Neuer Ärger um Stiftung Vertriebenenvertreter unter Revanchismusverdacht

Sudetendeutsche im Durchgangslager Wiesau: Neuer Arger um Vertriebenenstiftung
Foto: dpa/ picture-alliance/ dpaBerlin - Hartmut Saenger ist kurz angebunden. "Ich bin auf dem Sprung", sagt er. Dann ist da nur noch ein gleichmäßiges Tuten im Telefonhörer. Ist der Funktionär vom (BdV) tatsächlich ein Revanchist, wie es seine Kritiker behaupten? Zu der Frage äußert sich der Betroffene nicht.
Auskunftsfreudiger ist sein Vertriebenen-Mitfunktionär Arnold Tölg, gegen den der gleiche Vorwurf erhoben wird. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt der Chef der baden-württembergischen BdV-Landesgruppe an diesem Dienstag, er sei "in keinster Weise" ein Revanchist.
Worum geht es? Der BdV hat Saenger und Tölg als stellvertretende Mitglieder in den Stiftungsrat der Gedenkstätte gegen Vertreibung geschickt. Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" soll die komplizierte europäische Vertreibungsthematik darstellen. Jahrelang hat man um das Konzept gerungen - und nun sehen es Kritiker durch Saenger und Tölg in Frage gestellt. Der Zeithistoriker Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, spricht davon, die Sache sei "nicht nur eine Belastung, sondern eine Gefährdung".
Die konkreten Vorwürfe:
- Saenger, Vizechef der hessischen BdV-Landesgruppe, hat am 5. September 2009 in der "Preußischen Allgemeinen Zeitung" geschrieben: "Der 1. September 1939 gilt als Beginn des Zweiten Weltkriegs und wird schon deshalb von Politik und Medien mit entsprechenden Reden und Bildern ins öffentliche Gedächtnis gerückt. Oft genug geschieht das unter Kurzformeln wie: 'der vom nationalsozialistischen Regime entfesselte Weltkrieg'. Solche Kurzformeln werfen naturgemäß mehr Fragen auf als beantwortet werden." Eine Antwort gibt Saenger selbst: "Der historische Kontext zum Sommer 1939 weist bei allen europäischen Großmächten eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg aus, um staatliche Ziele durchzusetzen oder Bedrohungen durch Bündnisse abzuwehren."
- Tölg hat vor zehn Jahren in einem Interview mit der rechtslastigen Zeitung "Junge Freiheit" behauptet, wer über Zwangsarbeiterentschädigung spreche, müsse auch deutlich machen, "dass gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lagern hatten". Und: "Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zu Recht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland."
Im Deutschlandfunk wurde Tölg nun an diesem Dienstag gefragt, ob er Unrecht gegeneinander aufrechnen wolle. "Nein, überhaupt nicht", antwortete der Mann, der lange für die CDU im baden-württembergischen Landtag saß. "Ich weise nur auf Tatsachen hin, nichts weiter." Und die Behauptungen seines Kollegen Saenger? "Ich bin kein Historiker, ich habe die Quellenlage nicht studiert. Ich kann zu diesem Punkt keine Aussagen machen. Herr Saenger ist, ich kenne ihn, er ist ein qualifizierter Mann." Er habe "sicher Grund genug" für seine Aussagen: "Von allein findet er dazu nicht." Außerdem behauptete Tölg noch, der von Hitler ausgelöste Krieg habe Ländern, die Deutsche loswerden und vertreiben wollten, die Chance gegeben, ihre teilweise "schon 1848" gehegten Ziele zu verwirklichen.
Für Peter Steinbach dagegen ist die Sache klar: "Saenger und Tölg sind ohne Zweifel Relativisten." Er sieht in Tölgs Äußerungen eine Relativierung von Nazi-Verbrechen und das Ziel der Versöhnung in Gefahr: Man könne sich vorstellen, wie Tölgs Argumentation auf Polen und Tschechien wirke, sagte der Zeithistoriker ebenfalls dem Deutschlandfunk.
Dietmar Nietan, Außenpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion, sprach in der "Frankfurter Rundschau" schon vor Tagen von "klar revanchistischen Positionen". Die Berufung der beiden lasse "daran zweifeln, dass der BdV ernsthaft und unvoreingenommen an Versöhnung interessiert ist". Er nannte es "schockierend", dass Saengers Beitrag "das Gerüst zugrunde liegt, das man bei Revanchisten immer findet" - Nazi-Verbrechen würden durch den Hinweis auf unbestreitbares Unrecht gegen Deutsche relativiert. Entweder gebe es im BdV eine Art "Quotierung für Hardliner und Revanchisten", oder der Verband wolle die Stiftung bewusst dazu nutzen, Nazi-Verbrechen zu verharmlosen, sagte Nietan der Zeitung.
