Mordanschlag auf Passaus Polizeichef Kriegserklärung an der Haustür

Er ist eine Hassfigur für Neonazis, darum sollte er sterben: Ein mutmaßlich rechtsradikaler Messerstecher hat Passaus Polizeichef beinahe umgebracht. Die Bluttat ist der Höhepunkt eines langen Kampfs, den der engagierte Beamte gegen die Szene führte.

Passau - Die rechtsextreme Szene in und um Passau hat ihn zur Hassfigur deklariert: Alois Mannichl, Polizeichef der niederbayerischen Kleinstadt, kämpft seit Jahren bedingungslos gegen Neonazis. Gefürchtet hat er sich vor ihnen nie - bis er am Samstag Opfer eines Mordattentats wurde. Der 52-Jährige wurde von einem mutmaßlichen Rechtsradikalen angegriffen und schwer verletzt, direkt vor der eigenen Haustür.

Mannichl lebt mit seiner Familie in einer Reihenhaussiedlung in Fürstenzell, einer pittoresken Gemeinde mit knapp 8000 Einwohnern, gut 15 Kilometer von Passau entfernt. Am Haus des Polizeichefs klingelt es am Samstagabend gegen 17.30 Uhr. Mannichl selbst öffnete die Tür. Später wird er seinen Kollegen sagen, dass ein Mann vor ihm stand, 1,90 Meter groß, kräftig, den Kopf kahlrasiert oder die Haare zumindest raspelkurz geschoren.

Im bayerischen Dialekt schleudert ihm der Unbekannte entgegen: "Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden rum!" Er beschimpft Mannichl als "linkes Bullenschwein" und bestellt "Viele Grüße vom nationalen Widerstand", eine in der Neonazi-Szene gängige Parole. Am Ende der Hasstirade rammt der Mann dem Polizeichef ein Messer mit einer elf Zentimeter langen Klinge in den Bauch, zieht es wieder heraus und rennt davon.

"Das war eine Sache von zwei Zentimetern"

Alois Mannichl bricht zusammen. Im Klinikum Passau wird er notoperiert. "Es wurden keine inneren Organe getroffen. Seine Verletzungen unterhalb des Rippenbogens sind schwer, aber nicht lebensbedrohlich", sagt Klaus-Jürgen Florian, Sprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern/Oberpfalz, dem der Landkreis Passau zugeordnet ist. Das Messer warf der Täter nach Angaben der Ermittler in den Vorgarten des Reihenhauses. "Die Spurensicherung am Tatort ist abgeschlossen, die Auswertung dauert jedoch noch an", sagt Florian. Das Krankenzimmer des Polizeichefs werde bewacht, ebenso das komplette Gelände des Klinikums. Die Familie stehe unter Polizeischutz.

Ein derartiges Verbrechen hat es in Bayern seit Jahrzehnten nicht gegeben, sagt Innenminister Joachim Herrmann. Das Attentat auf Mannichl belege "eine Eskalation der Gewalt". Sollte die Tat tatsächlich einen rechtsextremen Hintergrund haben, habe die Neonazi-Gewalt "eine völlig neue Dimension" erreicht. Das Messer sei nur knapp am Herzen vorbeigegangen, "das war eine Sache von zwei Zentimetern". Hoffentlich könne der Polizeichef an Weihnachten wieder nach Hause.

Nach dem bisherigen Ermittlungsstand floh der Täter mit Hilfe eines Komplizen, der in einer Seitenstraße mit einem Wagen auf ihn wartete. Wenige Minuten nach dem Attentat wurde eine Großfahndung eingeleitet. Das Bayerische Landeskriminalamt, der Verfassungsschutz sowie die österreichischen Behörden ermitteln. Polizeisperren gab es vor allem in Richtung Tschechien, falls sich die mutmaßlichen Täter absetzen wollten.

Eine 20-köpfige Sonderkommission wurde gebildet. Dennoch habe die Polizei "noch keinen konkreten Tatverdacht", erklärte Florian. Sicher ist, dass Mannichl seinen Angreifer nicht kannte. Der Mann mit Glatze oder sehr kurzen Haaren, etwa 1,90 Meter groß, habe einen auffälligen Leberfleck oder eine Tätowierung am Hals, erinnerte er sich. Er trug keinen Bart und sprach Bayerisch, eventuell mit österreichischer Einfärbung.

Feindbild der Neonazi-Szene

Die Drohgebärden des Täters lassen auf einen Racheakt schließen. Zuletzt hatte es angeblich am Volkstrauertag am 16. November auf dem Passauer Soldatenfriedhof eine Auseinandersetzung gegeben, die die NPD anschließend wie folgt propagierte: "Während der Trauerfeier stellte sich Polizeidirektor Mannichl absichtlich provozierend circa zehn Zentimeter vor einen Funktionsträger der NPD, um ihm die Sicht zu nehmen. Als dieser seinen Standort wechselte, folgte Mannichl diesem, um sich wiederum direkt vor ihn zu stellen." Der NPD-Kreisverband Passau teilte mit, man sei "empört über das dreiste und provokante Verhalten der von Steuergeldern bezahlten Beamten unter der Leitung von Polizeidirektor Alois Mannichl".

