Neuer Kurs der SPD Becks Rolle vorwärts, Müntes Salto mortale

Wenige Wochen vor dem Parteitag streitet die SPD über ihren sozialpolitischen Kurs. SPD-Chef Beck plant eine Reihe von Wohltaten, nicht nur beim Arbeitslosengeld, sondern auch bei der Rente. Der zuständige Minister Müntefering hält verzweifelt dagegen - kämpft aber auf verlorenem Posten.

Berlin - Für Kurt Beck ist es eine Rolle vorwärts, für Franz Müntefering hingegen ein Salto Mortale: Die Rede ist von der sozialpolitischen Offensive, die der SPD-Parteitag Ende Oktober verabschieden soll. Müntefering rief seine Partei heute dazu auf, Kurs zu halten und an den beschlossenen Reformen nicht zu rütteln. "Wir dürfen jetzt nicht versuchen, das Tempo aus der ganzen Sache zu nehmen", sagte er dem SPIEGEL.

Der Vizekanzler zeigte sich besorgt über den Linksruck, nicht nur bei der SPD, sondern auch bei der CDU. "Irgendwann werden wir uns alle mit der PDS treffen, gemeinsam alte Lieder singen und sagen, so jetzt ist alles in Ordnung", warnte Müntefering. "Aber ich sage Ihnen, das ist falsch." Es sei die Aufgabe der Politiker, noch nicht populäre Politik populär zu machen.

Beck zeigte sich von den Appellen unbeeindruckt. Es werde eine demokratische Entscheidung geben, sagte er dem SWR. Der Parteitag sei das höchste Entscheidungsorgan. Der SPD-Chef ist sich sicher, dass seine Vorschläge dort eine große Mehrheit finden.

Das Paket, welches Beck zur Abstimmung stellen will, umfasst nicht nur die von Müntefering abgelehnte Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer. Es geht auch um eine Aufweichung der Rente mit 67, stärkere Kontrolle der Leiharbeit und mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger.

Rente: Um die sozialen Folgen der Rente mit 67 abzufedern, will die SPD-Führung die rot-grüne Reform der Erwerbsminderungsrente aus dem Jahr 2000 teilweise zurückdrehen. Das geht aus einem 26-seitigen Papier für den SPD-Vorstand hervor, das dem SPIEGEL vorliegt. Beschäftigte mit gesundheitlichen Einschränkungen sollen demnach Zugang zur vollen Erwerbsminderungsrente bekommen. Auch Erwerbsgeminderte, die noch leichte Tätigkeiten von mehr als sechs Stunden täglich ausüben können, sollen einen vollen Rentenanspruch erhalten, wenn ihnen "kein konkreter freier Arbeitsplatz vermittelt werden kann". Die Regelung soll nicht nur für über 60-jährige Versicherte gelten, sondern auch für solche Arbeitnehmer, die mindestens 35 Beitragsjahre aufzuweisen haben.

Zudem soll das Modell der Teilrente ab dem 60. Lebensjahr ausgebaut werden, um den Übergang in den Ruhestand flexibler zu gestalten. "Wem nach Jahrzehnten harter Arbeit in körperlich oder psychisch belastenden Berufen die Kraft ausgeht, dem wollen wir flexible und gesicherte Wege in den Ruhestand eröffnen", heißt es in einem Brief, den Parteichef Beck und Generalsekretär Hubertus Heil an alle Parteimitglieder geschickt haben.

Der zuständige Minister Müntefering sieht die Wünsche nach Nachbesserung der Rentenreform skeptisch. Erst kürzlich verwies er auf bereits vorhandene Konzepte wie Altersteilzeit, Teilrenten und Erwerbsminderungsrenten. Er zeigte sich aber offen für "die eine oder andere sinnvolle Idee zusätzlich".

Leiharbeit: Die SPD will die Branche in das Entsendegesetz aufnehmen und so Mindestlöhne durchsetzen. Zudem soll vorgeschrieben werden, dass Leiharbeiter nach einer Übergangszeit denselben Lohn erhalten wie die Stammbelegschaft. Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen Mitarbeiter entlassen und durch billigere Leiharbeiter ersetzen.

Hartz IV (ALG II): Die SPD will prüfen, ob die ansteigenden Lebenshaltungskosten eine spezielle Teuerungsrate für ALG-II-Empfänger rechtfertigen. Auch will die Partei einen "Nationalen Pakt" gegen Kinderarmut, der gezielte Hilfen wie etwa kostenlose Mittagessen umfasst.

ALG I: Beck will die Bezugsdauer für ältere Arbeitslose erhöhen. Ab einem Alter von 45 Jahren sollen sie 15 Monate Arbeitslosengeld I statt bisher 12 Monate bekommen. Ab 50 soll der Anspruch auf 24 Monate steigen. Beck strebt zusätzlich einige Sonderregelungen, etwa für Alleinerziehende, an: Diese sollen auch schon unter 45 mehr Geld erhalten. Es gehe darum, "ein Signal für die bessere Anerkennung von Lebensleistung" zu geben, heißt es in Becks Brief an die Parteimitglieder. Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, sprach kürzlich von einer "Reformdividende", die den Arbeitnehmern zustehe.

Um die Beschäftigungschancen Älterer zu erhöhen, schlägt die SPD auch eine staatliche Weiterbildungsoffensive vor. So sollen Arbeitnehmer, die Schul- oder Studienabschlüsse nachholen wollen, bis zu zwölf Monate Bildungsurlaub erhalten. Bezahlen soll dies die Arbeitslosenversicherung. Um Beschäftigte der Zeitarbeitsbranche weiterzubilden, soll es eine "Zusatzabgabe der Arbeitgeber in Höhe von einem Prozent der Bruttolohnsumme" geben.

Die Stoßrichtung von Becks Vorschlägen kommt nicht überraschend. Seit Monaten schon plädiert der SPD-Chef für einen neuen Reformbegriff - weg vom Fordern, hin zum Fördern. Zum Jahreswechsel hatte er in einem Interview gesagt, die "Grenze der Zumutbarkeit" sei erreicht. Zuletzt hatte er immer häufiger gefordert, alle Menschen müssten am Aufschwung teilhaben, sonst drohe in der Gesellschaft "etwas wegzubrechen".

Mit Material von dpa

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