Grünen-Chefin Roth sieht Ziel der Vertriebenenstiftung gefährdet
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach hält die Äußerungen schlicht "für eine Schande". Er wurde auf Saenger und Tölg aufmerksam, als der Bundestag am 8. Juli zur Wahl der Stiftungsratsmitglieder aufgerufen war. En bloc sollten die 21 Mitglieder und ihre Stellvertreter bestimmt werden - doch Saenger und Tölg provozierten Protest der Opposition. Die SPD-Abgeordnete Angelica Schwall-Düren trat ans Rednerpult, um in einer persönlichen Erklärung Äußerungen von Saenger und Tölg wiederzugeben, dann der Grünen-Parlamentarier Volker Beck. Bei den Zitaten von Tölg vermerkt das Bundestagsprotokoll Lauterbachs Zwischenruf: "Ein Irrer." Dagegen ruft der Chef der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe, Thomas Strobl: "Der ist untadelig." Lauterbach zu SPIEGEL ONLINE: "Ich war wirklich empört - für mich ist das aktenkundiger Revanchismus."
Auch von Grünen-Chefin Claudia Roth sind im Protokoll ungläubige Zwischenrufe vermerkt. Ähnlich wie Historiker Steinbach sieht sie das Ziel der Vertriebenenstiftung gefährdet. Mit der Wahl von Saenger und Tölg "geht das nicht enden wollende Trauerspiel in eine neue Runde", sagte Roth SPIEGEL ONLINE. "Beide sind nicht geeignet, den Stiftungszweck der Aussöhnung mit unseren Nachbarn voranzubringen."
Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte in der "Frankfurter Rundschau" die Entsendung der beiden "mit dem satzungsmäßigen Versöhnungsauftrag der Stiftung nicht vereinbar". Man werde dies nicht hinnehmen und bei der nächsten Präsidiumssitzung des Zentralrats besprechen. Silvio Peritore vom Vorstand des Zentralrats der Sinti und Roma sprach von einem "Affront". Saenger und Tölg spielten die deutsche Schuld an Hitlers "Rassenvernichtungskrieg" herunter. Das laufe auf die Umdeutung der Deutschen zu Opfern hinaus, wie sie "seit jeher Politik des BdV gewesen sei".
Steinbach sieht keinen Grund zum Nachgeben
, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, weist die Kritik zurück. "Es ist ein Manöver, um etwas zu verhindern, was man nie wollte: diese Stiftung", sagt sie SPIEGEL ONLINE. Weder Saenger noch Tölg seien Revanchisten und die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. "Das zeigt, wie dürftig die Faktenlage ist - und wie komfortabel unsere Position als Bund der Vertriebenen." Wer etwas gegen die Berufung einzuwenden habe, könne die Stiftung verlassen, sagte sie der "Welt".
Auch Stephan Mayer, CSU-Bundestagsabgeordneter, BdV-Präsidiumsmitglied und künftig selbst Mitglied im Stiftungsrat, verteidigt Saenger und Tölg. Er könne die "sehr harsche Kritik" nicht nachvollziehen, sagte er SPIEGEL ONLINE. Beide habe er "als sehr überlegte und zurückhaltende Kollegen kennen gelernt": "Sie sind alles andere als Revanchisten, Hetzer oder Scharfmacher."
Für Mayer ist mit Blick auf die Kriegsschuldfrage klar: "Da gibt es nichts zu relativieren. Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen, das ist die historische Wahrheit." Es sei "irrsinnig, wenn jemand etwas anderes behauptet". Die nach dem Krieg an Deutschen begangenen "Gräueltaten" müsse man thematisieren, sagt der CSU-Politiker - "aber es darf nicht darum gehen, Unrecht gegen Unrecht aufzurechnen". Mayer ärgert, dass es nun wieder Unruhe um die Vertriebenenstiftung gibt: "Sie muss jetzt endlich einmal in Ruhe arbeiten können."
Noch Anfang des Jahres rangen FDP-Chef Guido Westerwelle und Vertriebenenpräsidentin Steinbach über Wochen miteinander. Steinbach wollte damals selbst in den Stiftungsrat einziehen, Außenminister Westerwelle aber suchte das mit Blick auf polnische Bedenken zu verhindern. Am Ende verzichtete Steinbach auf einen Sitz, handelte im Gegenzug aber zusätzliche Plätze für BdV-Vertreter heraus. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich freute sich damals über eine "neue Architektur zur Stärkung des Bundes der Vertriebenen".