Neue Spitzel-Affäre Krimineller V-Mann bringt Schily in Not
Berlin Wegen der zweifelhaften Anwerbung und Führung von V-Männern in der rechten Szene gerät Innenminister Otto Schily erneut in Bedrängnis. Am Dienstag forderte der grüne Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele den Innenminister auf, in einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Tätigkeiten von Geheimdiensten und Verfassungsschutz hinter verschlossenen Türen kontrolliert, zu dem Fall des V-Manns Mirco H. aus Sachsen Stellung zu nehmen. "Nach all dem, was wir bisher wissen, ist der Verfassungsschutz in diesem Fall sehenden Auges weit über die Regeln hinaus gegangen, sagte Ströbele.
Hintergrund für den Streit war eine SPIEGEL-Enthüllung vom Wochenende, in der über den Fall eines vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln geführten Nazis aus dem Raum Dresden berichtet wurde. Demnach führte das Bundesamt jahrelang den in der Szene bekannten Nazi Mirko H. als V-Mann, der die Verfassungsschützer mit Insider-Wissen aus der Szene versorgen sollte. Über Jahre hinweg informierte H. den Verfassungsschutz und bekam dafür immer wieder auch Geld vom Staat. Wieder einmal stellt sich in diesem Fall die Frage, ob die Behörde einen Mann wie Mirko H. als Informanten führen durfte.
V-Mann war Führer der "Hammerskins"
Denn in seiner Zeit als Spitzel bewegte sich Mirko H. weit jenseits der V-Mann-Richtlinien und das ganz offensichtlich mit Kenntnis der Behörde. Laut Dienstvorschriften ist es beispielsweise nicht zulässig, dass sich die V-Leute an Straftaten innerhalb der Szene beteiligen. Außerdem dürfen die verdeckten Informanten keinesfalls eine leitende Funktion innerhalb der zu beobachtenden Gruppierung haben, da so die Gefahr entstehen würde, dass der Staat die Gruppen mehr und mehr lenke statt sie nur zu beobachten.
Beide Regeln wurden jedoch vom Bundesamt im Fall Mirko H. mehrmals missachtet. So gehörte der Mittzwanziger aus Sachsen seit Jahren dem engsten Führungszirkel der rechten Gruppierung "Hammerskins" an, gegen die seit mehreren Monaten in Sachsen ein Ermittlungsverfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung läuft. Die "Hammerskins" gelten laut den Ermittlungen als rassistische und antisemitisch eingestellte internationale Gruppe, die immer wieder auch zu Gewalttaten gegen Andersdenkende aufgerufen hatte. Erst im Juli 2002 hatte die Staatsanwaltschaft Dresden eine große Razzia gegen die rechte Gruppierung durchgeführt, bei der Waffen, CDs und andere Unterlagen beschlagnahmt wurden.
Mirco H. vetrieb die "Landser"-CDs
Der vom Staat subventionierte V-Mann Mirko H. galt bis zu seiner Inhaftierung im Juli des vergangenen Jahres als Führer des deutschen Ablegers der "Hammerskins". Außerdem vertrieb er über ein eigens gegründetes Platten-Label mehrere rechte CDs in ganz Deutschland. Für den Grünen Ströbele ist das Verhalten des Bundesamtes im Fall Mirko H. unverständlich. "Wie kann ein vom Staat bezahlter V-Mann gleichzeitig Führer einer rechten Gruppe sein", fragt er sich und erwartet von Innenminister Schily eine rasche Antwort.
Auch ein weiteres Verfahren gegen Mirko H. lässt dem Grünen Ströbele keine Ruhe. So war der Neo-Nazi laut einem Urteil aus dem Dezember 2001 maßgeblich an der Herstellung der CD "Ran an den Feind" der rechten Kultgruppe "Landser" beteiligt. Wegen der "Mithilfe bei der technischen Herstellung" und dem Vetrieb der CD, die unter anderem auch Mordaufrufe gegen linke Journalisten, Politiker und Polizisten enthält, wurde er im Dezember 2001 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die er noch heute in einer Justizvollzugsanstalt absitzt. Auch die Bundesanwaltschaft, die in Kürze die Anklage gegen Mitglieder von "Landser" vorlegen will, hatte von der Beteiligung Mirko H.s an dem "Landser"-Vertrieb Kenntnis. Über die V-Mann-Tätigkeit wollte sich die Behörde jedoch nicht äußern.
