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Neuer Präsident Gauck Merkels größte Schmach

Angela Merkel verkauft das Tauziehen um den künftigen Bundespräsidenten als kluges Einlenken, doch in Wahrheit hat ihr die Personalie Gauck die bitterste Niederlage ihrer Amtszeit eingebracht. FDP, SPD und Grüne haben das Machtspiel gewonnen - die Kanzlerin ist massiv geschwächt.
Von Christoph Schwennicke

Es gibt einen menschlich sehr sympathischen Zug an Angela Merkel: Sie hat ihre Miene nicht im Griff. Ihr Gesicht, ihre Grimassen spiegeln immer ihren Gemütszustand. Und so tapfer sie also zu lächeln versuchte am Sonntagabend im Kanzleramt, Joachim Gauck neben sich, die Parteivorsitzenden von FDP, CSU, SPD und Grünen um sich, so säuerlich blickte sie doch drein, als sie sich eine Lobpreisung auf einen Mann abrang, den sie vor fast zwei Jahren noch mit allen Mitteln als Bundespräsident verhindert hat.

Merkels Bauchgrimmen ist angebracht. Sie hat bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten auf ganzer Linie verloren. Sie hat die bitterste Niederlage ihrer Amtszeit einstecken müssen. Dass der CDU-Chefin nun Gauck als Kandidat von einer Dreiparteienkoalition aufgezwungen wurde, könnte einen Wendepunkt ihrer Kanzlerschaft markieren.

Ihr Einlenken wird nun als Klugheit verkauft. Das ist eine fahrlässige oder vorsätzliche Fehldeutung wie seinerzeit im Februar 2004 bei Kanzler Gerhard Schröder, als dessen Verzicht auf den SPD-Vorsitz teilweise in völliger Verkennung des Geschehens als kluge strategische Entscheidung gepriesen wurde. Es war eine Entscheidung aus Schwäche und Not - und "der Anfang vom Ende", wie seinerzeit jemand weitsichtig prophezeite: Das Scheitern Schröders sei unverkennbar. Die Reaktion des Kanzlers zeige einen "Autoritätsverlust auf ganzer Linie". Sagte damals Oppositionsführerin Angela Merkel.

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Joachim Gauck: Der Konsenskandidat

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Die Suche nach einem Nachfolger für Christian Wulff hat Merkel vor dem Wochenende mit einem sehr schönen Begriff bedacht, der ihr ganzes politisches Denken und Handeln beschreibt. Es handele sich nun um einen, wie sie sagte, "iterativen Prozess". Das bedeutet, in kleinen logischen Schritten zu einer Lösung zu kommen. Dieser iterative Prozess bildet den Kern von Merkels enormer Lust an der Politik. Sie betrachtet die Lage stets wie ein Schachbrett und überlegt, wie sie wen mit welchem Zug am Ende dorthin bringt, wo sie ihn oder sie haben möchte. Daran hat sie große Freude. Je geschickter die Gegner, umso reizvoller das Spiel.

Man sollte sich deshalb vor vorschnellen Urteilen bei ihr hüten. Oft werden Züge belächelt oder für schwach befunden, die sich später als meisterlich erweisen. So wie seinerzeit 2002, als sie scheinbar aus Schwäche heraus Edmund Stoiber den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur für die Union ließ. Ein Scheinsieg für Stoiber, wie die Geschichte erweisen sollte. Stoiber wurde nie Kanzler, und sie wurde es schließlich doch. Sie denkt wirklich vom Ende her. Ihre Chance nahm sie erst wahr, als das Kanzleramt in der Folge von Schröders Niedergang 2004 sturmreif war.

Wie Merkel die Oberhand verlor

Diesmal aber hat sich die Kanzlerin verrechnet. Es hat nicht die Klügere nachgegeben, sondern die Machtlosere. Sie hatte in der Person Andreas Voßkuhles versucht, ihren eigenen Gauck zu präsentieren. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, eher SPD-nah, wäre über Zweifel erhaben gewesen: FDP, Grüne und SPD hätten sich schwergetan, diesem Kandidaten die Zustimmung zu verweigern.

Als Voßkuhle absagte, entglitt Merkel die Herrschaft über das Spiel. Rot-Grün begriff, dass die Unterstützung der FDP für Gauck eine bisher einmalige Chance bot, Merkel ganz alleine dastehen zu lassen. Und die Machtverhältnisse mit einem Mal umzukehren. Vom Ende her denken? Dieses Ende hat sie ganz sicher so nicht gewollt.

Deshalb markiert dieses Wochenende eine Zäsur. Es hat nicht nur einen alleinigen Präsidentenkandidaten und damit sicheren nächsten Bundespräsidenten hervorgebracht. Es hat das politische Gefüge neu geordnet. In dem Bündnis von SPD, FDP und Grünen haben sich drei Parteien zusammengeschlossen, von denen zwei bereits sehr schmerzhafte Erfahrungen als Koalitionspartner Merkels gemacht haben. Die dritte Partei, die Grünen, möchte sich diese schmerzhaften und im Falle der FDP existentiellen Erfahrungen ersparen. Die drei, immer auch ein denkbares Koalitionsbündnis, sind einen eigenen Weg gegangen.

Sie haben Angela Merkel ins Leere laufen lassen. Die Kanzlerparteichefin ist einsamer geworden an diesem Wochenende. Und schwächer.

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