SPD-Generalsekretär Klingbeil »Die Nazis werden sich von diesem Urteil nicht beeindrucken lassen«

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: »Die Nazis verschwinden nicht einfach«
Foto: Kay Nietfeld / dpaAls er die Nachricht von der lebenslangen Haft für den Mörder von Walter Lübcke sieht, sitzt Lars Klingbeil gerade in einer der zahllosen Schaltkonferenzen zum Corona-Krisenmanagement. Er habe »erst mal erleichtert durchgeatmet«, als er die Eilmeldung gesehen habe, sagt der SPD-Generalsekretär. »Die Höchststrafe für diesen feigen Mord an Walter Lübcke ist richtig und setzt ein klares Zeichen, dass rechter Hass und rechte Gewalt in unserem Land keinen Platz haben.«
Stephan Ernst wurde am Donnerstagvormittag vom Oberlandesgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Zudem stellten die Richter die besondere Schwere der Schuld fest. Ernst hatte den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke (CDU) in der Nacht auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Die Tat gilt als die erste rechtsextrem motivierte Tötung eines Politikers in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Demokratie habe sich als wehrhaft erwiesen, sagt Klingbeil. Doch das werde nicht reichen. »Die Nazis werden sich von diesem Urteil nicht beeindrucken lassen, und sie verschwinden auch nicht einfach«, so Klingbeil. »Wir müssen weiter gemeinsam gegenhalten, bis auch das letzte rechte Netzwerk in unserem Land ausgetrocknet ist.«
Klingbeil hat einen Schwerpunkt seiner politischen Arbeit dem Kampf gegen Rechtsextremismus verschrieben. Im vergangenen Jahr richtete er einen Runden Tisch mit Parteifreunden, Expertinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft ein. »Da habe ich gemerkt, wie viele Genossinnen und Genossen über Monate gehadert haben, wenn sie gemobbt oder bedroht wurden. Die sich gefragt haben, ob das dazugehört, ob sie das aushalten müssen.«
Bei vielen habe es sehr lange gedauert, bis sie zum ersten Mal darüber gesprochen haben, so Klingbeil: »Und dann wusste leider häufig auch keiner in der Partei, wie er ihnen helfen konnte.«
Patronen im Briefkasten, Morddrohungen am Telefon oder in E-Mails, Anfeindungen auf der Straße: Immer wieder sind in den vergangenen Jahren Bürgermeister zurückgetreten, weil sie die Anfeindungen von rechts nicht mehr ausgehalten haben. Zum Beispiel Arnd Focke im niedersächsischen Estorf oder Martina Angermann im sächsischen Arnsdorf (beide SPD).
Klingbeil berichtet von der Attacke auf eine junge Kommunalpolitikerin in Sachsen-Anhalt, eine zweifache Mutter. »Sie hat in einer Ratsversammlung gefragt, warum die AfD eine Versammlung in einem städtischen Gebäude durchführt.« Später habe sie einen gezeichneten Galgen in ihrem Briefkasten entdeckt. »Der Briefkasten lag nicht direkt an der Straße, der Täter musste also auf ihrem Grundstück gewesen sein.« Die Genossin habe den Übergriff öffentlich gemacht, woraufhin ein AfD-Politiker aus der Ratsfraktion antwortete: Ein Galgen wäre ja nicht so richtig cool, aber »steinigen wäre doch eine gute Möglichkeit«.
»Mich macht es wütend, dass ausgerechnet die Engagierten in unserer Gesellschaft Anfeindungen ausgesetzt sind«, sagt Klingbeil. »Einschüchterung, Hass, Hetze und Gewalt dürfen keinen Erfolg haben. Wir setzen dieser zunehmenden Bedrohung, die vor allem von rechts kommt, etwas entgegen.«
»Die AfD ist ein Fall für den Verfassungsschutz«
Klingbeil hat Workshops mit Experten organisiert, um Mitarbeiter zu sensibilisieren, eine Notfallhotline eingerichtet und einen internen Leitfaden entwickelt, der dem SPIEGEL vorliegt. Auf 17 Seiten gibt der Generalsekretär Parteifreunden Tipps zum Umgang mit Bedrohung und Gewalt. »Sichere Arbeitsräume«, »bewusster Umgang mit persönlichen Daten« und Antworten auf die Frage: »Was tun gegen eine konkrete Bedrohung?«.
Bei Drohanrufen zum Beispiel gelte: »Nichts sagen! Hole nach Möglichkeit weitere Personen dazu und stelle den Anruf laut, damit andere den Inhalt des Telefonats bezeugen können. Notiere das Gesprochene möglichst wörtlich und schreibe außerdem die Uhrzeit, stimmliche Besonderheiten und, wenn vorhanden, die Telefonnummer auf.«
Auch die Radikalisierung in Teilen der AfD macht Klingbeil Sorgen. In den kommenden Tagen soll laut Innenminister Horst Seehofer die Entscheidung fallen, ob der Verfassungsschutz die gesamte Partei als Prüffall einstuft. Das würde die Möglichkeit eröffnen, nachrichtendienstliche Mittel gegen die Partei einzusetzen.
Klingbeil hielte das für richtig. »Die AfD ist ein Fall für den Verfassungsschutz«, sagt er. »Die Partei hat Verbindungen in rechtsextreme Terrornetzwerke und verbreitet Fake News und Hetze, zum Beispiel beim Infektionsschutzgesetz. Das sind Feinde der Demokratie.«
Ein demokratischer Staat müsse sich dagegen wehren, so Klingbeil. Er sieht auch in der Corona-Pandemie Gefahren durch die AfD: »Es gibt klare Überschneidungen mit Corona-Leugnern und Impfgegnern. Massenhaft werden online Fake News verbreitet, etwa, dass die Impfungen unfruchtbar machen.« Die AfD habe Kontakte zu diesen Leuten.
Das habe sich unter anderem gezeigt, erinnert Klingbeil, »als Abgeordnete der Partei radikale Corona-Leugner in den Bundestag eingeschleust haben«.