Bisher keine Reaktion vom Verfassungsschutz
Kurz vor dem Urteil wurde Mirko H. laut Sicherheitskreisen als V-Mann des Verfassungsschutzes zwar abgeschaltet. Trotzdem sieht der Innenpolitiker Ströbele schon in der Zeit davor einen eklatanten Verstoß gegen die Regeln der V-Mann-Führung. "Es ist doch absurd, dass ein Rechter einerseits vom obersten deutschen Ankläger schon länger wegen der Verbreitung einer CD mit Mordaufrufen verfolgt wird und gleichzeitig Geld vom Verfassungsschutz für Informationen bekommt", meint Ströbele.
Wann das streng geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) zusammen tritt, um über den Fall Mirko H. zu beraten, ist noch unklar. Das Innenministerium teilte am Dienstag mit, dass die Sitzung schon in der kommenden Woche stattfinden soll. Ein Sprecher betonte gegenüber der "Berliner Zeitung", dass die Sondersitzung auf ausdrücklichen Wunsch des Ministeriums anberaumt werde.
Bisher hatte sowohl das zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als auch das Innenministerium jegliche Stellungnahme zu dem Fall verweigert. Immer wieder beriefen sich die Behörden auf die Gefahren, die durch die Veröffentlichung der Namen für die V-Leute entstehen könnten. Außerdem, so der Tenor der Aussagen, mache die ständige Diskussion um den Einsatz der verdeckten Informanten die Werbung von neuen Spitzeln, besonders im islamischen Bereich, sehr schwierig.
Streit in Berlin wegen eines anderen V-Manns
In der PKG wird sich sowohl Schily als auch Verfassungsschutzchef Heinz Fromm vermutlich nicht so wortkarg zeigen können. "Wir wollen eine volle Aufklärung, auch wenn wir hinterher nicht darüber reden können", sagte Hans-Christian Ströbele. Auch die immer näher kommende Bundestagswahl wird den Behörden in dieser Frage keinen neuen Spielraum geben, denn die PKG ist so lange im Amt, bis die neuen Mitglieder gewählt sind. "Auch wenn ich nicht im nächsten Bundestag sitze, diesen Fall würde ich gern noch als PKG-Mitglied aufklären", so Ströbele.
Die Affäre um Mirko H. ist indes nicht der einzig strittige Fall eines V-Manns. Seit Wochen ist zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg ein heftiger Streit um die Führung des V-Manns Toni St. durch den Verfassungsschutz in Brandenburg entbrannt. Der Neonazi war bei einer Razzia in Berlin am 20. Juli festgenommen worden und sitzt seitdem in Haft. Bei Vernehmungen gestand er den Berliner Ermittlern, dass er für den Verfassungsschutz in Potsdam arbeite.
Die Berliner Fahnder werfen den Potsdamern nun vor, bei der Führung von Toni St. erhebliche Fehler begangen zu haben. Der Mann soll ebenfalls maßgeblich an der Herstellung und dem Vertreib von rechten CDs beteiligt gewesen und von den Potsdamer Behörden offenbar einmal sogar vor einer Polizei-Razzia gewarnt worden sein. Außerdem soll er ebenfalls an der Verbreitung der "Landser"-CDs beteiligt gewesen sein.
Die Potsdamer wiederum kritisieren die Berliner Ermittler, da diese durch die Festnahme den Informanten "verbrannt" hätten. Am Donnerstag soll deshalb die PKG des Parlaments in Potsdam über den Vorgang beraten, doch das Vertrauensverhältnis zwischen der Berliner und der Potsdamer Innenbehörde ist schon jetzt schwer geschädigt.