Nato-Einsatz in Libyen Angst vor einem zweiten Afghanistan

Die militärische Lage der libyschen Rebellen ist verzweifelt: Gaddafis Soldaten greifen unvermindert an, die Freiheitskämpfer sind in der Defensive. Mit Luftangriffen allein ist der Krieg nicht zu gewinnen. Nun wollen die Briten Militärberater ins Wüstenland schicken. Werden bald Bodentruppen folgen?  
Raketenabschuss der Rebellen bei Adschdabija: Mit Luftangriffe allein nicht zu gewinnen

Raketenabschuss der Rebellen bei Adschdabija: Mit Luftangriffe allein nicht zu gewinnen

Foto: Vassil Donev/ dpa

Berlin/Paris/London - Zuerst herrschte Zufriedenheit, fast Euphorie. Als französische Flugzeuge in Libyen die Streitkräfte Muammar al-Gaddafis unter Feuer nahmen, sonnte sich Nicolas Sarkozy im Glanz des kriegserprobten Krisenmanagers. Der Präsident wollte damit nicht nur von den verpassten Initiativen in Tunesien und Ägypten hinwegtäuschen, sondern auch vergessen machen, dass er den Revolutionsführer in Paris mit großem protokollarischen Pomp empfangen und geehrt hatte. Auch die Mehrheit der Opposition feierte das Eingreifen der Luftwaffe als Sieg der Menschenrechte über einen irrlichternden Despoten.

Doch je länger der Einsatz dauert, desto stärker macht sich Ernüchterung breit. Der Westen wirkt ratlos angesichts der Tatsache, dass Gaddafi nicht so schnell weicht, wie es sich manche erhofft hatten. Nun hat Großbritanniens Außenminister William Hague am Dienstag offiziell angekündigt, es sollten "erfahrene Militärberater" zu den Rebellen nach Bengasi geschickt werden.

Das ist eine weitere Drehung in dem Konflikt. Noch in Berlin letzte Woche wich Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen der Frage aus, ob die Allianz mit den Rebellen auch auf militärischem Gebiet zusammenarbeite. Man habe Kontakt zur Opposition, aber die Frage der "militärischen Taktik ist eine Aufgabe der libyschen oppositionelle Gruppen".

Die Nato steht zunehmend vor einem Dilemma: Gaddafi macht es ihr schwer, wirkungsvoll die Rebellen aus der Luft zu unterstützen. Die Soldaten würden sich - als Zivilisten verkleidet - in der Nähe von Krankenhäusern verstecken, von Moscheedächern schießen und Frauen und Kinder als Schutzschilde missbrauchen, so der Kommandeur des Libyen-Einsatzes, General Charles Bouchard, zum kanadischen Fernsehsender CBC.

Pariser Debatte

In den Kapitalen der Länder, die den Militäreinsatz vorantrieben - Paris und London -, macht sich zunehmend Sorge breit. "Zu Anfang schreit man immer 'Freiheit oder Tod'", schreibt das Magazin "Le Nouvel Observateur", "und dann überrascht man sich dabei, vergeblich nach dem Gesicht der Revolution zu suchen." In London warnen Politiker und Kommentatoren bereits vor der "Mission Creep", der schleichenden Ausweitung des Nato-Einsatzes.

Nur in Deutschland gibt es keine Debatte über einen Militäreinsatz. Weil sich die schwarz-gelbe Koalition mit der Bundeswehr raushält und allenfalls bereit wäre, eine humanitäre Hilfslieferung der Uno militärisch abzusichern, ist Berlin allenfalls am Rande gefragt. Außenminister Guido Westerwelle, gerade zum zweiten Mal nach der Revolution in Ägypten, sagt am Dienstag zur verzweifelten Lage in Misurata: Deutschland wolle "seinen Beitrag dazu leisten, dass Hilfsgüter nach Misurata kommen, aber auch dass Menschen aus Misurata evakuiert werden können". Details nannte er nicht.

