Die Lage am Dienstag Liebe Leserin, lieber Leser,

die versehentliche Abschiebung wird in Deutschland 2018 offenbar zum Trend: Eine Behörde in Bayern soll - wie nun erst bekannt wurde - im April einen Asylbewerber unrechtmäßig nach China abgeschoben haben. Der Mann namens Dishatjan A., 23, gehört zur unterdrückten Minderheit der Uiguren, von ihm gibt es seither kein Lebenszeichen mehr. Der Grund für die behördliche Fehlleistung war, so hieß es, ein verloren gegangenes Fax. Die eine Behörde hatte es losgeschickt, aber es kam bei der anderen nie an. Pech gehabt.
In dieser Meldung stecken gleich mehrere Erzählungen über dieses Land, in dem Asylfolgeanträge wegen mangelnder Glasfaserkabel per Fax in Behördenflure übertragen werden, in denen sie dann offenbar nicht mehr auftauchen. Das war aber nicht die einzige erstaunliche behördliche Fehlleistung der vergangenen Wochen in der Bundesrepublik, die im Rest der Welt als zuverlässig und rechtssicher gilt. Zuvor waren bereits ein Afghane sowie ein Tunesier illegalerweise in ihre Heimatländer abgeschoben worden. Der Anwalt des Uiguren will den Mann nun zurückholen lassen, aber das erscheint wenig aussichtsreich.
Ich empfehle Ihnen dazu auch die Reportage unseres China-Korrespondenten Bernhard Zand : Er beschreibt, dass das Regime mit modernsten Methoden einen perfekten Überwachungsstaat errichtet, um die uigurische Minderheit zu kontrollieren - dass in diesem furchteinflößenden System Faxe verloren gehen, ist eher nicht anzunehmen.
Kolumbiens neuer Präsident und der Frieden

In Bogotá tritt heute ein neuer Präsident sein Amt an: Der rechtsgerichtete Iván Duque löst den Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos ab - und die große Frage ist, ob der neue Mann die Normalisierung des Landes und den Friedensprozess weiter vorantreibt. Das Friedensabkommen der Regierung mit der linken Guerilla Farc hat das Land befriedet und zur internationalen Tourismusdestination gemacht. Doch in der Bevölkerung ist der Friedensplan unbeliebt, weil die Guerillakämpfer straflos davonkamen. Duque hat versprochen, das Abkommen zu ändern - ob ihm das gelingt, ohne dass die Farc wieder zu den Waffen greifen, ist ungewiss. Der neue Präsident erbt zudem die stockenden Friedensverhandlungen mit der marxistischen ELN-Guerilla. Dem Land, das Jahrzehnte des Bürgerkriegs und im Bann der Drogenkartelle, Guerillas und Paramilitärs hinter sich hat, wäre eine Fortsetzung des Friedenskurses sehr zu wünschen.
Sommerlochthema Wehrpflicht

Die deutsche Politik kennt in diesem Jahr tatsächlich so etwas wie ein Sommerloch - in Berlin ist nichts los. Nur so lässt sich erklären, dass all jene, die gerade nicht im Urlaub sind, über das Thema Dienst- und Wehrpflicht diskutieren. Seit CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer es am Sonntag aufbrachte, haben sich alle möglichen Politiker dazu geäußert. Viele konservative Politiker sehen in dem Vorschlag ein Wundermittel gegen die von ihnen beklagte Fragmentierung der Gesellschaft. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron bereits in seinem Wahlkampf 2017 die Rückkehr zur Wehrpflicht versprochen, offenbar weckt das Thema auch in anderen europäischen Ländern Sehnsüchte nach Identität und Zusammenhalt. Dennoch ist unwahrscheinlich, dass die in Deutschland 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder eingeführt wird oder bald eine allgemeine Dienstpflicht kommt (etwa im Pflegeheim oder bei der Feuerwehr). Lesen Sie hier die Zusammenfassung meiner Kollegen zum Thema.
Klage gegen "Staatstrojaner"
Heute will der Verein Digitalcourage in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen den sogenannten Staatstrojaner einlegen, ein weiterer Verein sowie mehrere FDP-Politiker wollen in den nächsten Tagen dasselbe tun. Seit einem Jahr dürfen Deutschlands Strafverfolger heimlich in Computer und Smartphones eindringen, um Überwachungssoftware zu installieren. Die Kläger wollen das entweder ganz verbieten oder zumindest einschränken. Sie möchten die Regierung zudem dazu verpflichten, Sicherheitslücken an die Hersteller zu melden, anstatt sie für Hacking-Aktionen auszunutzen. Hier können Sie mehr dazu lesen.
Verlierer des Tages...

... ist Paul Manafort. Er war der Wahlkampfmanager von Donald Trump - nun steht er in einem Vorort von Washington D.C. vor Gericht, angeklagt von Sonderermittler Robert Mueller, und gestern sagte sein früherer engster Mitarbeiter Rick Gates gegen ihn aus: Manafort und er, sagte Gates, seien in kriminelle Aktivitäten verwickelt gewesen, unter anderem in Steuerbetrug und Geldwäsche. Manafort hatte ein Geschäftsmodell daraus gemacht, für autokratische Regimes in den USA als Lobbyist zu agieren, hatte sich mit seinem extravaganten Lebensstil aber schwer verschuldet. Er investierte sein Geld nicht nur in Villen, sondern auch in extravagante Kleidung, unter anderem besaß er eine 15.000 Dollar teure Jacke aus Leder vom Vogel Strauß. In dieser finanziellen Notlage wurde er schließlich Trumps Wahlkampfmanager - nach wenigen Monaten wurden seine Verstrickungen bekannt, und er musste zurücktreten. Trump behauptet heute, er habe den Mann kaum gekannt.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommertag.
Herzlich,
Ihr Mathieu von Rohr