Zum Tod von Alexander Schalck-Golodkowski Goldfinger Ost

Der ehemalige DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski
Foto: Andreas_Altwein/ picture-alliance / dpaEr zog genüsslich an seiner dicken Zigarre und thronte im Maßanzug auf dem schwarzen Ledersofa wie der Bösewicht Goldfinger bei James Bond. Auf der SPIEGEL-TV-Feier 1996 zeigte sich Alexander Schalck-Golodkowski gut gelaunt von seiner besten Seite, die ihn für Geschäftspartner aller Art offenbar unwiderstehlich gemacht haben musste. Verschlagen, verschmitzt, humorig - er war der Urtyp eines proletarischen Berliners, der zu Geld, Ruhm und Macht gekommen war, wenn auch auf der dunklen Seite.
Cognactrinkend erzählte der Goldfinger-Ost an diesem Abend Geschichten über Geschichten, vom Täuschen und Tarnen, vom Austricksen des Westens und von seinem Husarenritt auf den deutsch-deutschen Verhältnissen, den er jahrzehntelang meisterlich beherrschte - selbst nach dem Mauerfall noch. "Ick hab' nicht beschafft, ick hab' erarbeitet."
Gemütlich berlinernd malte Schalck-Golodkowski aus, wie er zu DDR-Zeiten die Nordspitze von Fuerteventura kaufte und die Ferienanlage an Neckermann vertickte, ohne dass jemand der westdeutschen Pauschalurlauber auch nur ahnte, dass er dort Ferien bei Schalck-Golodkowski respektive in der DDR machte. Und wie er West-Devisen anlegte beim heimlichen Erwerb der Seilbahn in Zermatt oder in einem Wiener Luxushotel.
Auf der sozialistischen Karriereleiter
Lächelnd erinnerte er sich daran, wie er zum ersten Mal als Stasi-Offizier im besonderen Einsatz zu MfS-Chef Erich Mielke kommen musste und zu sich selbst sagte: "Na, da musste Dich ja benehmen und was Ordentliches anhaben, wenn du reinkommst!"

Alexander Schalck-Golodkowski: Der Beschaffer vom Dienst
Mielke und er verstanden sich wohl prächtig, beide waren Aufsteiger aus der Arbeiterklasse, Staatschef Erich Honecker sowieso. Schalck war der Sohn eines staatenlosen Droschkenkutschers russischer Herkunft und einer Deutschen aus Sankt Petersburg, geboren 1932 in Berlin. Statt Abitur machte er mittlere Reife und eine Lehre als Feinmechaniker. Erst dann studierte der linientreue Kommunist und schrieb eine juristische Promotion über sein Lebensthema: "Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen."
Mit nur 20 Jahren begann sein Aufstieg im DDR-Ministerium für Außenhandel und innerdeutsche Beziehungen. Als er auf der sozialistischen Karriereleiter eine Sprosse nach der anderen erklomm, übte er eine neue Handschrift ein. "Nicht mehr so krakelig, schwungvoll sollte sie sein."
Freie Hand bei allen Geschäften
Wahrscheinlich hätte er auf beiden Seiten der Mauer Karriere machen können, denn er war nicht nur gewieft, oder besser: gerissen, er war auch skrupellos bei der "Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen". Niemandem ließen die Staatslenker des Politbüros so viel freie Hand bei seinen Geschäften, die sie im Detail nicht einmal alle kannten. Hauptsache er schaffte Devisen ran, um die DDR vor dem Untergang zu retten.
Mit dem legendären Milliardenkredit, den er mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß einfädelte, ermöglichte er Honeckers "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" auf Pump. Ob Möbel für Ikea oder Bettwäsche für westdeutsche Kaufhäuser. Manchmal wurde sogar in DDR-Gefängnissen für den Westen produziert. Ob Handel mit Waffen oder Antiquitäten , seine Firma "Kommerzielle Koordinierung", kurz Koko, ersann ständig Neues.
Die Gefangenen selbst wurden zum guten Geschäft, deren Freikauf vom Westen der DDR Millionen einbrachte. Honecker hielt seine Untertanen von den erwirtschafteten Devisen mit Bananen und Apfelsinen zu Weihnachten bei Laune. Ob Menschenhandel oder Menschenversuche: viele Millionen brachte auch seine Offerte, kranke DDR Bürger westlichen Pharmafirmen als Versuchskaninchen für deren neuen Medikamente anzubieten. Nachdem klinische Tests im Westen schwieriger geworden waren, hatte die DDR dieses Geschäftsfeld im breiten Stil eröffnet .
Besonders stolz war Schalck auf seine Umgehung des vom Westen verhängten Embargos. Es war für ihn eine sportliche Herausforderung, die verbotene Einfuhr von Computern, Elektronik und Technik via Tarnfirmen zu umgehen. 1989, am Ende sah er schneller als andere ein, dass es vorbei war. Er habe, sagte er, für die DDR gekämpft und "wir haben am Ende verloren."
Peter-Michael Diestel, 63, der letzte Innenminister der DDR, beklagte angesichts des Todes von Schalck gegenüber SPIEGEL ONLINE, er habe "einen verlässlichen, klugen Freund verloren." Er habe "Alex" erst in der Wendezeit kennengelernt und war bis zuletzt mit ihm befreundet. Das letzte Telefonat mit ihm liege erst wenige Tage zurück.
Entgegen allen Gerüchten sei "Alex" trotz schwerer Krankheiten geistig wach und am Weltgeschehen interessiert gewesen. Wenn das Gespräch auf die DDR kam, sei Schalck wichtig gewesen, dass man seine Rolle in der Zeit des Kalten Krieges fair beurteile. Diestel erklärt: "Er hat für mich einen glaubwürdigen Spagat gemacht zwischen dem Verrat an der alten politischen Überzeugung und der Einsicht in die neue Entwicklung. Die Geschichte wird in absehbarer Zeit mit ihm Frieden schließen."
Allerdings: "Es gibt immer noch ein entscheidendes Gespräch, das man mit einem Verstorbenen nicht geführt hat", klagt Diestel. "Mein Freund Alex hat nun die Abteilung gewechselt und schickt sich an vor dem höchsten Richter der Geschichte zu stehen."
Schalck wird viele Geheimnisse mit ins Grab nehmen. Doch eins konnte er bis zuletzt selbst nicht lösen. Warum bloß in aller Welt ihm der BND den Decknamen Schneewittchen gegeben hatte.