Nach Schimpf-Tirade Rückhalt für Kanzleramtschef Pofalla schwindet

Kanzleramtsminister Pofalla: "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen"
Foto: dapdBerlin - Der Rückhalt für Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) schwindet. Pofallas Pöbeleien gegen Parteifreund Wolfgang Bosbach sorgen für Empörung in der eigenen Partei, immer mehr Koalitionspolitiker distanzieren sich von ihm. Die "Berliner Zeitung" zitiert einen namentlich nicht genannten führenden Koalitionspolitiker mit den Worten, Pofalla sei in seinem Amt überfordert und zudem wegen seiner cholerischen Art nicht dafür geeignet. "Das ist der schlechteste Kanzleramtschef aller Zeiten."
Der Grund für die Generalkritik: Bosbach, Vorsitzender des Bundestagsinnenaussschusses, hatte mit neun anderen Unionsabgeordneten in der vergangenen Woche nicht für die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF im Parlament gestimmt. Medienberichten zufolge hatte Kanzleramtschef Pofalla Bosbach vor der Abstimmung mit Sätzen wie "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen" attackiert. Als Bosbach sagte: "Ronald, guck bitte mal ins Grundgesetz, das ist für mich eine Gewissensfrage", habe dieser geantwortet: "Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe."
Juli-Chef Becker: "Pofalla leistet keine gute Arbeit"
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt forderte jetzt mehr Respekt zwischen den Abgeordneten. "Wenn wir als Parlament respektiert werden wollen, braucht es auch Respekt der Abgeordneten untereinander", sagte die frühere Bundestags-Vizepräsidentin dem "Hamburger Abendblatt". Sie betonte: "Dazu halte ich alle Seiten an."
Aus den Nachwuchsorganisationen von FDP und CDU wurden erste Forderungen nach einer Entlassung Pofallas laut. "Herr Pofalla leistet schon lange keine gute Arbeit. Die Schnittstellenfunktion des Kanzleramts funktioniert nicht. Daraus sollten langsam Konsequenzen gezogen werden", sagte der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, der "Welt". Die Wortwahl Pofallas bei dessen Auseinandersetzung mit dem CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach sei "entlarvend". Becker sagte weiter: "Wenn das Kanzleramt schon mit den eigenen Leuten derart umspringt, muss man sich nicht wundern, dass es in der Koalition oft hakt." Die Junge Union Potsdam-Mittelmark hatte zuvor bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, zu überdenken, "ob Pofalla der richtige Mann für das Kanzleramt ist".
In der Opposition wird das Verhalten Pofallas als Ausdruck des allgemeinen Zustands der Koalition gewertet. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte: "Zu schlechter Politik kommt jetzt auch noch schlechter Stil." Pofallas Entgleisung zeige: "Die Nerven in der Koalition liegen blank. Das Verhalten von Pofalla ist niveaulos und selbstentlarvend. Die Koalition ist in Panik", so Oppermann in der "Welt".
Kritik an Merkels Kurs
Streit gibt es in der Union nicht nur wegen der unflätigen Beschimpfungen durch Ronald Pofalla - auch an Kanzlerin Merkel wird vor der letzten CDU-Regionalkonferenz, die an diesem Dienstag in Magdeburg stattfindet, Kritik laut. "Ich bin überrascht, wie schnell Positionen ohne Diskussionen aufgegeben werden und dies dann als eine alternativlose Politik erklärt wird", sagte der ehemalige Brandenburger Innenminister und CDU-Landesvorsitzende Jörg Schönbohm der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe immer Alternativen, die erörtert werden müssten.
"Das Verkünden von alternativlosen Entscheidungen kann eine Partei höchstens in Not- oder Krisenfällen akzeptieren." Schönbohm nannte als Beispiele für unüberlegte Entscheidungen die "diskussionslose und schnelle Aufgabe" der Wehrpflicht und die Energiewende nach dem Erdbeben in Japan.
Indirekte Kritik kam auch von Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU). Mit der Entscheidung zur Erweiterung des Euro-Rettungsschirms in der vergangenen Woche habe Deutschland Solidarität bewiesen, zugleich aber auch die nationalen Interessen gewahrt, sagte er. "Jetzt ist es gut mit der finanziellen Hilfe, das müssen alle Partner akzeptieren", forderte Tillich und mahnte in der CDU grundsätzlich mehr Orientierung an.
Konkret forderte er im Interview mit der dpa eine bezahlbare Energieversorgung. Das sei ein grundsätzliches Ziel. "In einem zweiten Schritt müssen wir erörtern, mit welchen Energieträgern das möglich ist. Bei der Diskussion um die Kernenergie haben das manche in der CDU vergessen", so Tillich.