Möglicher Sarrazin-Rauswurf Politiker setzen Bundesbank unter Druck

An diesem Donnerstag könnte die Entscheidung über die berufliche Zukunft von Thilo Sarrazin fallen: Angesichts seiner umstrittenen Migrationsthesen plädiert jetzt auch Bundespräsident Wulff indirekt für die Ablösung des Bundesbankers. Der Vorstand soll sich laut einem Pressebericht bereits entschieden haben.
Bundesbank-Vorstand Sarrazin: Trennt sich die Behörde von dem SPD-Politiker?

Bundesbank-Vorstand Sarrazin: Trennt sich die Behörde von dem SPD-Politiker?

Foto: INA FASSBENDER/ REUTERS

Thilo Sarrazin

Berlin - Er sieht sich selbst in einer schwierigen Situation: Der auf ihm lastende "psychische Druck" sei "beachtlich", sagte der wegen seiner Thesen zur Migration umstrittene Bundesbank-Vorstand am Mittwochabend in der ARD-Sendung "Hart aber fair": "Das halten viele Menschen nicht aus." Ein Ausscheiden aus seinem Amt schloss der SPD-Politiker nicht aus: "Ich bin Bundesbanker. Jedes Amt ist zeitlich begrenzt. Wann die Begrenzung ist, wird die Zukunft zeigen."

Wird sich Sarrazin im Amt halten können? Schon an diesem Donnerstag könnte eine Entscheidung der Bundesbank über die berufliche Zukunft des 65-Jährigen fallen.

Die Behörde hatte den früheren Berliner Finanzsenator zu Wochenbeginn bereits gerügt, ihn später zum Rapport bestellt, ihre Entscheidung über die berufliche Zukunft Sarrazins aber vertagt. Damit sei frühestens am Donnerstag zu rechnen, erklärte ein Sprecher der Bundesbank.

Wulff verlangt Reaktion der Bundesbank

Der Druck auf Sarrazin wächst - aber auch der auf die Bundesbank: Bundespräsident Christian Wulff forderte die Behörde indirekt zum Rauswurf Sarrazins auf: "Ich glaube, dass jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet - vor allem auch international", sagte Wulff am Mittwoch dem Nachrichtensender N24. Da ein Bundesbank-Vorstandsmitglied auf Antrag des Vorstands nur vom Bundespräsidenten entlassen werden kann, kommt Wulffs Stimme große Bedeutung zu. Sarrazins Amtszeit endet regulär 2014.

Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, drängte die Bundesbank ebenfalls zu einer raschen Entscheidung über Sarrazin. "Die Bundesbank ist jetzt am Zuge", sagte die CDU-Politikerin der "Rheinischen Post". Sie fügte hinzu: "Nach dem, was Herr Sarrazin über das Thema Integration und Migranten geäußert hat, ist er nicht mehr tragbar."

Auch Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bekräftigte seine Forderung nach einer Entlassung Sarrazins. Dessen Thesen trügen teilweise rassistische Züge. "Herr Sarrazin hat sich disqualifiziert durch seine Äußerungen, als Bundesbank-Vorstand und als SPD-Mitglied", sagte Wiefelspütz. Schon zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Reaktion der Bundesbank auf Sarrazins Thesen gefordert.

Bundesbanker sollen sich für Trennung ausgesprochen haben

Einem Bericht der "Berliner Zeitung" zufolge hat sich der Vorstand der Bundesbank bereits einstimmig für die Trennung von Sarrazin ausgesprochen. Demnach geht es nur noch um das Wie des Rauswurfs, nicht mehr um die Tatsache an sich.

Anders als vor einem Jahr, als Bundesbank-Präsident Axel Weber wegen eines Interviews schon einmal den Vorstand vom Rauswurf Sarrazins habe überzeugen wollen, aber gescheitert sei, stünden jetzt alle vier Mitglieder hinter dem Präsidenten. Das Kalkül der Bundesbank: Da Sarrazins Vertrag noch bis 2014 laufe, dürfte die Bank immer wieder in die Schlagzeilen gelangen.

Konkret gehe es darum, wie die Behörde Sarrazin auf eine Art loswerden kann, die seine Chancen, sich wieder in die Bundesbank einzuklagen, minimieren würde. In der Bundesbank gehe man davon aus, dass Sarrazin auf jeden Fall gegen seine Abberufung gerichtlich vorgehen werde. Hinzu kommt, dass eine reine Abberufung teuer wäre. Wird ihm nicht gleichzeitig aus wichtigem Grund fristlos gekündigt, hätte Sarrazin weiterhin Anspruch auf seine Bezüge.

