Müller gegen Maas Kumpeltyp und Kopfmensch kämpfen um die Saar

Plötzlich schauen alle aufs Mini-Land: Vor der Saarland-Wahl liefern sich die politischen Lager ein Kopf-an-Kopf-Rennen. CDU-Ministerpräsident Müller kämpft für Schwarz-Gelb, Herausforderer Maas setzt auf Rot-Rot-Grün - und könnte der SPD für die Bundestagswahl den ersehnten Hoffnungsschub bescheren.
Ministerpräsident Müller, Herausforderer Maas: "Wunnerbar!"

Ministerpräsident Müller, Herausforderer Maas: "Wunnerbar!"

Foto: ddp

Sie treffen sich in der Kultur- und Sporthalle, einem Flachbau mit DDR-Charme an der französischen Grenze. Das Dorf heißt Rehlingen, und es ist Kirmes. Und weil das Saarland ein kleines Land ist, begegnet man sich schon mal im Wahlkampf: Der CDU-Ministerpräsident Peter Müller und sein Herausforderer Heiko Maas von der SPD. Über wippendem Linoleum stehen sie nebeneinander auf der Bühne, ein Fass Bier soll angezapft werden. Müller übernimmt das. Zwei geübte Schläge, Glas drunter, tiefer Schluck.

"Wunnerbar!", ruft Müller. Auch Maas hat jetzt ein Glas. Er nippt am Bier. "Ein Prosit der Gemütlichkeit" spielt der "Musikverein Almenrausch".

Zwei Politikertypen kämpfen im Saarland um die Macht. Der Hemdsärmlige gegen den Bedächtigen. Es ist Montag, noch 13 Tage bis zur Wahl. Der eine greift sich jetzt in der Rehlinger Platte die Klarinette, der andere darf später mal den Taktstock halten. Müllers Hemd ist schon durch - "noch nie so geschwitzt wie heut''" - Maas steht im schwarzen Polo-Hemd an der Seite. "Warum soll ich den Müller kopieren? Er ist doch nur begrenzt variabel in seiner Darstellungsform", stichelt er. Damen gesetzten Alters scharen sich um Maas: "So einem muss man einfach ein Küsschen geben", sagt eine.

Es ist ein bisschen wie im Berliner Wattewahlkampf: Heftige Angriffe fallen schwer - im Bund regieren Rote und Schwarze noch zusammen, an der Saar trifft man sich ständig beim Bier. Auch arithmetisch scheint die Landtagswahl am 30. August wie ein Laborexperiment für die Bundesebene: Reicht es für Schwarz-Gelb, oder nicht? Der Unterschied: Im Saarland würde die SPD eine rot-rot-grüne Mehrheit nutzen wollen: "Wir haben da eine Machtoption", sagt Maas. Er will Ministerpräsident werden, das Land drehen. Das gelang der SPD im Westen das letzte Mal 1991: in Rheinland-Pfalz. Der Mann hieß Rudolf Scharping.

Der CDU-Mann Müller regiert das kleinste deutsche Flächenland seit zehn Jahren, mit absoluter Mehrheit. Doch viel Spielraum hat er nicht, er sitzt in der Schuldenfalle: Jeder fünfte eingenommene Euro geht für Zinsen drauf, zudem ist die exportabhängige Stahl- und Autoindustrie besonders von der Wirtschaftskrise betroffen. Müller hält dagegen: Überdurchschnittlich seien die Wachstumsraten in seiner Regierungszeit gewesen. Er spricht von den neuen Technologien im alten Bergbaurevier an der Saar, von 7000 Arbeitsplätzen im IT-Bereich, von Nano- und Biotechnik, von alternativen Autoantrieben bei Ford in Saarlouis: "Die Pflänzchen müssen wachsen", sagt er.

Guttenberg zieht die Massen an

Müller hat sich an diesem Morgen Karl-Theodor zu Guttenberg nach Saarbrücken in die Kongresshalle geholt. Der Bundeswirtschaftsminister zieht auch hier die Massen, 1300 Leute drängeln sich in der viel zu kleinen, brütend heißen Halle. Guttenberg schwärmt von der sozialen Marktwirtschaft, Müller kontrastiert das mit dem im Saarland angeblich drohenden "rot-roten Experiment" - in der Tradition eines Sozialismus, "wie wir ihn schon mal gehabt haben". Nach Prosit der Gemütlichkeit klingt das jetzt nicht mehr. Rot-Rot für ein bisschen Schwarz-Weiß in diesem so freundlichen Wahlkampf: ein Feindbild zur Mobilisierung der eigenen Leute. So beschwört Guttenberg die soziale Marktwirtschaft, Müller den DDR-Sozialismus à la Lafontaine.

Es hieß mal, Müller sei müde geworden. Weil zehn Jahre in der Staatskanzlei eine lange Zeit sind. Weil er, der Mann vom linken CDU-Flügel aus dem SPD-Elternhaus, sich mit seinen liberalen Ideen zur Einwanderung nicht durchsetzen konnte in der Partei. Weil er zwar 2005 Merkels Schattenminister für Wirtschaft und Arbeit war, dann aber nichts daraus wurde. Bundespolitik? "Das Thema ist vorbei", sagt der 53-Jährige.

Doch müde wirkt er nicht. Und mit Maas und Linke-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine hat er 2009 auch gleich zwei Gegner. Wobei er einschränkt: "Lafontaine ist schwächer, als wir gedacht haben."

Also Maas: 11 Uhr, Gasthaus Klos, Kirmesfrühschoppen in Marpingen, der erste Wahlkampfauftritt des Herausforderers an diesem Tag. Rund hundert Menschen quetschen sich an langen Holztischen, überwiegend ehemalige Bergarbeiter, das örtliche Blasorchester spielt, auf den Tischen: Weizenbier, Wein, Schnäpse. Eigentlich eine gute Atmosphäre für eine deftige Rede.

