Neonazi-Schutz für Kitas Bastion gegen braune Brut

Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Schwesig (SPD): Positives Echo
Foto: DDPBerlin/Schwerin - Dieter Karstädt schöpfte Verdacht. In Bartow, einem 550-Einwohner-Dorf im Landkreis Demmin, stand zu Jahresbeginn die Kindertagesstätte vor der Schließung. 15.000 Euro fehlten dem Bürgermeister zur Finanzierung. Dann kam plötzlich Mattias Schubert an, Vater von sieben Kindern, ein Mann mit Großfamilie, auf den ersten Blick die Lösung für das Kita-Problem. Denn er versprach, die Einrichtung ehrenamtlich weiterzuführen.
Bürgermeister Karstädt misstraute dem freundlichen Angebot. Er hakte nach. Und erfuhr, dass Schubert -Mitglied ist.
Er sagte dem vermeintlichen Kita-Retter ab.
Unterwandern die Kitas von ? Die Frage steht nun im Raum, und Landessozialministerin hat sie für die Regierung beantwortet: Ja, es gibt die Gefahr. Die -Politikerin hat zum 1. August einen Erlass verfügt, der von Kita-Mitarbeitern ein klares Bekenntnis zur Verfassung verlangt.
"Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bei der Erlaubniserteilung für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen" heißt das Wortungetüm. Verlangt wird von den rund 1100 Kita-Trägern in Mecklenburg-Vorpommern eine Selbsterklärung, der zufolge sie für die Grundgesetztreue ihrer Mitarbeiter bürgen. Wenn ein freier Träger eine neue Kita gründen will, wird sogar eine Selbsterklärung jedes Erziehers gefordert.
Ähnliche Grundgesetzbekenntnisse werden sonst nur von Bundesbeamten verlangt und in unterschiedlicher Form von Landesbeamten. Arbeitsrechtliche Bedenken hat die Sozialministerin aber nicht - "unsere Juristen haben das geprüft", sagt Sprecher Rüdiger Ewald. Mecklenburg-Vorpommern hat in solchen Vorschriften ohnehin eine gewisse Tradition. Seit Jahren gilt ein sogenannter Radikalenerlass für öffentliche Wahlämter, den Innenminister Lorenz Caffier im Herbst 2007 nochmals verschärft hat. Wer Bürgermeister, Feuerwehrchef oder Vorsitzender eines Zweckverbands werden will, muss belegen, dass er keiner verfassungsfeindlichen Partei angehört.
NPD: "Politisierung unserer Kleinen"
Die demokratischen Parteien loben den Kita-Erlass einhellig. "Konsequent" findet ihn der Chef der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery. Armin Jäger, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, spricht von einem "guten Signal an die vielen Menschen, die sich in unserem Bundesland jeden Tag vor Ort für Demokratie und Toleranz engagieren".
Nur die NPD tobt und spricht von einer "Lex NPD". Der Prozess "einer regelrechten Politisierung unserer Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern nimmt seine nächste Hürde", teilt die Bundespartei mit. "Dass Frau Schwesig aus einer Mücke einen Elefanten macht und nunmehr eine drohende Unterwanderung von Kindertageseinrichtungen durch 'Rechtsextremisten' herbeihalluziniert, steht wohl außer Frage."
Darüber kann man geteilter Meinung sein. Dass die Rechtsextremen in Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren versuchen, durch bürgerschaftliches Engagement weiteren Einfluss in der Gesellschaft zu bekommen, ist belegt. Besondere Erfahrungen mit dieser Graswurzelstrategie von Neonazis musste das Städtchen Lübtheen im Landkreis Ludwigslust machen. Hier lebt auf einem großzügigen Anwesen Udo Pastörs, 57, Fraktionschef der NPD im Schweriner Landtag. Auch eine Reihe brauner Gesinnungsgenossen hat sich in der Gegend niedergelassen. Mit NPD-Landeschef Stefan Köster betreibt Pastörs in Lübtheen ein Bürgerbüro seiner Partei, ihr Weggefährte Andreas Theißen und Pastörs' Ehefrau Marianne sitzen für die NPD im Rat der Stadt.
Die Rechtsextremisten versuchen seit Jahren, in der Gesellschaft der 4500-Einwohner-Gemeinde Fuß zu fassen. Pastörs engagierte sich in der örtlichen Bürgerinitiative gegen den geplanten Braunkohletagebau - die Gruppe spaltete sich allerdings. Theißen, früher in der militanten "Wiking Jugend" und der ebenfalls verbotenen Nachfolge-Organisation "Heimattreue Deutsche Jugend" aktiv, wollte einst die Zwei- bis Sechsjährigen im Sportclub "Concordia" betreuen - was der Verein verhinderte. Pastörs' Tochter dagegen sitzt noch immer im Elternrat des Kindergartens. Viele Vereine und Träger versuchen inzwischen mit entsprechenden Klauseln in ihrer Satzung die rechtsextreme Unterwanderung zu verhindern.
Positives Echo aus anderen Ländern
Im Schweriner Sozialministerium hat man diese Entwicklungen im Auge - und hebt deshalb den vorbeugenden Charakter des Kita-Erlasses hervor. "Natürlich ist das vor allem präventiv gedacht", sagt Schwesigs Sprecher. Dass die NPD so sauer auf den Erlass reagiert habe, bestärke die Ministerin nur.
Auch durch Reaktionen anderer Länder wähnt man sich auf dem richtigen Weg. Aus dem schleswig-holsteinischen Sozialministerium erfuhr SPIEGEL ONLINE, man unterstütze Schwesigs Initiative. Allerdings sei ein solcher Erlass im eigenen Land wohl nicht notwendig. Auch im sächsischen Kultusministerium sieht man den Erlass mit Wohlwollen: "Extreme haben in Kindertagesstätten nichts zu suchen", weder aus dem linken noch aus dem rechten Spektrum, sagte eine Sprecherin SPIEGEL ONLINE. Sachsen plane aber keine entsprechende Initiative. In Thüringen und Sachsen-Anhalt sieht man ebenso wenig Notwendigkeit für einen Extremisten-Erlass in Kitas.
Unterstützung für Schwesig kommt auch von der Volkssolidarität, dem größten Träger von Kindertagesstätten in Ostdeutschland. Bundesgeschäftsführer Bernd Niederland sagte SPIEGEL ONLINE, er befürworte die Strategie, Rechtsextremen keinen Spielraum zu geben, damit sie in Kitas gar nicht erst Fuß fassen.
Zentralrat der Juden: "Starkes Beispiel"
Der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert sogar eine bundesweite Ausweitung des Schweriner Erlasses. Die Initiative Mecklenburg-Vorpommerns sei "ein starkes Beispiel für einen kämpferischen demokratischen Staat, der sich wehren will und den Todfeinden der Freiheit keinesfalls unsere Kinder überlassen darf", sagte der Vizepräsident des Zentralrats, Dieter Graumann, dem "Handelsblatt". Dem Vorbild sollten andere Bundesländer folgen.
Das allerdings ist Sache der einzelnen Länder - darauf weist auch das Bundesfamilienministerium hin. Die "Umsetzung und Anwendung" solcher Regelungen "obliegt nach der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung den Ländern und Kommunen".
Manuela Schwesig weiß das. Sie will jetzt erst mal erreichen, dass ihre Initiative in Mecklenburg-Vorpommern geschlossen umgesetzt wird. Das ist nämlich nicht ganz leicht - denn von den Landkreisen werden sogenannte Kindertagesmütter auf Honorarbasis beschäftigt, und für sie ist Schwesigs Erlass nicht bindend. Allerdings seien die Reaktionen der Kreise bisher sehr positiv, ist aus dem Ministerium zu erfahren.