Neuer NSU-Aktenskandal Geheimniskrämer vom Dienst

Es ist ein neuer Skandal im NSU-Ausschuss: Monatelang hielten die Behörden brisante Unterlagen zurück. Diese belegen einen Anwerbeversuch des MAD beim späteren NSU-Terroristen Mundlos. Der Verteidigungminister soll beim Militärgeheimdienst für zügige Information sorgen, fordern Abgeordnete.
MAD-Präsident Birkenheier: Akten über Gespräch mit Mundlos zurückgehalten

MAD-Präsident Birkenheier: Akten über Gespräch mit Mundlos zurückgehalten

Foto: dapd

Berlin - Eine neue Akten-Affäre beim NSU-Untersuchungsausschuss rückt erstmals die Arbeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in den Fokus der Aufklärungsarbeit und setzt auch das Verteidigungsministerium erheblich unter Druck. Vertreter aller Parteien zeigten sich "schockiert" und "tief erbost", dass der Dienst, das verantwortliche Ministerium, mehrere Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Ausschuss des Bundestags mehrere Monate lang wichtige Erkenntnisse und Unterlagen über den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos vorenthalten hatten.

Nur durch die hartnäckige Ermittlungsarbeit des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele kam am Dienstag heraus, dass der MAD, der vor allem radikale Tendenzen unter den Soldaten der Bundeswehr beobachtet, bereits 1995 eine umfangreiche Akte über das spätere NSU-Mitglied Uwe Mundlos angelegt hatte und auch mehrere Verfassungsschutzämter darüber informierte. Mundlos, der sich nur wenige Jahre später mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zusammenschloss, war damals während des Wehrdienstes wegen seines rechten Gedankenguts aufgefallen.

Die Akte, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, führt in die Zeit, in der sich Mundlos bereits radikalisierte. Nur einige Tage vor dem Ende seines Wehrdienstes, es war die erste Märzwoche 1995, schilderte er den Beamten des MAD ziemlich offen seine politische Gesinnung. Schon damals, so Mundlos, war er Mitglied in einer "Skingruppe" von rund zehn Mann, die sich mit Nazi-Musik der Bands Shuka oder Rabauken aufputschte. Zwar bezeichnete sich der damalige Soldat bei seiner Aussage nicht als ausländerfeindlich, gleichzeitig zog er aber offen über Asylbewerber her, die sich "hier in Deutschland auf Kosten des Staats ein schönes Leben" machten. Er würde solche Menschen zwar nicht angreifen, doch sie sollten ausgewiesen werden.

Die Akte zeichnet das Bild eines frustrierten jungen Mannes, der langsam immer radikaler wurde. Nach seiner Ausbildung bei der Jena-Optik in Thüringen habe er keine Anstellung gefunden, sagte Mundlos, deswegen habe er erst mal den Wehrdienst absolviert. Danach wolle er "arbeitslos feiern", das sei angenehmer als zu "malochen". Mundlos gestand ein, dass er wegen seiner Gesinnung bereits Probleme mit der Polizei hatte und bei einer Hausdurchsuchung rechtsextremistisches Propagandamaterial bei ihm gefunden worden war.

Mundlos' Aussagen entsprechen den üblichen Ausflüchten von jungen Rechten. Zwar distanzierte er sich von dem Mord an Millionen Juden in der Nazi-Zeit. Das sei eine "schlimme Sache" gewesen, notierten die MAD-Leute in den Akten. Gleichwohl sinnierte der spätere Mörder im Gespräch mit den Beamten, er verstehe nicht, warum Soldaten noch heute für die Zeit damals "an den Pranger" gestellt würden, sie hätten nur ihren Job gemacht. "Man habe ja damals keine andere Wahl gehabt", schreibt der MAD in seinem Bericht über Mundlos' Einstellung, "entweder mitmachen oder in ein KZ gebracht werden".

Am Ende des Gesprächs versuchte der MAD laut den Akten, Mundlos als Quelle für die Behörden zu werben. So vermerkt der Bericht in einer abgesetzten "Anmerkung" zu dem Gesprächsprotokoll, man habe Mundlos gefragt, "ob er sich vorstellen könne, ihm bekanntgewordene Termine für Anschläge auf Asylbewerberheime der Polizei oder den Verfassungsschutzbehörden zu melden". Mundlos verneinte die Frage laut den Akten. Zum einen nehme er an solchen Aktionen nicht teil, außerdem könne er sich "nicht vorstellen, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren".