Sorge vor einem neuen Kosovo

Zunehmend steht der Westen vor der Frage: Wie lange noch? Bei seinem Auftritt auf der Nato-Konferenz in Berlin letzte Woche sagte Außenminister Alain Juppé, der militärische Einsatz könne nicht "unendlich" dauern. Am Ende müsse es eine politische Lösung geben. Juppé wandte sich aber gegen Überlegungen, das Land zu teilen - in einen von den Rebellen befreiten Osten und den von Gaddafi kontrollierten Westen. Das ist ein Schreckenszenario für viele westliche Diplomaten: eine Kosovo-Lösung in Libyen - also ein Protektorat unter Uno-Verwaltung und dem Schutz der Nato. Es wäre eine weitere internationale Mission, die gewaltige Mittel binden würde - über Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinaus.

In Paris taucht immer wieder auch eine andere Frage auf: Gibt es ein zweites Afghanistan im Maghreb? Die Vision verfolgt die Strategen im Quai d'Orsay wie im Elysée: Die Wirkungslosigkeit der Luftschläge gegen die regimetreuen Truppen Gaddafis, die fehlende Unterstützung der Rebellen durch Waffen und Hilfe zeigen, dass dieser blutige Konflikt ohne Einsatz von Bodentruppen kaum zu gewinnen sein wird. Während Gaddafi aussitzt, bröckelt in Paris die Zustimmung der politischen Klasse für die Intervention, die unter der Bezeichnung "humanitärer Krieg" angeschoben wurde.

Der Filmemacher und Autor Claude Lanzmann ("Shoah"), der mit Verve das Eingreifen Frankreichs unterstützt hatte, fragt sich nach dem Sinn eines Konflikts mit "ungewissem Ausgang". Die Operation könnte nun tatsächlich als langwieriges Abenteuer enden. "Erst Verstrickung, dann Uneinigkeit und schließlich Niederlage", kommentiert "Le Monde", "dahin führt eine solche Verkettung von Ereignissen."

Sorgen auch in London

Auch in Großbritannien geht die Sorge um, dass das Land immer weiter in den Libyen-Konflikt hineingezogen wird. Es gab harsche Kritik, als Premier David Cameron kürzlich gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama einen Aufsatz publizierte, in dem der Kernsatz lautete: Der Einsatz werde so lange dauern, bis Gaddafi nicht mehr an der Macht sei. Wie konnte das Trio eigenmächtig den Regimewechsel zum Kriegsziel erklären? Die Uno-Resolution 1973 sehe nur den Schutz von Zivilisten vor, wurde der Konservative Cameron von seinem Hinterbänkler John Baron belehrt. Auch Russland protestierte. Der deutsche Außenminister Westerwelle mahnte ebenfalls auf der Nato-Konferenz, wichtig sei, dass die Uno-Resolutionen zu Libyen Richtschnur allen Handelns blieben. Und hinter verschlossenen Türen forderte er die Nato auf zu klären, wann und unter welchen Bedingungen militärische Operationen beendet werden könnten.

Doch das weiß augenblicklich noch niemand.

Stattdessen wird über den Einsatz von Bodentruppen spekuliert. "Wie lange wird es dauern, bis der Premierminister vorschlägt, britische Bodentruppen zu entsenden, um seine Ziele in diesem immer weiter ausufernden Konflikt zu erreichen?", fragt die konservative "Daily Mail". Eine Invasion Libyens wäre ein eindeutiger Bruch der Uno-Resolution, das wissen alle westlichen Regierungschefs. Cameron bekräftigte daher auch, es werde dazu nicht kommen.

Stattdessen sollen nun Trupps von Ausbildern nach Libyen gehen, um die Rebellen zu trainieren. Britische Spezialeinheiten sind ohnehin bereits seit Wochen dort und spähen Ziele für die Nato-Luftschläge aus. "Dies ist ein gefährlicher Moment für Mister Cameron", kommentiert der konservative "Daily Telegraph". Das Blatt sorgt sich: "Wir stehen vor einem militärischen Einsatz mit offenem Ende, der darauf hinauslaufen könnte, dass Bodentruppen in ein weiteres riskantes Auslandsabenteuer verstrickt werden."

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