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Mögliche Wulff-Nachfolger Wer jetzt die besten Chancen hat

Christian Wulff tritt zurück - und schon beginnt das Feilschen um einen Nachfolger. Anders als 2010 will die Kanzlerin den nächsten Bundespräsidenten mit SPD und Grünen abstimmen. Doch allzu viele gemeinsame Kandidaten kommen nicht in Frage.

Berlin - Eines ist sicher: Angela Merkel hat inzwischen Erfahrung gesammelt im Umgang mit Rücktritten. Ob Franz Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Horst Köhler - stets handelte die Kanzlerin nach der Maxime, rasch einen Nachfolger zu finden. Das soll auch nach dem Abgang von Bundespräsident Christian Wulff so sein. Schon am Samstag wollen sich die Spitzen der schwarz-gelben Koalition treffen. Die Causa Wulff - sie soll möglichst schnell aus den Schlagzeilen verschwinden.

Ganz leicht wird es nicht, einen geeigneten Nachfolgekandidaten zu finden. Aus Merkels Sicht gilt es einiges zu beachten: Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung sind knapp. Und im Saarland und Schleswig-Holstein stehen Landtagswahlen an. Inmitten dieser taktischen Überlegungen muss die Kanzlerin jemanden finden, dessen Image sich deutlich von dem Wulffs abhebt. Jemanden, der in der Bevölkerung als ehrlich und integer gilt. Für die Wiederherstellung des Präsidentenrufs ist das die wohl wichtigste Voraussetzung.

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Mögliche Wulff-Nachfolger: Die Schloss-Anwärter

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Einen schwarz-gelben Alleingang wie 2010 will Merkel unter diesen Bedingungen offenbar vermeiden. Man werde nach den eigenen Beratungen auf SPD und Grüne zugehen, mit dem Ziel, "einen gemeinsamen Kandidaten" für das Amt des Bundespräsidenten vorschlagen zu können, betonte die Kanzlerin zur Freude der Opposition. Doch was so uneigennützig klingt, dürfte in Wahrheit eine kleine Falle sein. Jedenfalls wäre es äußerst überraschend, wenn Merkel mit der Opposition am runden Tisch über die Personalie verhandelt. Eher dürfte es darum gehen, an SPD und Grüne mit einem Vorschlag heranzutreten, den diese kaum ablehnen können.

Klar ist: So freundlich Sozialdemokraten und Grüne Merkels Idee eines überparteilichen Kandidaten kommentieren - ganz ohne Risiko wäre ein gemeinsamer Vorschlag aus ihrer Sicht nicht. Es spricht viel dafür, dass er in der Öffentlichkeit als Vorbote einer Große Koalition gedeutet würde. Vor allem für die SPD wäre das in den Landtagswahlkämpfen alles andere als hilfreich.

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Ex-Bundespräsident: Wulffs Aufstieg und Fall

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So wird der "gemeinsame Kandidat" zur Definitionssache. Allzu viele Lösungen, die dieser Kategorie gerecht werden, drängen sich nicht auf. Grundsätzlich vorstellbar wäre Norbert Lammert. Der 63-Jährige hat sich mit seinem überparteilichen Amtsverständnis viel Respekt in den Reihen der Opposition erarbeitet. Nur leider hat sein Ruf in Union und FDP deswegen Schaden genommen. "Lammert würde wohl mehr Stimmen von der Opposition bekommen als von uns", scherzt ein Koalitionsabgeordneter.

Als einer der möglichen Kandidaten, die bei Koalition und SPD auf Zustimmung stoßen könnte, gilt der jetzige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Der Jurist hat den Vorteil, dass er als Parteiloser auf SPD-Ticket in das höchste Gericht gewählt wurde. In der Öffentlichkeit ist er weitgehend unbekannt. Zuletzt hatte Voßkuhl, 1963 geboren, einen Auftritt an der Seite von Christian Wulff am Holocaust-Gedenktag im Bundestag. Beide stützen den gebrechlichen Laudator Marcel Reich-Ranicki, als dieser zum Rednerpult ging.

