
Berlin: Wowereit tritt ab
Bewerber um Wowereit-Nachfolger Duell der Zwerge
Berlin - Es ist nicht davon auszugehen, dass so wenig Platz im Presseraum des Roten Rathauses sein wird, wenn dereinst Klaus Wowereits Nachfolger seinen Rücktritt ankündigen wird. Am Dienstag steht die Luft schon nach fünf Minuten in Raum 319, so voll ist es, während der Regierende Bürgermeister im taubenblauen Anzug die Gründe für seinen Abgang erläutert.
Wowi geht - da wollen alle dabei sein.
Wowereit ist, wenn er Spaß hat - und an diesem Tag scheint das trotz des ernsten Anlasses so zu sein - ganz großes Theater. Er endet wegen des BER-Desasters als Pannen-Wowi. Aber davor: dreimal hintereinander gewählt, mehr als 13 Jahre im Amt - das hat als Regierender, wie sie in Berlin ihren Bürgermeister nennen, noch keiner geschafft. Wowereit war lange eine Marke, die über die Hauptstadt hinaus strahlte - und Wowereit einer, dem man mehr zutraute: Er galt sogar als möglicher Kanzlerkandidat.
Davon sind Jan Stöß und Raeh Saleh, die beide Wowereits Nachfolge antreten wollen, weit entfernt. Der SPD-Landesvorsitzende Stöß, 41, arbeitet als Verwaltungsrichter, Politik macht er derzeit nebenher. Saleh, 37, führt die sozialdemokratische Fraktion im Abgeordnetenhaus an, aber seine Gegner behaupten, selbst das überfordere ihn bereits - bestenfalls zweite Liga also. Das ist der Kader, aus dem die Berliner SPD nun den Nachfolger von Wowereit rekrutieren will.
Das ist offenbar auch dem SPD-Parteivorsitzenden aufgefallen, Sigmar Gabriel soll nach Informationen des "Tagesspiegel" schon außerhalb Berlins nach einem Kandidaten Ausschau halten. Demnach hat Gabriel beim Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, angeklopft: Der habe freundlich abgesagt.
Angeblich tendiert Wowereit zu Saleh
Spitzenimporte sind in der Hauptstadt meist auf die Nase gefallen, auch Amtsinhaber Wowereit hält wenig von einem auswärtigen Nachfolger. Also noch weniger als vom Landesvorsitzenden Stöß, der ihn in der Vergangenheit immer mal wieder gepiesackt hat, zuletzt in der Steueraffäre um den damaligen Kultur-Staatssekretär André Schmitz. Ob Wowereit nur deshalb zu Fraktionschef Saleh tendiert, wie es heißt?
Andererseits: Viel wird Wowereit in Sachen Nachfolger ohnehin nicht mehr mitreden können. Er hat gerade noch den richtigen Zeitpunkt erwischt, um einigermaßen souverän abzugehen, ab jetzt bestimmen andere. "Es ist nicht so angesagt, dass man sich als Ausscheidender so einmischt", sagt Wowereit.
Es wird wohl auf ein Duell zwischen Stöß und Saleh hinauslaufen. Arbeitssenatorin Dilek Kolat, der ebenfalls Ambitionen auf die Nachfolge Wowereits zugeschrieben wurden, hat am Dienstag abgesagt, genau wie vor einigen Wochen Eva Högl, die Berliner SPD-Spitzenkandidatin im vergangenen Bundestagswahlkampf. Der frühere SPD-Chef und Stadtentwicklungssenator Michael Müller ist als Wowereit-Mann inzwischen wohl chancenlos. Und Finanzsenator Ulrich Nußbaum ist zwar enorm populär in Berlin, hat aber kein Parteibuch. Allein deshalb dürfte er im SPD-Nachfolgerennen außen vor bleiben.
Am Dienstag beschloss der SPD-Landesvorstand, per Mitgliederentscheid über die Nachfolge entscheiden lassen zu wollen. Bei einem Votum der Sozialdemokraten rechnet sich Stöß, der dem linken Lager in der Berliner SPD zugerechnet wird, offenbar die besseren Chancen aus. Ohnehin hat Stöß den Vorteil, dass er als Landesvorsitzender den Nachfolgeprozess maßgeblich steuern kann.
Stöß ist der Typ Neu-Berliner Intellektueller
Saleh ist auf den ersten Blick der interessantere Kandidat: Gebürtiger Palästinenser, aufgewachsen in einer Hochhaussiedlung in Berlin-Spandau, wo er sich in einer Burger-King-Filiale vom Fritteusenmann zum Geschäftsführer hocharbeitete; inzwischen gilt er als Integrationsvorbild. Stöß dagegen: Ein bekennender Homosexueller, er trägt Hornbrille und wirkt wie der Prototyp des Neu-Berliner Intellektuellen.
Seit Stöß im Juni 2012 den damaligen Parteichef und Wowereit-Vertrauten Müller in einer Kampfabstimmung besiegte, wurden ihm Ambitionen auf den Regierungschef-Sessel nachgesagt. Saleh wiederum machte erst kurz vor dem Parteitag im Mai dieses Jahres einen Rückzieher als Herausforderer von Stöß um den SPD-Vorsitz, offenbar sah er seine geringen Chancen ein.
Ob die sich inzwischen verbessert haben? Allerdings erhielt Stöß - ohne Gegenkandidaten - auch nur gut 68 Prozent der Delegiertenstimmen. Breiter Rückhalt sieht anders aus. Es könnte ein ziemlich heftiger Zweikampf werden, fürchten manche in der SPD, was der ohnehin angeschlagenen Partei erst recht schaden würde.
Oder gibt es doch Neuwahlen, wie es Grüne und Linke fordern? CDU-Landeschef Frank Henkel sagt Nein. Aber vielleicht schaut dessen Partei nur ein Weilchen zu, wie die SPD sich selbst zerfleischt, um dann doch die Koalition aufzukündigen und Neuwahlen herbeizuführen - und am Ende wird einer aus der CDU Wowereits Nachfolger.