Ein Grund für den zähen Entscheidungsprozess ist juristischer Natur. Viele Fachleute sind davon überzeugt, dass Sarrazin mit seinen provokanten Interviews noch längst nicht genug Anlass gegeben hat, um seine Abberufung zu rechtfertigen.

Tatsächlich ist ein Bundesbank-Vorstand fast unkündbar. In der mehr als 50-jährigen Geschichte der Notenbank gab es einen Fall wie Sarrazin noch nicht. Das Bundesbank-Gesetz schweigt sich dazu aus, wie ein Vorstand im Notfall eigentlich rausgeworfen werden kann. Zwar gibt es in den individuellen Arbeitsverträgen der Vorstandsmitglieder einen Passus, wonach sie vom Bundespräsidenten auf Antrag des Gesamtvorstandes entlassen werden können, aber nur bei "schweren Verfehlungen". Doch eine solche Verfehlung sehen viele Juristen in Sarrazins Äußerungen nicht - unabhängig von deren Wahrheitsgehalt.

Bundesbank-Chef Weber hat noch ein weiteres Problem: Wenn der Vorstand sich jetzt gegen Sarrazin entscheidet, wird es zwangsläufig danach aussehen, als habe die Behörde dem Drängen der Politik nachgegeben. Doch die Unabhängigkeit der Notenbank ist ein hohes Gut.

Muslime werfen Sarrazin Rassismus vor

Auch außerhalb der Politik wächst der Druck auf den Bundesbanker. Nach der Veröffentlichung des Sarrazin-Buches "Deutschland schafft sich selbst ab" hat der Islamrat dem Autor Islamfeindlichkeit und Rassismus vorgeworfen. "Ich finde es sehr bedauerlich und fast schon beängstigend, dass die Islamophobie in Gestalt von Herrn Sarrazin langsam in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint", sagte der Islamratsvorsitzende Ali Kizilkaya dem "Hamburger Abendblatt".

Trotz Sarrazins umstrittener Thesen warnte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, die SPD vor einem überstürzten Rauswurf des Provokateurs. Damit könnten Rechtsradikale mobilisiert werden. Deren Potenzial liege latent bei zehn Prozent bis 14 Prozent, sagte Güllner der "Passauer Neuen Presse". Die Parteien müssten verhindern, dass es sich manifestiere.

Sarrazins Thesen träfen auf konkrete Ängste und Alltagserlebnisse der Menschen, sagte der Meinungsforscher. Die Menschen erwarteten von der SPD, dass sie sich um ihre Sorgen und Nöte kümmere. Er verwies auf Umfragen, wonach die Hälfte der Bevölkerung die Ansichten des SPD-Politikers für richtig hält, die andere Hälfte für unangemessen und falsch. Unabhängig davon hielten die Menschen aber den von der Parteispitze bis zum Ortsverband betriebenen Aufwand der SPD für Sarrazins Ausschluss für unangemessen.

Bosbach stärkt Sarrazin den Rücken

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sprach sich in den "Stuttgarter Nachrichten" gegen einen Ausschluss Sarrazins aus der SPD und gegen sein Ausscheiden aus dem Vorstand der Bundesbank aus. "Eine große Volkspartei muss auch kontroverse Debatten führen", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags. Bosbach gab dem SPD-Politiker sogar Rückendeckung: Dieser nutze nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung, auch wo er sich vergaloppiere.

Sarrazin war mit Thesen über eine angeblich vererbte Dummheit muslimischer Zuwanderer und genetische Besonderheiten von Juden in die Kritik geraten. Sarrazin hatte insbesondere mit der Interviewäußerung für Empörung gesorgt, alle Juden teilten ein "bestimmtes Gen". In der ARD sagte Sarrazin am Mittwochabend, es sei im Rückblick eine "ziemliche Dummheit" gewesen, diese Äußerung im Interviewtext nicht nachträglich gestrichen zu haben. "Ich hatte da einen Blackout und habe mich von der Zeitung aufs Glatteis führen lassen." Er sei definitiv nicht der Ansicht, dass es eine genetische Identität gebe. "Es gibt aber genetische Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppen der Juden", fügte Sarrazin hinzu.

hen/dpa/Reuters/ddp
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