Klaus Töpfer galt schon 2010 als möglicher Kandidat. Alt genug für das höchste Staatsamt ist er - stolze 73 Jahre. Bei SPD und Grünen kann man sich den freundlichen Christdemokraten gut als Bundespräsidenten vorstellen, dort genießt er wegen seines jahrelangen umweltpolitischen Engagements große Sympathien. Vor allem bei den Freidemokraten aber hat er wenig Freunde. Dort hält man ihn für einen blauäugigen Öko-Aktivisten.

Wolfgang Schäuble ist schon mehrfach für das höchste Staatsamt gehandelt worden, auch die Opposition könnte wohl wenig gegen eine Kandidatur Schäubles hervorbringen. Doch mag sich bei Schwarz-Gelb niemand so recht ausmalen, was ein Bundespräsident Schäuble für den eigenen Laden bedeutete. Besonders die FDP hat in den vergangenen 24 Monaten die Härte des 69-Jährigen zu spüren bekommen. Hinzu kommt: Schäuble gilt in der Finanzkrise als unabkömmlich, ihn mitten in der Legislatur auszutauschen, wäre ein zu hohes Risiko für Merkel.

Gleiches gilt für Thomas de Maizière. Den Verteidigungsminister sähen viele sowohl auf Koalitions- als auch auf Oppositionsseite gern im Schloss Bellevue. Aber wie Schäuble ist de Maizière einer der wenigen Leistungsträger in der Bundesregierung. Merkel wird es sich kaum leisten können, auf ihren langjährigen Vertrauten im Kabinett zu verzichten.

Wahrscheinlicher ist da schon Ursula von der Leyen. Ihr wird gemeinhin ein gewisses Interesse am höchsten Staatsamt eingeräumt. Nach dem Rücktritt Horst Köhlers 2010 schien die Bundesarbeitsministerin und energische CDU-Frau vielen als die Top-Anwärterin auf die Nachfolge. Doch nicht wenige Parteifreunde meinen inzwischen erkannt zu haben, dass von der Leyen auf ein anderes Amt schielt - aufs Kanzleramt nämlich. Doch für die Opposition ist von der Leyen eine Reizfigur: Weil sie ein starkes Kabinettsmitglied ist und sozialpolitisch mit Themen punktet, die man gemeinhin bei den Sozialdemokraten verortet. Als Bundespräsidentin hätte die Niedersächsin aus Sicht von SPD, Grünen und Linken aber einen hübschen Vorteil: Sie wäre raus aus dem politischen Alltag, man hätte einen Gegner weniger. Hinzu kommt: Von der Leyen ist zwar in der CDU, steht aber doch für ein modernes Familien- und Gesellschaftsbild. Für Themen also, die auch SPD und Grünen am Herzen liegen. Außerdem wäre sie die erste Frau im höchsten Staatsamt, das würde es für die Opposition schwer machen, sie abzulehnen.

Und dann ist da natürlich noch Joachim Gauck, der 2010 von Rot-Grün aufgestellt wurde, aber schon damals Sympathien bis weit hinein ins bürgerliche Lager genoss. Schon werden aus der FDP erste Rufe nach ihm laut. Und auch führende Sozialdemokraten bringen den Ex-Chef der Stasi-Unterlagenbehörde bereits wieder ins Spiel, was bemerkenswert ist, hat doch Gauck in letzter Zeit nicht immer Positionen vertreten, die mit dem sozialdemokratischen Grundsatzprogramm kompatibel sind. Als sicher kann gelten, dass Gauck als rot-grüner Kampfkandidat nicht noch einmal zur Verfügung stünde. Sollte aber Merkel ihn als überparteilichen Kandidaten vorschlagen, würde er wohl nicht nein sagen. Diesen Eindruck haben jedenfalls jene bekommen, die dieser Tage mit ihm sprachen.

Aber ist ein Gauck-Comeback wirklich vorstellbar? Merkel muss fürchten, dass ihr eine Gauck-Nominierung als Reue ausgelegt würde, den Bürgerrechtler nicht schon 2010 gefragt zu haben. Andererseits ließe sich ein solcher Schritt auch als politische Größe deuten.

Frei nach dem Motto: Wir springen über unseren Schatten.

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