Neue Linkspartei Kraftakt gegen die SPD

Kampfansage an die Sozialdemokraten: Die neue Linke gibt sich auf ihrem Gründungsparteitag als die bessere SPD. Der gewichtigste Verfechter dieser Linie ist ausgerechnet der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine.

Berlin - Die neue Linke macht ihre ersten Atemzüge mit einem Mann mit weißer Schminke im Gesicht. Er ist ganz in weiß gekleidet, seine grauen Haare wachsen in viele Richtungen, er steht auf der großen Bühne im Estrel Convention Center in Berlin-Neukölln. Er tänzelt von links nach rechts, als weitere Weißgeschminkte mit großen Buchstaben den Saal betreten. Sie haben ein "D" zwei "I", zwei "E", ein "L", ein "N" und ein "K" mitgebracht, die werden jetzt feierlich auf das Podest gesteckt: "Die Linke".

Fehlt nur noch der Punkt auf dem zweiten "I", es wird jetzt ein bisschen wie bei "Wetten dass…": Frauen und Männer auf Rollerblades mit Schutzhelmen rollen über das Parkett, sie bringen den Punkt, der bei den Linken kein Punkt, sondern ein Dreieck ist. Fertig. "Da stehen die neuen Zeichen der Zeit", sagt der Grauhaarige bedeutungsschwer. Die 796 Delegierten sind von ihren Plätzen aufgestanden und klatschen.

Sie haben nach dem zwei Jahre dauernden und oftmals lähmenden Fusionsprozess von Linkspartei und Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) große Hoffnungen in die neue Partei. Doch andere in der Republik sehen die Neugründung mit großem Misstrauen. Noch während der Parteitag läuft, wird das Führungspersonal mit einer Meldung konfrontiert, die aus dem Süden der Republik kommt. Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat auf einem CSU-Bezirksparteitag die Beobachtung der "Linke" durch den Verfassungschutz verlangt. Schließlich sei das ja auch mit der PDS, mit Ausnahme von Berlin, in allen anderen Bundesländern geschehen.

Lothar Bisky reagiert aufgebracht. Die Vorwürfe des CSU-Politikers seien vielleicht 1989 noch richtig gewesen. "Wenn er heute aber eine ihm unliebsame Partei denunziert und Lügen verbreitet, dann nenne ich das Amtsmissbrauch."

Die neue Partei dient der politischen Konkurrenz als auch willkommene Möglichkeit, scharf zu polarisieren. Guido Westerwelle hatte auf dem FDP-Bundesparteitag in Stuttgart vor einem "Systemwechsel" gewarnt: "Wehret den Anfängen - das darf nicht nur gegenüber Rechtsaußen gelten, sondern das muss auch gegenüber Linksaußen gelten", so der FDP-Chef.

Das wiederum bringt Oskar Lafontaine auf, der zusammen mit Bisky die neue Linkspartei führen wird. Erst am Vortag hatte Bisky in seiner Rede davon gesprochen, seine Partei stelle die Systemfrage. Zu SPIEGEL ONLINE sagt Lafontaine: "Wer erklärt, eine Partei, die die Systemfrage stellt, gehöre nicht ins politische Spektrum, ist von vorgestern." So wisse die globalisierungskritische Bewegung in aller Welt, dass das jetzige globale Wirtschaftssystem zur Zerstörung des Planeten führe.

Enttäuschte SPD-Mitglieder

Unter den Delegierten aus dem Westen sind nicht nur Globalisierungsgegner, sondern auch viele Gewerkschafter und frühere SPD-Mitglieder. Da ist etwa Friedrich Elgert. Der 54-Jährige, Delegierter aus Offenbach, war lange bei den Sozialdemokraten. Er ist ein schlanker Mann mit Brille und lichtem Haar. Einen Job hat er schon lange nicht mehr. Vor sieben Jahren hat sein Arbeitgeber den Sitz nach London verlagert, da war er seinen Posten als Vertriebsleiter los. Die Dutzenden Bewerbungen: ergebnislos. Erst gab es Arbeitslosengeld, heute lebt er von seinem Ersparten, Anspruch auf Hartz IV hat er nicht: "Da geht man durch ein Tal der Schmerzen", sagt Elgert. Als der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder Hartz IV einführte, war für Elgert Schluss mit der SPD. "Die hat doch ihre Ideale verraten", sagt er.

