Netzrebellen im Wahlkampf Piratenpartei greift offline an

Eine Splitterpartei macht Furore: Voller Euphorie stürzt sich die Piratenpartei in den Wahlkampf. Nach dem schnellen Erfolg in der Online-Community wollen die Netzpolitiker sich nun auch offline bemerkbar machen. Doch dazu fehlt ihnen einiges - vor allem Geld.

Berlin - "DerPupe" ballt die Faust, er spielt Luftgitarre und kann nicht aufhören zu grinsen. "DerPupe" ist Pirat, in der "Bar 25" am Spreeufer lehnt er am Tresen und genießt die Show. Der 36-Jährige hat eine kurze Hose an und trägt Turnschuhe ohne Socken. Er ist IT-Mitarbeiter bei Gazprom, sein richtiger Name ist Lars Hohl, doch so nenne ihn im Bekanntenkreis niemand, sagt er.

Piratenpartei feiert sich selbst: "Uns kann der Hype nur nutzen"

Piratenpartei feiert sich selbst: "Uns kann der Hype nur nutzen"

Foto: Gero Breloer/ AP

Mit etwa 50 Parteifreunden feiert "DerPupe" den "Wahlkampf-Kickoff" der Piratenpartei, wie sie es selbst nennen. Ein wenig staunen sie selbst über den Hype, der derzeit um sie veranstaltet wird. Gerade einmal 0,9 Prozent bekamen die Piraten bei der Europawahl, ob es bei der Bundestagswahl mehr wird, ist höchst ungewiss. Denn bislang spielt der gesamte Erfolg der jungen Partei im Internet, offline ist sie kaum in Erscheinung getreten. Doch medial haben die Piraten für Furore gesorgt, sie sorgen für Abwechslung - und bieten ein wenig Unterhaltung im dahindümpelnden Wahlkampf.

Auch die Präsentation der Wahlkampfspots und Plakate fällt anders aus als bei den etablierten Parteien - bunt, chaotisch und irgendwie sympathisch improvisiert. Der Beamer strahlt ein schiefes Bild an die Leinwand der Strandbar, die Kandidaten stottern unvorbereitet ihren Text herunter, und immer wieder schauen sich die Organisatoren ratlos an, was als nächstes kommt.

Die Stimmung ist dennoch glänzend.

Fast übermütig wirken die Piraten, vom eigenen Erfolg berauscht. Ein Einspieler zeigt eine Zusammenfassung der TV-Beiträge über die Partei, Ex-Tagesthemen-Frontmann Ulrich Wickert sagt in einer Talkshow: "Wenn die Piratenpartei bei der Wahl 5,1 Prozent bekäme, das wäre doch irre." Lars Hohl grinst zufrieden. So ganz kann er sich den Hype auch nicht erklären. "Aber uns kann das kann doch nur nutzen", sagt er. "Wir haben unsere Mitgliedszahlen vervierfacht und wachsen weiter." Mehr als 5000 Piraten gebe es bereits. Ein Einzug in den Bundestag wäre zwar sehr überraschend, aber die Chance sei da.

Um zwei Themen geht es: Bürgerrechte und Datenschutz

Hinderlich für den Erfolg sind jedoch drei Dinge: die thematische Einseitigkeit, die Finanzen - und Jörg Tauss.

Nach wie vor befasst sich die Partei fast nur mit Bürgerrechten und Datenschutz. Fast nebenbei werden Themen wie Bildung abgehandelt. Und die Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit spielt gar keine Rolle. Wütend sind die Piraten nicht, sie haben ein Anliegen, das vertreten sie auch leidenschaftlich, aber es geht nicht um existenzbedrohliche Fragen.

Zudem ist die Wahlkampfkasse relativ leer. Schatzmeister Bernd Schlömer sagt, die Partei müsse sich zunächst vernünftig aufstellen und dürfe nichts überstürzen. So müsse etwa ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen beauftragt werden, um an die Geldtöpfe des Staates zu kommen. Dafür müssen nämlich die Rechenschaftsberichte der vergangenen drei Jahre auf einen ordnungsgemäßen Stand gebracht werden. Den Namen der Prüfer will Schlömer nicht nennen, aber es solle schon ein "Unternehmen mit Reputation" sein. Das dürfte allein bis zu 5000 Euro kosten, ein stolzer Betrag für die klamme Partei. Geld, das im Wahlkampf fehlt.

Und dann ist da ihr Bundestagsabgeordneter. Der ehemalige SPD-Mann Tauss, gegen den wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material ermittelt wird, könnte noch eine echte Belastung für die junge Partei werden. Schon Ende August könnte der Immunitätsausschuss des Bundestages den Weg für eine Anklage freimachen. Im Mittelpunkt steht die Frage: Darf ein Abgeordneter sich kinderpornografisches Material beschaffen und es besitzen, um - wie Tauss sich verteidigt - "einen kinderpornografischen Ring" zu sprengen? Sollte es mitten in der heißen Phase zu einem Prozess kommen, dürfte dies für die Piratenpartei, die sich mit ihrem ersten Abgeordneten brüstete, höchst unangenehm werden.

"Die Piraten heben ab"

Gefährlich ist die Piratenpartei vor allem für FDP und Grüne. Johannes Vogel, Chef der Jungen Liberalen, hält den Wirbel um die Piraten für arg übertrieben. Und langsam zeige das Auswirkungen bei der jungen Partei, lästert er. "Die heben ab", sagte der 27-Jährige SPIEGEL ONLINE. "Das Problem ist: Die Piratenpartei verwechselt den Hype mit realem politischem Einfluss." Dabei sei allenfalls die Frage, ob sie bei der Bundestagswahl ein oder zwei Prozent bekäme. Vogel: "Aber ich sehe überhaupt nicht, dass die über fünf Prozent kommen und es ins Parlament schaffen."

JuLi-Chef Vogel warnt davor, dass Bürger ihr Votum am 27. September mit einer "Symbolstimme für die Piraten" verschenken würden. Auch inhaltlich hält er die Ausrichtung der Partei für problematisch. "Sie haben beim Thema Bürgerrechte die Diskussion angeheizt, das ist sicher positiv." Aber die Piratenpartei habe ein "seltsames Verständnis von Freiheit", kritisiert Vogel. "Zur Freiheit gehört auch das Recht auf Eigentum." Im Interview mit SPIEGEL ONLINE hatte bereits der Schatten-Innenminister der SPD, Thomas Oppermann, der Piratenpartei vorgeworfen, ihre Ziele seien "kriminell und unsozial". So weit geht Vogel nicht, die Jungen Liberalen seien auch für ein Recht auf Privatkopien, sagt er, doch unbegrenztes Filesharing dürfe es nicht geben.

Bei einer Sache haben die Piraten die JuLis zumindest schon abgelöst: Sie haben einen noch geringeren Frauenanteil als die FDP-Jugendorganisation. Zwar gibt es keine aktuellen Zahlen, doch zuletzt war gerade einmal jedes zehnte Mitglied weiblich. Das zu ändern hat sich Maike Hank vorgenommen. Am 1. Juli ist sie beim Berliner Landesverband eingetreten. Hank sagt, es gebe einfach weniger netzaffine Frauen als Männer, doch sie hoffe, dass sich das irgendwann ändere.

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