Nachruf zum Tod von Volker Handloik "Er wollte verstehen und beschreiben"
Von Gisbert Mrozek
Volker Handloik war für seine Reise nach Nordafghanistan perfekt vorbereitet. In den bauchigen fünf Taschen und Koffern, mit denen er in Moskau anreiste, waren allerdings keine Panzerwesten und Tarnanzüge, sondern Bücher, Karten, Bilder und CDs, Geschichtsfolianten und Reiseberichte. Alles, was in Berlin an Studienmaterial über Mittelasien zu haben war, hatte er eingepackt. Einschließlich des persischen Sprachführers, mit dem er die Farsi-Kenntnisse auffrischen wollte, die er sich früher auf einer Persienreise angeeignet hatte. Auf dem Flug nach Duschanbe übten wir die Unterschiede zwischen Farsi und Dari.
Denn Volker Handloik reiste nicht zur platten Frontberichterstattung an, sondern um zu verstehen und zu beschreiben. So wie er sich die Welt bereits erreist und sie beschrieben hatte, seit das für den gebürtigen Rostocker möglich wurde.
In DDR-Zeiten hatte er erst im VEB-Fischfang in Rostock Heringe in Dosen verpackt und hatte schließlich bei der Reichsbahn als Rangierleiter gearbeitet. Bei der Ostsee-Zeitung absolvierte er eine Ausbildung zum Offset-Drucker. Seit 1987 war er - schon als Student der Kunstgeschichte - Mitherausgeber einer Samisdat-Literaturzeitschrift in Ostberlin. Die erstbeste Gelegenheit nutzte er, um nach Argentinien, Patagonien und Feuerland zu fahren - und das in einer präzisen, packenden und auch provokativen Art so zu beschreiben, dass er mit seinem unverwechselbaren Stil schnell Stammautor für alle namhaften deutschen Zeitschriften wurde, für SPIEGEL, "Stern", "Focus" und "Geo", "Merian" und "Mare". 1995 wurde er für den Kisch-Preis nominiert.
Seine Wohnung am Berliner Prenzelberg verwandelte sich in ein wahres Raritätenkabinett mit knarrenden Holzdielen, das fast ausschließlich mit ausgestopften Tieren, verstaubtem Mate-Geschirr und sonstigen Reise-Trophäen museal möbliert war. Immer mehr interessierte er sich für den Osten. 1993 lernten wir uns kennen.
Er war natürlich auch in Grosny 1996. Schlug sich - dem Flüchtlingsstrom entgegen - bis ins zerbombte Stadtzentrum durch, sprach mit dem Feldkommandeur Ahmed Sakajew. Und beschrieb, wie dort ein tschetschenischer "Bojewik" mitten auf der Strasse in den Ruinen an einem Piano sitzt und Tschaikowski spielt.
Handloik war kein Kriegsberichterstatter aus Jüngers "In Stahlgewittern". Ihn interessierten mehr die Zwischentöne und die Menschen. Die Drogensüchtigen in Odessa, die Seekadettenanstalt in Petersburg, die Kaviar-Piraten im Wolgadelta, die Ölinseln vor Baku, der frierende Ferne Osten oder auch die Schampanskoje-Orgie im Nachtzug von Moskau nach Petersburg. Leben interessierte ihn mehr.
Er frischte sein DDR-Schulrussisch wieder auf, denn eigentlich wollte er ja aus Berlin nach Moskau umziehen, in die Boom-Metropole der nächsten Zukunft. Seine Taschen stehen noch in unserem Büro. Nach der Rückkehr aus Afghanistan wollten wir ihn akkreditieren.
Natürlich wusste er, was er tat, als er nach Nordafghanistan ging. Als wir am Rudaki-Prospekt in Duschanbe in dem atemberaubend schönen Teehaus noch einen Wodka tranken, bevor er nach Süden aufbrach, war beim Abschied für einen winzigen Augenblick auch das Gefühl der Gefahr ganz präsent. Eigentlich wollte er schon längst zurück sein.
Aber er musste wochenlang irgendwo da bei Chadscha Bagauddin ausharren und auf die große Geschichte warten, für die es nicht genügt, in dem Haus zu übernachten, in dem Scheich Massud von Attentätern Anfang September in die Luft gesprengt wurde. Das Gefühl der Gefahr atmet auch aus den Tagebuchnotizen, die er per E-Mail aus Afghanistan schickte. Aber auch die Lust auf Menschen, Situationen und Verstehen.
Gisbert Mrozek ist Mitarbeiter der deutschen Internetzeitung www.moskau.ru