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Rechtsextremisus: Störmanöver im Südwesten

Foto: Horst Hörger/ picture-alliance/ dpa

Neue Neonazi-Strategie Wie Rechtsextreme ihre Gegner drangsalieren

Angesichts knapper Kassen und häufiger Demo-Verbote hat die rechtsextreme Szene im Südwesten eine neue Strategie entwickelt: Die Neonazis kapern Veranstaltungen politischer Gegner. Nun ist ein baden-württembergischer SPD-Landtagsabgeordneter ins Visier der NPD geraten.

rechtsextremen Szene

Stephan Braun traute seinen Augen nicht. Immer wieder hatte er in den vergangenen Jahren seine Genossen und interessierte Bürger im Südwesten über das Treiben von Rechtsextremen informiert. Nun saßen dem baden-württembergischen SPD-Landtagsabgeordneten genau diese Rechtsextremen gegenüber - mitten im Herzen seines Wahlkreises: Insgesamt 60 Zuhörer waren zu seinem Vortrag über die rechtslastige "Junge Freiheit" in Waiblingen gekommen, davon 40 Sympathisanten der : "Die haben sich gleich in größeren Gruppen im Raum verteilt und die ganze Zeit über versucht, die Diskussion in ihrem Sinne zu steuern."

Einige Monate zuvor hatte Braun eine ähnliche Erfahrung gemacht - in Böblingen, wie Waiblingen eine Randgemeinde von Stuttgart. Damals waren etwa 15 Rechtsextreme gekommen. Sie blieben weitgehend unter sich - bis die Veranstalter den Juso-Kreisvorstand zusammentrommelten, der in einer Gaststätte in der Nähe tagte. In Böblingen hinterließen die Störer - darunter Kader der besonders radikalen NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) und autonome Nationalisten - Flyer mit Aufschriften wie "Widerstand lässt sich nicht verbieten" oder "Ihr werdet uns nicht los."

Braun ist nachdenklich geworden. Zumal der demokratisch gesonnene Teil des Publikums von der Übermacht der Rechten wie gelähmt gewesen sei. Deren Redebeiträgen sei "zu wenig entgegengesetzt" worden, findet Braun, der von einer "Gratwanderung" spricht: Auf der einen Seite müsse man ein Bewusstsein für die gewandelten Strategien der Szene schaffen, den Demokraten Argumente liefern. Andererseits dürften die Anti-Rechts-Veranstaltungen nicht zur Plattform für die Agitation rechtsextremer Organisationen verkommen.

"Stephan Braun quälen - NPD wählen"

NPD-Parteichef Udo Voigt

Genau das ist das Kalkül der rechten Strategen, die bereits 2003 das Konzept der sogenannten "Wortergreifungsstrategie" entwarfen. fordert seine Kameraden seither immer wieder dazu auf, Veranstaltungen des politischen Gegners zu unterwandern: "Drängen wir ihnen unsere Gedanken auf, ja zwingen wir sie dazu, sich mit uns, unseren Forderungen und Zielsetzungen zu beschäftigen." Die Strategie ist nicht unlogisch: Da Gegendemonstranten regelmäßig die Durchführung ihrer Veranstaltungen behindern und der klammen Partei zunehmend das Geld für eigene Vorträge fehlt, sollen die NPD-Anhänger Treffen des politischen Gegners besuchen und Thema und Diskussion in ihrem Sinne beeinflussen. Auch so könne man auf die eigenen Themen aufmerksam machen und neue Sympathisanten gewinnen.

Auch im westfälischen Unna hat man Voigt genau zugehört. Ende November sorgte erst ein massiertes Polizeiaufgebot dafür, dass eine antifaschistische Lesung stattfinden konnte. Kerstin Köditz, Linken-Landtagsabgeordnete in Sachsen, wollte aus ihrem Buch "Und morgen?" lesen, das die nachhaltigen Erfolge der NPD im Freistaat analysiert, sah sich aber 14 jungen Rechtsextremen gegenüber, die die Veranstaltung massiv störten.

NPD

Auch der schwäbische SPD-Mann Stephan Braun, der in diesem Jahr einen 670 Seiten starken Wälzer über die "Strategien der extremen Rechten" herausgegeben hat, ist schon lange ein rotes Tuch für die Rechten. Nachdem die Jusos im Wahlkampf eine CD auf Schulhöfen in seinem Wahlkreis verteilt hatten, verschenkte die JN eine eigene CD mit rechtsextremen Songs. Darauf prangte der Aufkleber: "Stephan Braun quälen - wählen."

Innerhalb von drei Jahren die Mitgliederzahl verdoppelt

Mit der rechten Postille "Junge Freiheit" befasst sich Braun ebenfalls schon seit Jahren. In einem Sammelband wies er bereits vor zwei Jahren nach, dass das rechtsintellektuelle Blatt eine Scharnierfunktion zwischen dem rechten Rand des demokratischen Spektrums und rechtsradikalen Kreisen innehat. Neben militanten Abtreibungsgegnern und dem Republikaner-Vorsitzenden Rolf Schlierer äußerten sich in den vergangenen Monaten auch einige CDU-Politiker in der "JF". Die Motive sind dabei unterschiedlich. Manche geben Interviews, weil sie das Blatt noch innerhalb des demokratischen Spektrums verorten. Andere tun es offenbar aus Naivität. So gab sich Andreas Popp, stellvertretender Bundesvorsitzender der Piratenpartei, die Blöße, er habe die Zeitung nicht gekannt - im Netz recherchiert hatte er offenbar auch nicht.

Auch die Waiblinger CDU-Stadträtin Susanne Gruber gab der Postille ein Interview, in dem sie bereitwillig Sätze formulierte, die ähnlich klangen wie manches, was man in der "JF" seit deren Gründungstagen liest: "Ich sehe in unserer Gesellschaft zu wenig Bewusstsein für die Gefahren des Linksextremismus", sagt sie dort und kritisiert die Ausrichtung der Jugendkulturwoche "Bunt statt braun", die ausschließlich vor den Gefahren des Rechtsextremismus warne. Dabei sei der Linksextremismus genau so gefährlich. Linksextreme Gewalt, so die Kommunalpolitikerin, gebe es in ihrem Wahlkreis nicht. Die Linkspartei sei aber sehr erfolgreich.

Dass die Waiblinger Jugendkulturwoche sich mit dem richtigen Thema beschäftigt, zeigt ein Blick auf die Fakten. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich im Südwesten eine rechtsextremistische Szene etabliert, die immer ungenierter auftritt. Die "Jungen Nationaldemokraten" haben innerhalb von drei Jahren ihre Mitgliederzahl im Südwesten mehr als verdoppelt, mehr als jedes vierte JN-Mitglied wohnt derzeit in Baden-Württemberg.

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