Neue Heimat Steinbrück wird Neandertaler

Peer Steinbrück will in den Bundestag. Auf den Wahlkreis Mettmann I im Neandertal hat es der Finanzminister bei der Wahl im nächsten Jahr abgesehen. Doch bei einer Maikundgebung in seiner neuen Wahlheimat fremdelt der SPD-Wahlkreisleiter in spe noch merklich.
Von Maike Jansen

Hilden - Eine kleine, mit Gewerkschaftsfähnchen geschmückte Bühne, eine Pommesbude, ein Getränkewagen, ein paar Infostände: Beschaulich geht es auf dem Alten Markt in Hilden zu. In der kleinen Stadt südöstlich von Düsseldorf begeht man den Tag der Arbeit mit einem Familienfest. Die Schützen haben gespielt, am SPD-Stand gibt es Kuchen und Muffins zu kaufen, ein paar Jusos basteln Anstecker für die Kinder. Das Wetter ist unbeständig, und so haben sich am Vormittag erst wenige Bürger auf den Weg in die Innenstadt gemacht, die Rede des Gewerkschafters geht beinahe völlig in die Leere.

Erst am Mittag füllt sich der Platz dann mit einem Mal - Besuch hat sich angekündigt: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück soll kommen, wie schon mehrfach in den vergangenen Monaten. Denn seit Herbst vergangenen Jahres hat der SPD-Politiker und ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident hier eine neue Heimat gefunden: Geht es nach den nordrhein-westfälischen Genossen, soll Steinbrück bei der Bundestagswahl 2009 das Direktmandat für den Wahlkreis Mettmann I. gewinnen. Bisher war der Finanzminister nicht Bundestagsabgeordneter gewesen, er sei "ein Mann der Exekutive" hatte Steinbrück stets betont.

Doch als Außenminister Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr bekanntgab, bei den kommenden Wahlen für den brandenburgischen Wahlkreis Potsdam-Mittelmark als Direktkandidat anzutreten, witterte man in Steinbrücks Umkreis Gefahr: Steinmeier, der wie Steinbrück als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, hätte durch die stärkere Bindung an die Parteibasis größere Chancen, sich durchzusetzen, so die Befürchtung. So begab man sich auch für den Finanzminister auf die Suche nach einer neuen Wahl-Heimat - und wurde ausgerechnet im rheinischen Neandertal fündig.

"Da zürnt sogar Gott!"

Dort hatte die SPD bei der letzten Bundestagswahl ihr Direktmandat knapp verloren - der populäre Kandidat Steinbrück soll es nun zurückgewinnen. Und eins machten die Genossen im Kreis dabei direkt deutlich: "Wir wollen keinen, der hier einfach nur sein Bild aufhängt", heißt es aus der Reihen der örtlichen SPD - der Finanzminister soll Präsenz zeigen, Bürgernähe aufbauen, heimisch werden.

So erscheint Steinbrück an diesem Donnerstagmittag auch ohne Tusch oder Begrüßungszeremonie. Wie ein normaler Besucher schlendert er auf den Alten Markt, schüttelt ein paar Hände und macht sich dann sofort auf den Weg zur Bühne. Schnell füllt sich der Platz, und er bleibt voll, obwohl im selben Moment, in dem Steinbrück ans Mikrofon tritt, ein Sturzregen vom Himmel prasselt. Skeptisch blickt der Politiker in Richtung Himmel, zuckt dann mit den Schultern und fragt in die Menge: "Soll ich abbrechen, oder können Sie mir noch zuhören?"

Man kann. Und so beginnt der Finanzminister mit einem Appell für die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, schimpft auf die Beschneidung von Mitbestimmungsrechten und die Bespitzelungsskandale der vergangenen Monate. Ein Donnergrollen ist zu hören, wieder blickt Steinbrück Richtung Himmel und einer ruft: "Da zürnt sogar Gott!" Weiter geht's mit der Forderung nach einem Mindestlohn, nach mehr Bildung und einer besseren Kinderbetreuung. Schnell wird deutlich: Pfiffe und Buhrufe, gar fliegende Eier oder Tomaten hat Steinbrück hier nicht zu befürchten - die Menge ist auf seiner Seite.

Fragen an den Finanzminister

Das wird vor allem auch dann deutlich, als Steinbrück die Bühne wieder verlässt. Weit kommt er nicht: Schon nach wenigen Metern hat sich eine Menschentraube um den Politiker gebildet, die ihn beharrlich mit Fragen löchert. Viele richten sich an den Finanzminister Steinbrück, nach der Bankenkrise und Steuersündern wird er gefragt. Doch auch kommunalpolitisch muss Steinbrück hier Stellung beziehen: Das größte Thema ist seit einiger Zeit der Bau einer CO-Pipeline, die quer durch den Kreis Mettmann führen soll. Der Chemiekonzern Bayer will darin das hochgiftige Kohlenstoff-Monoxyd von einem Werk ins andere pumpen, viele Bürger fürchten sich vor einem Leck der Leitung. Der nordrhein-westfälische Landtag hatte dem Bau ursprünglich zugestimmt, nun formiert sich Widerstand gegen die Pläne.

"Ich werde mit der Bürgerinitiative gegen den Bau dieser Pipeline sprechen", verspricht Steinbrück, "aber ich werde nicht jeden Tag ein Statement zu diesem Thema abgeben." Es sei für ihn wichtig, mit beiden Seiten zu sprechen, sich die Sorgen, aber auch den Nutzen einer solchen Pipeline genau anzuschauen. Mehr sagt er vorerst nicht. So gibt es wohl viele Themen, in die sich der Berliner Politiker erst noch einfinden muss, auch wenn er in der Region nicht völlig fremd ist. Knapp drei Jahre lang war Steinbrück schließlich Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, als Nachfolger von Wolfgang Clement, der 2002 als Wirtschaftsminister nach Berlin wechselte.

Doch während Clement nach seiner Kritik an der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti derzeit noch um seinen Verbleib in der Partei kämpfen muss, scheint Steinbrück die nordrhein-westfälischen Genossen sicher hinter sich zu haben: Von einer "Strahlkraft" Steinbrücks spricht der SPD-Kreisgeschäftsführer Peter Zwilling, einen Gegenkandidaten vor Ort gibt es nicht. Steinbrück dankt es den Genossen, indem er sich in den Monheimer Karneval stürzt, sich im Neandertal mit Kindern trifft oder in Mettmann eine Bürgersprechstunde abhält. Auch bei der Maikundgebung in Hilden nimmt er sich Zeit für Fragen. Bis er schließlich mit einem Blick auf die Uhr energisch verkündet: "So, jetzt fahr ich aber wirklich nach Bonn."

Seine wirkliche Heimat liegt eben doch noch woanders.

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