Nicht für Maas.

Dass er kommt, merkt man eigentlich gar nicht. Irgendwann sitzt er einfach da, geschniegelt, umringt von schwitzenden Gästen. Ansprache? Nicht vorgesehen. "Ne Runde vom Heiko Maas", brüllt der Bürgermeister. Die Leute freuen sich. "Wir sind eigentlich ganz zufrieden mit ihm", meint einer. Dann ist der SPD-Spitzenkandidat auch schon wieder weg.

Typisch defensiv. Und das, obwohl die anstehende Wahl für den erst 42-Jährigen schon so etwas wie seine letzte große Chance in der Politik ist. Die Dinge stehen nicht schlecht: Die letzte Umfrage aus dem April sieht die SPD vor der Linken, wenn auch deutlich hinter der CDU. Scheitert Maas noch einmal, dürfte es das für ihn gewesen sein. Wird er aber Ministerpräsident, wäre er plötzlich Hoffnungsträger für die Bundes-SPD. Schon einmal war er das, ging es doch ab 1996 steil aufwärts für ihn: Staatssekretär, Umweltminister, Fraktionschef, Saar-SPD-Chef, dann Spitzenkandidat - alles innerhalb von acht Jahren. Doch die Landtagswahl 2004 endete im Desaster. Wegen der Agenda 2010. Und wegen Lafontaine, Maas' Ziehvater, der damals so tat, als sei er der eigentliche Matador.

Alle nennen ihn nur Peter

Auch Müller ist der Matador-Typ. Nach Guttenberg und Rehlinger Kirmes muss er erstmal das Hemd wechseln. Müller geht nicht auf Menschen zu, er bestürmt sie: "Hallo, guten Tach!" Er wirft sich in die Menge. Stolz berichtet er von seiner ersten Amtshandlung 1999: der Abschaffung der Sperrstunde. Keckerndes Lachen. Sind alle Hände geschüttelt, wippt sein ganzer Körper wie bei einem Boxer, der auf die nächste Chance im Ring lauert: "Es geht weiter." Kaum noch einer führt auf diese Weise Wahlkampf in Deutschland: der Ministerpräsident, dein Kumpel. Dass ihn, den Einser-Juristen, alle nur Peter nennen? "Normal."

Wo Müller den Wahlkampf ganz offenbar genießt, scheint das für Maas eher eine ernste Angelegenheit. Auf ein klassisches Feindbild und derbe Attacken verzichtet er weitgehend. Junge Hilfstruppen bei Auftritten? Will er nicht. Hat er nicht, sagen sie in der CDU. Dort sind 300 Jung-Unionisten in orangefarbenen T-Shirts mit Müllers Konterfei im Obama-Look jederzeit abrufbereit - innerhalb von 48 Stunden an jedem Ort des Saarlands einsetzbar, heißt es mit Stolz. "Albern bis peinlich", lästert Maas. "Die sehen immer so aus, als wenn sie im Kofferraum des Ministerpräsidenten mittransportiert werden."

Kein einziger Marktplatzauftritt ist im Programm des SPD-Spitzenkandidaten. "Nicht mehr zeitgemäß", findet Maas. Stattdessen setzt er auf Kirmesfrühschoppen, wo die Leute feiern können. Vor allem aber auf Bürgerforen, wo sie Fragen stellen können. Über 50 hat er davon schon hinter sich, mit bis zu hundert Gästen.

Das Format passt gut zu ihm, schön sachlich und kopflastig, eine Chance, sich den Menschen als Macher-Typ zu zeigen. Um die Wirtschaft geht es dann, um Arbeit oder um Bildung - jenes Feld, auf dem die Regierung Müller aus Maas' Sicht ganz besonders viel falsch gemacht hat: Lehrerstellen gekürzt, ein Schuljahr abgeschafft, vor allem aber: Studiengebühren eingeführt. "Unsozial" seien die. Er wettert nicht. Er argumentiert. Das kommt gut an im Saarland.

Es gibt Momente, da denkt man, Maas verpasse mit seiner Zurückhaltung dicke Chancen. Am Montagnachmittag besucht er das Training der Basketball-Damen der Saarlouis Royals. Sie sind letztes Jahr Deutscher Meister geworden, der SPD-Politiker geht zu jedem Heimspiel, wenn es der Terminkalender zulässt. Müller wäre wohl gleich auf den Platz gerannt. Maas aber steht mit dem Geschäftsführer am Spielfeldrand und beobachtet das Training.

Er mag Basketball, hat aber selbst nie gespielt. "Bin zu klein", meint er. 1,74 Meter ist er groß. Spud Webb war mal Profi in der NBA. 1986 gewann er den Slam-Dunk-Contest. Mit 1,68 Meter. "Wirklich?", fragt Maas. "Vielleicht geht da noch was. Ich fange am 31. August mit dem Training an."

Andere denken da schon an die Regierungsbildung. Auf der Rehlinger Kirmes kaut draußen auf der Bierbank Ottmar Schreiner an einem Schweinesteak. Schreiner, die linke Galionsfigur der SPD, einst Lafontaines enger Weggefährte, heute Maas' Schattenarbeitsminister. "Für Schwarz-Gelb wird es nicht reichen", sagt er siegesgewiss und sehr ernst. In diesem Moment läuft grinsend Peter Müller an ihm vorbei, zwei Kirmesbesucher im Schlepptau. Jetzt steht Skat statt Politik an. Auf einen Tisch hinter der Wurstbude knallt Müller die erste Karte. "Da probiere ich mal ein schönes Pik mit Euch."

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