Naturschutzbund Deutschland Kotau vor der Agrarlobby
SPIEGEL ONLINE:
Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke will heute seine Vorschläge für agrarpolitische Reformen dem Landwirtschaftsausschuss vorlegen. Wie bewerten Sie seine Position?
Jochen Flasbarth: Das ist alles windelweich, alter Wein in neuen Schläuchen. Es gibt zwar Überschneidungen mit dem Sieben-Punkte-Plan der Staatssekretäre, aber die guten Inhalte stehen bei den Staatssekretären.
SPIEGEL ONLINE: Das Konzept der Staatssekretäre wäre also ein ausreichendes Programm?
Flasbarth: Ja. Es sieht eine völlige Kehrtwende in der Agrarpolitik vor. Vieles, was bisher noch völlig unverhandelbar war für das Landwirtschaftsministerium, findet sich hier wieder. Insofern ist das wegweisend.
SPIEGEL ONLINE: Warum folgt Funke den Vorschlägen seines Staatssekretärs nicht?
Flasbarth: Offenbar fühlt sich der Minister der konventionellen Landwirtschaft zu stark verpflichtet, um zu einschneidenden Maßnahmen überzugehen. Funke scheint noch nicht bereit zu sein, sich für eine wirklich umweltverträgliche und verbraucherfreundliche Agrarpolitik einzusetzen. Er macht mit unverbindlichen Allgemeinplätzen einen Kotau vor der Agrarlobby. Wir haben eine Landwirtschaft, die in hohem Maße planwirtschaftlich betrieben wird. In dem Augenblick, wo umgesteuert wird, wo Ökolandbau gefördert wird, wird dieses Geld den bisherigen Nutznießern entzogen. Mehr Geld wird es sicherlich nicht geben, das ist ein Verteilungskampf.
SPIEGEL ONLINE: Also geht es um nichts anderes als um eine Umschichtung von Subventionen.
Flasbarth: Letztendlich ja. Nachdem die Landwirte mehr als die Hälfte ihres Einkommens aus Subventionen beziehen, hat der Staat hier natürlich neben den gesetzlichen Möglichkeiten den Hebel der Förderung. Das müsste die Regierung jetzt stark ausspielen.
SPIEGEL ONLINE: Wenn die Agrarwende kommt - können die Verbraucher dann auf BSE-freies Rindfleisch hoffen?
Flasbarth: Nur wenn wir zu einem Ökolandbau kommen und zu einer Rinderwirtschaft, wo die Tiere wirklich von den Betrieben ernährt werden und nicht mit Futtermitteln von Gott weiß woher. Das ist die zentrale Position in dem Papier der Staatssekretäre.
SPIEGEL ONLINE: Ist es denn sinnvoll, den Ökolandbau mit Subventionen zu finanzieren?
Flasbarth: Das ist für eine Übergangszeit unumgänglich, solange wir auf EU-Ebene sehr unterschiedliche Anforderungen an die Landwirtschaft haben. Wenn man die Landwirtschaft in Deutschland weiter betreiben will, dann wird man den Landwirten auch helfen müssen. Nur kann man dann als Steuerzahler verlangen, dass die Natur nicht belastet wird und dass man sich an der Wursttheke nicht ekeln muss.
SPIEGEL ONLINE: Brauchen wir ein staatliches Gütesiegel?
Flasbarth: Natürlich muss der Staat kontrollieren, dass Gütesiegel nicht missbräuchlich eingesetzt werden. Das eigentliche Problem in Deutschland aber war bisher, dass wir eine Vielzahl von Ökokennzeichen für Lebensmittel hatten. Seit einem Jahr gibt es nun ein einheitliches Gütesiegel, das "Ökologische Prüfzeichen".
SPIEGEL ONLINE: Aber die Verbraucher kennen es nicht.
Flasbarth: Dieser Vorwurf geht an Landwirtschaftsminister Funke. Er hat sich nie für die Durchsetzung des Prüfzeichens auf dem Markt eingesetzt. Hier hätte sich der Minister viel mehr persönlich engagieren müssen, und es hätte auch mehr Geld investiert werden müssen.
SPIEGEL ONLINE: Haben wir nicht auch ein Strukturproblem? Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium haben jeweils eine Abteilung für Verbraucherschutz, die aber nicht miteinander kommunizieren.
Flasbarth: Wenn Zuständigkeiten zu stark verteilt sind, ist das nie eine gute Voraussetzung für Krisensituationen. Jetzt haben wir ein Riesenproblem, und man hat gesehen, dass das eine völlig unzureichende Ressortverteilung ist. Wir fordern eine eindeutige Zuständigkeit für den Verbraucherschutz, da wo es sinnvoll ist: beim Gesundheitsministerium.
SPIEGEL ONLINE: Brauchen wir nicht ein eigenes Verbraucherschutzministerium?
Flasbarth: Das sehe ich nicht als zwingend an. Es reicht die Gründung eines starken Bundesamtes für Verbraucherschutz unter Führung des Gesundheitsministeriums.
SPIEGEL ONLINE: Wird das Landwirtschaftsministerium dann überflüssig?
Flasbarth: Das hängt davon ab, ob das Ministerium die agrarpolitische Wende mit herbeiführt. Wenn das gelingt, dann braucht man ein Landwirtschaftsministerium vor allem, um bei den Bauern Vertrauen zu schaffen. Es hängt jetzt alles davon ab, ob Funke sich an die Spitze der agrarpolitischen Wende stellt. Der Minister muss die Vorschläge seines Staatssekretärs übernehmen, sonst macht er sich überflüssig.
Das Interview führte Christoph Schult