Der Polizeichef war ein Feindbild - auch wegen seines harten Kurses gegen Neonazis. "Er hat klar Position gegen Neonazis bezogen, konsequent und kompromisslos", sagt Landrat Franz Meyer. "Das Attentat auf ihn ist ein feiger Mordanschlag!" Nach dieser Eskalation sei erst recht wichtig, dass man "mit aller Härte und Konsequenz gegen Rechtsextremismus" vorgehe, sagte der CSU-Politiker.

Unter Mannichls Leitung war die Polizei in der Vergangenheit immer wieder gegen Aufmärsche von Neonazis im Landkreis Passau vorgegangen. So auch gegen die Niederlegung einer Hakenkreuzflagge bei der Beerdigung des Altnazis Friedhelm Busse, einst Chef der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) im Juli dieses Jahres. Rund hundert Mitglieder der rechtsextremen Szene waren aus ganz Deutschland angereist, darunter auch der Parteivorsitzende Udo Voigt. Mehr als 20 wurden festgenommen, vier vor der Trauerfeier, weil sie mit Baseballschlägern und Sturmhauben angereist waren. Zwei Neonazis ohrfeigten in der Innenstadt eine Asiatin.

Mannichl hatte nach dem Begräbnis die Ruhestätte erneut öffnen lassen, um die verbotene Fahne von dem Sarg entfernen zu lassen. "Aus Rücksichtnahme sind wir nicht gleich während der Trauerfeier eingeschritten", sagte er. Dass der Täter ihm jetzt sagte: "Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden rum!", dürfte sich auf diesen Fall beziehen.

Adressen auf Internet-Seiten veröffentlicht

Am Ende veröffentlichte die wütende Neonazi-Szene auf einschlägigen Internet-Seiten die Privatadressen von Staatsanwälten und Polizisten. Mannichl hatte auf eine Geheimnummer verzichtet. Seine Adresse stand weiter im Telefonbuch.

Gemeinsam mit dem Fürstenzeller Bürgermeister Franz Lehner kämpft Mannichl auch dagegen, dass sich die rechtsextreme Szene in seiner Heimatgemeinde im niederbayerischen Hügelland fest etablieren kann. Als Treffpunkt gilt in dem Markt "Traudl's Café-Stübchen", genannt "Café Traudl". Dort sollen sich Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Passau regelmäßig mit österreichischen Rechtsextremen zu Stammtischen und Gesprächskreisen einfinden. Seit die Fürstenzeller das Café boykottieren, ist es kein öffentliches Lokal mehr. Nach Angaben der "Passauer Neuen Presse" gehört es einem privaten NPD-nahen Funktionär. Martin Gabling, Kreisvorsitzender der NPD, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Bewohner Fürstenzells vermuten, dass Mannichls Attentäter Kontakt zu der ortsansässigen Szene haben könnte. "Aus der Region wird er nicht kommen, sonst hätte Herr Mannichl ihn sofort erkannt. Der kennt alle aus dem braunen Sumpf hier", sagt eine Fürstenzellerin. Beispiellos hätten die Fürstenzeller mit Veranstaltungen wie "Bürger gegen Extremismus" unter der Leitung von Bürgermeisters Lehner gegen die Rechtsextremen gekämpft.

Dass sich die rechte Szene in dem beschaulichen Ort südlich Passaus einfindet, sei anfangs gar nicht aufgefallen, sagt Lehner, der der freien Wählergruppierung "Alle für Einen" angehört. "Aber dann wurden an Schulen entsprechende Kassetten verteilt und es gab Leute, die unseren Bademeister, der aus dem Kosovo stammt, verbal angegriffen haben." Als diese Personen des Bades verwiesen wurden, bekam die Gemeinde Post von einem Anwalt der NPD. "Da war klar, dass mehr dahinter steckt. Mit dem Anschlag auf Herrn Mannichl hat die Gewalt eine neue Dimension erreicht, die zu verabscheuen ist."

Bis in den frühen Sonntagmorgen wachten Angehörige des Polizeichefs an seinem Bett auf der Intensivstation. "Wir geben keinerlei Auskunft", sagte seine Frau. Der Regensburger Polizeipräsident Hans Junker, ein enger Freund der Familie, eilte ebenfalls ins Krankenhaus.

Mannichl sei nicht nur im Kampf gegen Rechtsextremismus konsequent, sagt ein Bekannter des Polizeichefs. "Er packt alle Probleme knallhart an. Der Anschlag wird ihn schockiert haben, aber ihm auch zeigen: Der Kampf ist notwendig."

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