in der Führung glaubten, sie vernachlässigen zu können. Irgendwann, im Spätherbst 2007, da konnte der Niedersachse, der eigentlich ein ruhiger Zeitgenosse ist, seinen Groll nicht mehr zügeln. "Für mich kam die Wende, als die Kanzlerin das Tor zu den Mindestlöhnen mit dem Entsende- und Mindestarbeitsbedingungsgesetz weit geöffnet hat", erzählt er. Da habe er sich schließlich gesagt: "Das kann ich jetzt nicht mehr Franz Müntefering allein anlasten, sondern auch Frau Merkel."

Von da an aber wurde es schwierig für Schlarmann - zumindest mit seinem Verhältnis zur Parteispitze. Er habe ein Tabu berührt, "denn in der CDU kritisiert man die Parteivorsitzende nicht öffentlich".

Ein Interview im SPIEGEL und seine Folgen

Es war vor allem ein Interview im SPIEGEL, das im April für Aufsehen sorgte. Merkel sei "eine Machtkanzlerin geworden", ihre Reformpolitik sei "ungenügend", das Wahlprogramm 2005 liege "auf dem Müll".

Es war, als redete er sich den Frust vom Leib, auch über CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Es habe massive Versuche gegeben, ihn einzuschüchtern, erzählte er damals, "unfreundliche Anrufe", unter anderem von Pofalla. Der Vertraute der CDU-Vorsitzenden reagierte prompt. Es sei selbstverständlich für eine Volkspartei, Einwände zu äußern, aber "diese unsachliche Kritik ist allerdings nicht okay".

Dann war erst einmal Schweigen angesagt. Zwischen Pofalla und ihm und Merkel sowieso. "Ich hatte mir das Interview im SPIEGEL gut überlegt. Die Reaktionen einiger Parteifreunde darauf fand ich überzogen. Sie zeigten aber, wie sich einige festgefahren hatten - was meine politische Rolle angeht", sagt er. Aus dem Umfeld der Kanzlerin haben sie dennoch auf ihn eingeredet. Hildegard Müller etwa, die im Herbst aus dem Kanzleramt ausscheidet und ebenfalls im Vorstand der Mittelstandsvereinigung ist.

Schlarmann jedoch blieb bei seiner Kritik. Sie war nicht mehr so scharf wie im SPIEGEL, aber er ließ es sich nicht nehmen, die Politik der Großen Koalition weiter anzugreifen. Erfrischend sagen einige, unklug andere. "Schlarmann hat einfach überzogen", sagt ein Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Als er Merkel jüngst wieder einmal vorhielt, sie habe viele CDU-Positionen aufgegeben und identifiziere sich als Kanzlerin stärker mit der Politik der Großen Koalition, ging der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Michael Fuchs, auf Distanz. Er könne "diese Pauschalkritik von Herrn Schlarmann so nicht akzeptieren", die Koalition habe "viel erreicht".

Die CDU und die Wirtschaft - das ist unter Merkel eine schwierige Paarung. Im September hat die Bundestagsfraktion daher zum Unternehmertag eingeladen. Jeder der 223 Unionsabgeordneten soll vier Mittelständler mitbringen dürfen. Die Wirtschaftszeitschrift "impulse" sprach schon von einem Kongress "im Stil eines Politbüros - mit zahmen Teilnehmern". Das Blatt rief kritische Geister auf, sich für das Treffen anzumelden, damit "nicht nur Fans jubeln".

Die neue Unübersichtlichkeit

Der bald 69-jährige Schlarmann, verheiratet und Vater dreier Kinder, ist beruflich abgesichert. Seit 1982 ist er in der CDU, er muss niemanden nach dem Mund reden, weil er sich nicht mehr um seine Karriere sorgt. Das macht einen Teil seiner Freiheit aus. 120 Menschen arbeiten in der Wirtschaftskanzlei, in der er Sozius ist. "Wenn sich jemand nur auf seine Amtsautorität beruft, dann werde ich schnell widerborstig. Ich hatte noch nie Probleme damit, Autoritäten zu kritisieren. Das hängt vielleicht auch mit meinem Beruf zusammen. Dafür ist Konfliktfähigkeit und selbstbewusstes, unabhängiges Auftreten eine Grundvoraussetzung", sagt er.