Die Interessenvertretung der Arbeitnehmer und Arbeitslosen sind für ihn seitdem nur noch die Linkspartei und die WASG, die seit heute die Linke heißen. In seiner hessischen Heimat steht er mit etlichen SPD-Leuten in Kontakt: "Viele sind enttäuscht und unzufrieden, gut möglich, dass bald einige zu uns kommen", sagt Elgert. Bereits in den vergangenen Tagen war eine Gruppe der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos zur Linkspartei gewechselt.

Gefahr von Links

Die neue Linke als Bedrohung für die SPD? Seit Monaten schon sind die Sozialdemokraten erkennbar nervös angesichts der sich formierenden Kraft, die sich links von ihr positioniert. Auch auf dem Gründungsparteitag der Linken wird deutlich, dass die neue politische Kraft künftig im Milieu der SPD um Stimmen und Mitglieder buhlen will: Viele sprechen davon, Sprachrohr der Gewerkschaften sein zu müssen, weil die SPD diese Rolle aufgegeben habe, Parteieintritte von IG-Metall-Mitgliedern werden von Linksfraktions-Vize Bodo Ramelow feierlich bekanntgegeben. Häufig fällt das Stichwort Agenda 2010, "davon hat sich die SPD bis heute nicht erholt", sagt Linksfraktionschef Gregor Gysi. Eine Delegierte zitiert auf dem Podium eine Forsa-Umfrage, wonach neun Prozent der SPD-Mitglieder über einen Wechsel zur Linken nachdenken: "Das sind 50.000 potentielle neue Mitglieder für uns", sagt sie. "Die Tür in das Lager der SPD ist derzeit offen."

Kein Zufall dürfte es sein, dass auch zwei Sätze Willy Brandts zitiert werden: "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen", sagt Oskar Lafontaine. "Wir wollen mehr Demokratie wagen", sagt Lothar Bisky.

Die beiden sollen die Linke zum Erfolg führen. Sie wurden mit klaren Mehrheiten zu den neuen Vorsitzenden der Partei gewählt. Bisky erhielt 83,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, Lafontaine 87,9 Prozent. Für Lafontaine, den früheren SPD-Chef und Bundesfinanzminister, der bereits zusammen mit Gysi die Linksfraktion leitet, ist es die endgültige Rückkehr an die Spitze der Bundespolitik. Wie schon am Vorabend auf dem letzten Parteitag der WASG gibt Lafontaine den zornigen Prediger: "Reformchaoten" hätten den "sicheren Sozialstaat zerstört", die deutsche Außenpolitik verstoße gegen das Völkerrecht, US-Präsident George W. Bush und Großbritanniens Premier Tony Blair seien Terroristen, weil sie völkerrechtswidrige Kriege führten. "Freiheit und Sozialismus, Freiheit durch Sozialismus", ruft er im Stakkato den Delegierten zu.

"Wir sind die Partei des Sozialstaats", trommelt er weiter und zielt damit auf die Sozialdemokraten, die für sich in Anspruch nehmen, soziale Errungenschaften zu hüten. Eine Zusammenarbeit mit der in Umfragen schwächelnden SPD mag bei den Linken dennoch kaum jemand ausschließen. Diese Linie hatte Lafontaine unlängst auch bereits vorgegeben, als er der SPD-Führung Kooperation anbot, sollte sie ihre Hartz-IV-Politik korrigieren und den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beenden. Nach zwei Jahren quälender Beschäftigung mit sich selbst wirkt die neue Linke an ihrem ersten Tag ziemlich selbstbewusst. Ein Delegierter formuliert es so: "Eine Koalition mit der SPD? Ja, aber nur unter unseren Bedingungen."

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