Ausschussmitglieder "für dumm verkauft"

Der mögliche Anwerbeversuch sorgte im Ausschuss für helle Aufregung. Sie seien viel zu spät und erst auf Nachfrage mit wichtigen Akten versehen worden, empörten sich die Abgeordneten. Dabei war die Mundlos-Befragung spätestens seit März dieses Jahres bekannt. Damals hatte ein Landesamt für Verfassungsschutz beim MAD nachgefragt, ob man die Originalakte mit dessen Aussagen noch irgendwo auftreiben könne. Bereits im Juni 1995, nur zwei Monate nach der Befragung, hatte der MAD Kopien der Akten an die Landesämter in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und auch ans Bundesamt nach Köln versandt.

Statt zügig zu reagieren, arbeiteten die beteiligten Behörden wieder einmal nur nach Vorschrift. Zwar fragte der MAD, der seine eigene Akte nach dem Ende der Dienstzeit von Mundlos geschreddert hatte, bei allen Behörden nach. Antworten kamen zunächst nicht. Erst als der neue Präsident des MAD Ende Juli noch einmal eindringlich bei allen, die im Jahr 1995 eine Kopie bekommen hatten, nachfragte, kam aus Köln die Meldung, dass man das Dossier gefunden habe. Von da an dauerte es noch einmal gut einen Monat, bis der Untersuchungsausschuss die Akten bekam. Für den Grünen-Politiker Ströbele haben die Behörden den Ausschuss damit "wieder einmal für dumm verkauft".

Der MAD bemühte sich, die Wogen zu glätten. Leicht zerknirscht sagte der neue Präsident Ulrich Birkenheier, den der Ausschuss spontan vorgeladen hatte, man habe sich mit allen Mitteln bemüht, die Akten so schnell wie möglich zu beschaffen. Birkenheier interpretierte den Anwerbeversuch das MAD anders als der Ausschuss. Demnach habe man mit der Frage an Mundlos lediglich klären wollen, ob sich dieser von der rechten Szene distanziert hatte. Von einem Versuch, den jungen Mann aus Jena als Quelle zu gewinnen, könne man hingegen nicht reden.

Verteidigungsminister in der Kritik

Der Darstellung dürften die Abgeordneten im Ausschuss kaum folgen. Vielmehr wird der Ausschuss noch im Oktober eine Sondersitzung nur zum Thema MAD ansetzen, dann sollen Birkenheier und allem sein Vorgänger eingehend befragt werden.

Die ersten Abgeordneten schossen sich am Dienstag bereits auf den Dienstherren des MAD im Wehrressort ein. SPD-Obfrau Eva Högl forderte "insbesondere" Verteidigungsminister de Maizière (CDU) auf, dafür zu sorgen, dass sein Haus und der MAD dem Untersuchungsausschuss alle Informationen "unmittelbar und vollständig übermittelt". Gibt es einen weiteren Vorfall wie die Mundlos-Akte, wäre eine Vernehmung des Ministers wohl nicht mehr vermeidbar.

In den Ländern sorgte die Nachricht aus Berlin ebenfalls für hektische Betriebsamkeit. Dorothea Marx (SPD), Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, und andere Ausschussmitglieder haben sich sofort nach Bekanntwerden der aufgetauchten MAD-Akte daran gemacht, den Aktenbestand in Erfurt zu durchsuchen. Erst vor kurzem sind vom Innenministerium 600 neue Akten angeliefert worden. Marx kann sich einen gewissen Zynismus nicht verkneifen. "Es ist ja schön, wenn Akten auftauchen", sagte sie. Die ständigen Zweifel aber blieben, ob nicht doch noch wichtiges Material irgendwo von irgendwem "gezielt geschreddert" wurde.

Die Kritik an den Behörden war heftig. "Die heute aufgedeckte Informationspanne widerlegt erneut den bisher von zuständigen Behörden allseits geäußerten Transparenz- und Aufklärungswillen bezüglich der Entstehung und Taten des NSU", sagte Ausschussmitglied Katharina König von der Linken. Der FDP-Landtagsabgeordnete Untermann bezeichnet die neuen Enthüllungen ebenfalls als "Schrecken ohne Ende". Sein Kollege von den Grünen forderte personelle Konsequenzen. "Wer immer noch nicht begriffen hat, dass nur Transparenz und Aufklärung helfen, kann nicht an verantwortlicher Stelle bleiben", sagte Dirk Adams.

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