Faktencheck zum Finanz-Streit zwischen Ost und West Mein Geld, dein Geld, unser Geld

NRW-Ministerpräsidentin Kraft: "Wir wollen mehr von dem behalten, was bei uns erwirtschaftet wird"
Foto: Federico Gambarini/ picture alliance / dpaHannelore Kraft (SPD) kann sich mit der Sparpolitik nicht recht anfreunden. Sie will lieber eine vorbeugende Politik betreiben, eine, die die Chancengerechtigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten aller Bürger verbessert - selbst wenn dafür neue Schulden nötig sind.
Bildung und "soziale Prävention", so ihr Argument, sorgten letztlich für eine Entlastung der öffentlichen Haushalte von nicht unerheblichen "sozialen Folgekosten" - etwa bei künftigen Ausgaben für Hartz IV.
Das klingt nicht nur echt sozialdemokratisch, sondern verfängt auch beim Wähler. Insofern stellt Nordrhein-Westfalens Landeschefin eine rote Alternative zu den Berliner "Schwarze-Null-Politikern" dar. Kein Wunder, dass Frau Kraft manchem Unionspolitiker auf die Nerven geht, allen voran dem laut "FAZ" "deutschen Meister in Haushaltsdisziplin", nämlich Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).
Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Und Kraft sieht jetzt den Moment dafür gekommen, denn der Finanzausgleich inklusive Solidarpakt Ost muss neu geordnet werden - und Tillich begehrt weiterhin Geld aus dem Westen.
Also zeigt sich Kraft erst einmal stur:
"Wir wollen mehr von dem behalten, was bei uns erwirtschaftet wird. Vor allen Umverteilungsmechanismen hat Nordrhein-Westfalen ein um 1000 Euro pro Einwohner höheres Steueraufkommen als Sachsen. Nach Umverteilung hat Sachsen 500 Euro pro Einwohner mehr als wir und mahnt uns öffentlich, doch bitte mehr zu sparen. Und das, obwohl wir die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Länder haben. Das kann strukturell so nicht bleiben."
Das Zitat enthält drei Behauptungen, die zu prüfen sind:
- 1. NRW hat die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Länder.
Die Frage ist, was Frau Kraft hier unter Ausgaben der Länder versteht: den Länderhaushalt oder den Etat von Ländern und Gemeinden?
Im zweiten Fall stimmt ihre Aussage nämlich nicht, denn 10 von 16 Bundesländern haben geringere Pro-Kopf-Ausgaben als NRW, darunter auch Sachsen.
Betrachten wir aber die Länderausgaben ohne die der Gemeinden, dann liegt Frau Kraft fast richtig. Knickriger sind nur Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
- 2. Nach Umverteilung hat Sachsen 500 Euro pro Kopf mehr zur Verfügung als NRW.
Und auch das scheint korrekt: das Land NRW gibt - nach Finanzausgleich - knapp 500 Euro pro Kopf weniger aus als Sachsen.
Addiert man aber die Ausgaben der Gemeinden hinzu, stimmt ihre Rechnung nicht mehr, dann gibt Sachsen nämlich 281 Euro pro Kopf weniger aus. Die Kommunen gelten im Rahmen der Finanzverfassung aber als Bestandteil der Länder. Deshalb kann man sie nicht einfach weglassen.
- 3. Vor Umverteilung hatte NRW noch 1000 Euro pro Kopf mehr als Sachsen.
Eine Betrachtung der Finanzströme im Länderfinanzausgleich, also dem Hebel, mit dem Gelder von den "reichen" zu den "armen" Bundesländern umverteilt werden, widerspricht ebenfalls der NRW-Argumentation:

Sachsen bekam 2013 rund 250 Euro pro Einwohner, aber auch Nordrhein-Westfalen "nimmt", wenn auch nur 40 Euro pro Bürger. Einen Saldo von 1500 Euro, wie Frau Kraft vorrechnet, ergibt das nicht.
Doch bevor wir den Stab voreilig über Frau Kraft brechen, müssen wir wissen, dass sie unter "Umverteilung" mehr als den Länderfinanzausgleich versteht. Der Länderfinanzausgleich ist nämlich nur ein Teil des sogenannten "bundestaatlichen Finanzausgleichs" (Pdf).
Dazu gehören die Bundesergänzungszuweisungen, das sind Mittel, die der Bund aus seiner Kasse an die Länder verteilt, unter anderem auch im Rahmen des Solidarpaktes Ost. An Ergänzungszuweisungen erhält NRW 340 Millionen, Sachsen satte 2,36 Milliarden Euro.
Damit hat der bundesstaatliche Finanzausgleich aber noch kein Ende.
Das ist der Punkt, auf den Frau Kraft abhebt: die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens. Die Umsatzsteuer geht zunächst an den Bund. Dieser wiederum gibt davon rund 45 Prozent an die Länder weiter.
Verteilt wird dieser Betrag zu 75 Prozent ganz simpel nach Köpfen, ganz gleich was, wo und in welcher Höhe angefallen ist. Die restlichen 25 Prozent werden nach einem Finanzkraft-Schlüssel den Ländern zugewiesen.
Bei der Umsatzsteuerverteilung nun, so findet Frau Kraft, schneidet Nordrhein-Westfalen schlecht ab. So schlecht, dass sich das Nehmerland in ein Geberland verwandelt. Eine Darstellung des baden-württembergischen Finanzministeriums bestätigt ihre Sicht. Danach brachte NRW hier 2,35 Milliarden ein, während z.B. Sachsen nochmals 2,35 Milliarden Euro erhielt.

Addieren wir nun alle Posten des bundestaatlichen Finanzausgleichs für NRW und Sachsen zusammen, dann verliert NRW 1,337 Milliarden Euro, bzw. 76 Euro pro Kopf, während Sachsen 5,7 Milliarden, bzw. 1.415 Euro pro Kopf, gewinnt (Pdf).
So ließe sich ein Umverteilungssaldo zwischen Nordrhein-Westfalen und Sachsen von rund 1500 Euro pro Einwohner zu Lasten von NRW errechnen.
Stimmt also Frau Krafts Argument? Wirkt der bundesstaatliche Finanzausgleich am Beispiel NRWs und Sachsens tatsächlich mehr als nur ausgleichend, stellt er die ursprünglichen Verhältnisse gar auf den Kopf?
Fazit: Frau Kraft hat nur dann Recht, wenn wir einerseits die Gemeinden ausblenden und andererseits auch da von Umverteilung sprechen, wo es um Mittel geht, die NRW oder Sachsen zuvor nie "gehört" haben, nämlich die Bundesergänzungszuweisungen und die Umsatzsteuer.