Sondierungen "Das Herz sagt Schwarz-Grün, der Verstand Schwarz-Rot"

SPD oder Grüne, mit welcher Partei will die Union offiziell über eine Regierungsbildung verhandeln? Nächste Woche fällt die Entscheidung, Kanzlerin Merkel hält sich beide Optionen offen. Doch die Präferenz ist deutlich.
Sondierungen: "Das Herz sagt Schwarz-Grün, der Verstand Schwarz-Rot"

Sondierungen: "Das Herz sagt Schwarz-Grün, der Verstand Schwarz-Rot"

Foto: Jens Meyer/ AP/dpa

Berlin - Die Kanzlerin hat auf Gleichbehandlung geachtet: Jeder bekam drei Stunden, es ging freundlich zu, man betonte Gemeinsamkeiten - und will sich auf jeden Fall wieder treffen. Nach den ersten Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen hält sich Angela Merkel alles offen. Will sie die nächsten vier Jahre mit den Sozialdemokraten regieren? Oder schmiedet sie die erste schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene?

Die Entscheidung fällt nächste Woche. Am Montagnachmittag treffen sich die Delegationen von CDU, CSU und SPD ein zweites Mal in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin, um mögliche Kompromisslinien in der Steuerpolitik oder beim Mindestlohn auszuloten. Tags darauf kommt die Union mit den Grünen zusammen, auch hier sollen die Staatsfinanzen ein Schwerpunkt sein.

Spätestens am Mittwoch dürfte dann feststehen, mit wem Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer in den kommenden Wochen einen Koalitionsvertrag aushandeln werden. Wirklich gleich verteilt sind die Chancen allerdings schon jetzt nicht mehr. Eine Zwischenbilanz.

Was für Schwarz-Grün spricht:

Das Bündnis hätte den Reiz des Neuen, das finden selbst in der CDU-Spitze so einige. "Das Herz sagt Schwarz-Grün, der Verstand Schwarz-Rot", so hört man es dieser Tage häufiger. Zumal der Absturz der FDP die Union dazu zwingt, sich neue Optionen jenseits der Großen Koalition zu erschließen. Und die Chefpragmatikerin Merkel kann ohnehin mit jedem.

Inhaltlich trennen beide Parteien keine unüberwindbaren Gräben mehr, auch wenn der Wahlkampf um Steuererhöhungen und angebliche grüne Bevormundungspolitik erst einmal neue aufgerissen hat. Diese rasch wieder zuzuschütten, daran arbeitet das neue Führungspersonal der Grünen nach dem bescheidenen Wahlergebnis bereits.

Was gegen Schwarz-Grün spricht:

Ein neues Bündnis ist riskant. Wie stabil wird die Regierung, wie verlässlich ist der neue Partner? Die Grünen sortieren sich gerade neu, auch wenn sich das Spitzenpersonal beider Seiten nicht fremd ist, echtes Vertrauen müsste erst noch wachsen. "Wir sind nicht gerade gut aufgestellt für solch ein Projekt", räumt Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein.

In der Sondierungsrunde am Freitag gab es dem Vernehmen nach kleinere Sticheleien. CSU-Chef Seehofer ließ Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter gelegentlich seinen Debütantenstatus spüren, ist zu hören. Gerade die CSU würde die Grünen ungern als Feind verlieren.

Auch wird betont, dass der zweite Termin nicht als positives Zeichen zu werten sei. Beim ersten Treffen sei die Zeit schlicht zu knapp gewesen - inhaltlich kam man sich nicht näher. Im kleinen Kreis ärgerte sich Kretschmann über die Unverbindlichkeit der Union: "Man hatte an mancher Stelle das Gefühl, dass man in Watte boxt."


Was für die Große Koalition spricht:

Mit der Großen Koalition gingen Merkel und Seehofer auf Nummer sicher. Die Mehrheit im Bundestag wäre riesig - ein großer Vorteil, wenn knifflige Entscheidungen zur Euro-Rettung anstehen. Eine stabile Regierung könnte womöglich auch die Energiewende besser vorantreiben oder große Projekte wie eine neue Föderalismusreform anstoßen. An den Inhalten würde das Bündnis jedenfalls nicht scheitern.

Auch wenn die Vorzeichen andere als 2005 sind, für Merkel wäre Schwarz-Rot kein Abenteuer. Die Große Koalition unter ihrer Führung hat schon einmal gut funktioniert, die Protagonisten kennen sich und können grundsätzlich miteinander. Und Merkel wüsste das Wahlvolk hinter sich: Zwei Drittel der Deutschen befürworten eine Große Koalition.

Was gegen die Große Koalition spricht:

Viele in der Union misstrauen SPD-Chef Gabriel, unterstellen ihm, er wolle das Bündnis irgendwann platzen lassen, um dann Rot-Rot-Grün zu rechtfertigen. In der SPD dagegen ist nach den Erfahrungen der letzten Großen Koalition die Sorge groß, erneut von einer übermächtigen Kanzlerin kleingemacht zu werden. An der SPD-Basis ist von Wohlwollen daher wenig zu spüren - die Mitglieder sollen aber am Ende einem Koalitionsvertrag ihren Segen geben.

Die breite Mehrheit im Parlament hat zudem nicht nur Vorteile. Die Versuchung für Abweichler in den eigenen Reihen ist groß. Zugleich droht die kleine Opposition erdrückt zu werden. Dringt sie im Bundestag nicht mehr durch, könnte das außerparlamentarische Kräfte stärken, etwa die Euro-Gegner von der Alternative für Deutschland.


Fazit:

Selbst wenn die Union auch mit den Grünen noch einmal reden will - die Zeichen stehen auf Große Koalition. Vor allem die CSU ist nicht bereit für Schwarz-Grün, aber auch Merkel tendiert zum Bündnis der Vernunft.

Als Indiz dafür gilt auch, dass sich die CDU-Chefin am Freitag Kanzleramt mit Seehofer und Gabriel traf, um die zweite Runde mit den Sozialdemokraten am Montag vorzubereiten. Dabei dürfte das Trio schon erste Einigungschancen abgewogen haben. Das Treffen zwischen Union und Grünen wird lediglich auf Generalsekretärs- und Geschäftsführerebene vorbesprochen. Man sieht die Sondierungen eher als Lockerungsübungen für die Zukunft. Für dieses Mal geht man bei den Grünen intern schon davon aus, dass es nach dem Treffen am Dienstag nur noch darum geht, wer zuerst absagt.

Ganz aus dem Spiel sind die Grünen dann aber immer noch nicht. Schließlich müsste die SPD-Basis einem möglichen Koalitionsvertrag mit der Union erst noch zustimmen. Wenn die rebelliert, stünde Merkel ohne Partner da und müsste womöglich wieder bei den Grünen anklopfen. Oder es kommt zu Neuwahlen.

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