Wenn Schlarmann aus dem innerstädtischen Büro seiner Kanzlei in Hamburg tritt, sind es nur fünf Minuten zum Rathaus. Da sitzt Ole von Beust, ein Christdemokrat wie er. Doch die politische Entfernung zwischen beiden könnte derzeit nicht größer sein. Der Erste Bürgermeister der Hansestadt regiert seit dem Frühjahr mit den Grünen, mit dem ausdrücklichen Segen der CDU-Vorsitzenden. Schlarmann, ein bekennender Schwarz-Gelber, sieht solchen Experimenten mit gemischten Gefühlen zu.

Merkel hat die CDU bunter, aber auch unübersichtlicher gemacht. Sie will neue Wählerschichten erreichen - und riskiert dabei, Männer wie Schlarmann zu vergraulen. Familienministerin Ursula von der Leyen etwa will die Kitas ausbauen und hat das Elterngeld eingeführt. Sie macht, was eigentlich der SPD oder den Grünen zugeschrieben wird. Nach dem Raster der Adenauer-Studie gehört von der Leyen zur Gruppe der "Gesellschaftspolitischen Liberalen". 17 Prozent der CDU-Mitglieder sind das - und damit die kleinste Gruppe in der Partei. Und so sagt Schlarmann seit langem und immer wieder, von der Leyen verprelle mit ihrer Politik die Stammwähler. Die Ministerin hat das kühl zurückgewiesen. Sie könne ihn "beruhigen", ließ sie ihn per Interview wissen, ihre Politik finde eine breite Unterstützung, "in der Bevölkerung und auch in der Union".

Schlarmann, Merkel, von der Leyen - das ist auch die Suche nach dem richtigen Kurs.

Seit langem mal wieder ein Telefonat mit dem Adenauer-Haus

Schlarmann hat an diesem Augusttag einen Anruf von Pofalla bekommen. Es ist lange her, dass beide miteinander gesprochen haben. Der CDU-General will ihn dabei haben, wenn für den Bundesparteitag im Dezember ein Antrag erarbeitet wird. "Die Mitte stärken", soll das Papier heißen. Am Tag vor dem Telefonat hat sich Schlarmann in Berlin auch mit Unionsfraktionschef Volker Kauder getroffen. Der hat zugehört, gefragt, nachgehakt. Es scheint, als sei die Zeit, in der Schlarmann von der CDU-Führung wie ein Außenseiter behandelt wurde, vorbei. "Dass ich als Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung eine eigene politische Meinung haben kann, wollen einige nicht akzeptieren. Nun ist möglicherweise die Phase der Entspannung angebrochen", sagt er.

Eigentlich müssten sie in Berlin einem wie Schlarmann dankbar sein. Einem, der sich traut zu sagen, was andere nicht in den Zeitungen neben ihrem Namen lesen wollen. Einer, der eben nicht eingebunden ist in das Geflecht an gegenseitigen Rücksichtnahmen und Verpflichtungen. Er ist, was in der Politik selten ist, ein halbwegs unabhängiger Kopf. Was, wenn er in Berlin im Bundestag säße? "Ausgeschlossen, dass ich so agieren könnte, wie ich es tue", sagt Schlarmann ohne Umschweife. "Der Fraktionsvorstand würde mir doch den halben Tag auf der Pelle sitzen." Und dann fügt er hinzu: "Auf mein Recht zur freien Rede würde ich aber nie verzichten wollen."

Vielleicht hoffen sie jetzt in Berlin, Schlarmann gefügiger machen zu können. Er selbst ahnt die Gefahr. Sicher, sagt er, man könne das natürlich auch negativ auslegen: "Jetzt haben sie den Schlarmann wieder eingebunden." Er sehe das aber positiv: "Die CDU-Spitze hat eingesehen, dass wir die bürgerliche Mitte und damit auch den Mittelstand brauchen."

Für die Zukunft hat er sich einiges vorgenommen. "Ich habe immer gesagt: Politik ist keine Einbahnstraße. Wenn ich der Partei helfen soll, dass die bürgerliche Mitte der Union erhalten bleibt, dann geht das nicht ohne Gegenleistung", sagt er. Und das heißt für Schlarmann: Teilhabe an der politischen Gestaltung. "Also beispielsweise in der Kommission", sagt er, "die das Wahlprogramm erarbeitet."

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren