
Piratenpartei: Enttäuschte Netzaktivisten
Kritik von Netzaktivisten Piraten als böse Stiefkinder
Wenn Constanze Kurz über die Piratenpartei redet, schwingt in ihren Sätzen Wehmut mit. "Ich habe viele Hoffnungen in die Piraten gesteckt", sagt die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). "Irgendwie war das ganz cool."
Mit den Piraten hatte eine technologiebejahende Partei die politische Bühne betreten. Ihre Instrumente wie die Abstimmungssoftware Liquid Feedback könnten die politische Kultur verändern, schwärmte Kurz noch im April . Es schien, als würde das Internet die Demokratie besser machen, als hätte die Gesellschaft nur auf eine Partei wie die Piraten gewartet.
Doch davon ist nicht mehr viel übrig geblieben. Leute wie der Politische Geschäftsführer Johannes Ponader, bei dem es oft um Sandalen oder seinen Ärger mit dem Arbeitsamt ging, gaben den Ton an.
"Die Partei hat bei netzpolitischen Themen noch zu wenig gepunktet, stattdessen bestimmen inhaltsarme und austauschbare Selbstdarsteller das Bild in der Öffentlichkeit", sagt Constanze Kurz. "Mir fehlt bei den Piraten eine Vision, wie das Internet in fünf Jahren aussehen soll."
Die Aussagen der Informatikerin offenbaren das zunehmend gespannte Verhältnis zwischen Netzaktivisten und Piraten. Beide Gruppen haben ähnliche kulturelle Wurzeln, sie bieten Menschen eine Heimat, die nächtelang vor ihrem Rechner sitzen und Club-Mate-Brause trinken. Doch viele Netzaktivisten empfinden die Piraten nicht mehr als den parteipolitischen Arm ihrer Bewegung. Nachdem die Partei in öffentlichen Umfragen auf etwa fünf Prozent abgerutscht ist, wächst auch im eigenen Milieu die Enttäuschung.
Das erweiterte Grundsatzprogramm geht zu Lasten der Kernthemen
"Selbstverständlich gibt es bei den Piraten mehr Menschen mit Ahnung von Netzpolitik als bei der Konkurrenz", sagt der Blogger Markus Beckedahl von netzpolitik.org, das bilde sich aber "noch nicht in der politischen Arbeit ab". Ähnlich sieht es der Aktivist Christian Horchert, der sich im Internet "fukami" nennt. Horchert war bis 2010 bei den Piraten aktiv und trat dann zu den Grünen über. "Die Piraten gelten als die parteigewordene Netzgemeinde", sagt er. "Ich empfinde sie eher als das böse Stiefkind."
Auf dem Bochumer Bundesparteitag Ende November erweiterten die Piraten ihr Grundsatzprogramm. Sie sind jetzt zum Beispiel für betriebliche Mitbestimmung und gegen die Nutzung der Kernenergie. Die junge Partei will der Öffentlichkeit beweisen, dass sie bei allen Debatten mitreden kann. Das geht allerdings zu Lasten der Kernthemen. Netzneutralität, Datenschutz oder staatliche Überwachung kamen in Bochum nur am Rande vor.
Wie weit die Entfremdung reicht, wurde bei einer Petition gegen das umstrittene Leistungsschutzrecht sichtbar, die der Pirat Bruno Kramm angestoßen hatte. Das Gesetz soll Verlegern das Recht geben, von Suchmaschinen wie Google Geld dafür zu verlangen, dass ihre Artikel dort mit Textanrissen gelistet werden. Eigentlich sind sich Piraten und Aktivisten einig: Das Regelwerk könnte den freien Informationsfluss im Internet stören. Die Kampagne hätte ein Symbol des vereinten Widerstands werden können.
Der Erfolg zog Glücksritter aus allen Schichten an
Doch Kramm und seine Piraten preschten mit ihrer Petition vor, ohne sich mit der Netzgemeinde abzusprechen. Dementsprechend sauer reagierten viele Aktivisten. Der Chaos Computer Club und der Netzverein Digitale Gesellschaft ignorierten den Vorstoß lange Zeit. Als sich abzeichnete, dass die Piraten nicht genug Stimmen sammeln würden, signalisierten Vordenker wie Sascha Lobo zwar Unterstützung, blieben aber auf Distanz: "Zeichnet die Petition mit, auch wenn sie getextet ist wie von marsianischen Katasteramtsleuten", bloggte Lobo. Die Petition scheiterte Mitte Oktober dennoch, die nötigen 50.000 Stimmen kamen nicht zustande - ein peinlicher Rückschlag für die lange so selbstbewusste Szene.
Dabei waren es ursprünglich gerade bundesweite Demonstrationen gegen die von Ursula von der Leyen (CDU) geplanten Netzsperren gegen Kinderpornografie oder die Vorratsdatenspeicherung, die eine neue Form außerparlamentarischer Opposition sichtbar machten. Die Piraten waren ein Teil davon, viele Netzaktivisten unterstützten den Aufstieg der Partei oder wurden Teil von ihr. Die Welt war noch in Gut (Netz) und Böse (Politik) geteilt.
Heute sind die Piraten jedoch selbst zum Teil dieser Politik geworden. Der Erfolg hat Glücksritter aus allen Schichten angezogen, die mit der Hackerkultur nur noch wenig anfangen können. "Als Sammelbecken für zum Teil auch kuriose Anliegen könnten die Piraten ihre ohnehin schon zurückgedrängten Kernthemen aus den Augen verlieren", sagt der Göttinger Politologe Alexander Hensel.
Netz- und Bürgerrechtsthemen waren das Lebenselixier der Piraten
Und dort, wo die Piraten in die Landtage eingezogen sind, beginnt das politische System, wie einst bei den Grünen, die Radikalität der Newcomer zu schleifen. Der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer erarbeitete im Sommer eine Reform des Urheberrechts. Die Logik der Piraten hätte es erfordert, den Text etwa ins sogenannte Piratenwiki zu stellen, wo die Mitglieder sich an programmatischen Debatten beteiligen können.
Doch Lauer verzichtete auf eine öffentliche Meinungsbildung über das Internet. Lieber konsultierte er zwei Juristen, die Korrekturen an dem Entwurf vornahmen , ihre Namen behielt er für sich. Als Lauer den Text online stellte, war er bereits fertig. Seine Initiative war konventionelle Politik, die sich kaum von der Praxis etablierter Parteien unterschied. In der Netzgemeinde fragen sich nun viele, warum die Piraten ihr Potential nicht ausschöpfen. "Ich hätte mir gewünscht, dass Christopher Lauer den Text in ein öffentliches Wiki stellt, damit jeder Interessierte von Anfang an die Chance zur Mitarbeit bekommt", kritisiert der Berliner Datenaktivist Stefan Wehrmeyer, der die Website fragdenstaat.de betreut.
Klassische Netz- und Bürgerrechtsthemen waren lange Zeit das Lebenselixier der Piraten. Auch der Bundesvorsitzende Bernd Schlömer trat in die Partei ein, weil ihn die Debatten um den Großen Lauschangriff in den neunziger Jahren geprägt hatten. Schlömer kann die Klagen einiger Aktivisten nachvollziehen. "Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Kernthemen wie zum Beispiel die innere Sicherheit stärker in den Vordergrund stellen", sagt Schlömer. "Als Bundesvorstand brauche ich dazu aber auch die Hilfe und Unterstützung der Mitglieder."
Der ehemalige Bundesvorstand Matthias Schrade empfindet die Kritik der Aktivisten dagegen als einseitig. "Durch uns sind viele netzpolitische Themen im Mainstream angekommen", sagt Schrade. Der Erfolg der Piraten habe den Aktivisten doch erst Gehör verschafft. "Früher wurde zum Beispiel der CCC schräg angeguckt. Heute ist seine Expertise allgemein anerkannt. Diese Wahrnehmung hat sich auch durch die Piraten verändert", glaubt Schrade.
Pavel Mayer gehört zu jenen Piraten, die beide Seiten kennen. Er ist seit 20 Jahren im CCC aktiv, zog im Herbst 2011 für die Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus ein - und appelliert nun an die Geduld der Aktivisten. Jetzt, nach einem Jahr im Parlament, habe sich die Piraten-Fraktion ans System gewöhnt. "Ich musste erst mal lernen", sagt Mayer. "Gerade Hacker sollten dafür Verständnis haben."