Philipp Wittrock

Die Lage am Morgen Kampfansage der Kanzlerin

Philipp Wittrock
Von Philipp Wittrock, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen!

Heute beschäftigen wir uns mit Angela Merkels deutlicher Botschaft im Fall Nawalny, mit dem bevorstehenden Urteil im Prozess um den Mord am slowakischen Journalisten Ján Kuciak und mit dem Dauerstreit um das Vermächtnis des Altkanzlers Helmut Kohl.

Zäsur im Verhältnis zu Russland?

Dass Angela Merkel dem russischen Präsidenten alles zutraut, ist keine neue Erkenntnis. Zu lange hat die Kanzlerin schon mit Wladimir Putin zu tun, als dass ihr entgangen sein könnte: Dieser Mann hat keine Skrupel. 

Und doch hatte sich Merkel meist Zurückhaltung auferlegt im Umgang mit dem Herrscher im Kreml, kritische Töne lieber behutsam angebracht: Man braucht Russland ja, als politischen und wirtschaftlichen Partner.

Gemessen an diesen Maßstäben markiert der Mittwochnachmittag eine Zäsur. Die Kanzlerin höchstselbst nimmt Stellung dazu, dass es nun Gewissheit gibt: Alexej Nawalny wurde mit einem Nervenkampfstoff vergiftet. "Auf das Allerschärfste" verurteilte Merkel den "versuchten Giftmord" an dem russischen Oppositionellen, der sich "gegen die Grundwerte und Grundrechte, für die wir eintreten", richte. Die Welt warte auf Antworten aus Moskau, EU und Nato würden - die Einlassungen Russlands abwartend - "über eine angemessene gemeinsame Reaktion entscheiden". Merkel holte das große Besteck heraus.

Schon mit der Aufnahme Nawalnys für die medizinische Behandlung hatte Deutschland den Fall zum Politikum gemacht, nun übernimmt die Kanzlerin die Rolle der moralischen Autorität und droht Moskau mit Strafmaßnahmen. Natürlich versichert der Kreml artig "volle Kooperation". Aber wie die aussieht, durfte Deutschland zuletzt beim Berliner Tiergartenmord erleben. Die russische Seite hat auch im Fall Nawalny längst damit begonnen, Zweifel zu säen an den deutschen Untersuchungsergebnissen. Ein Interesse an der Wahrheit hat Moskau nicht.

Merkel aber wird sich an ihrem bemerkenswerten Auftritt messen lassen müssen, ihrer Kampfansage an Putin müssen Taten folgen. Am besten vereint im Namen der Europäischen Union und der Nato. Sonst muss es Deutschland allein tun. Dass sich Putin davon wahnsinnig beeindrucken lässt, ist nicht zu erwarten. Man sollte ihm aber nicht die Gelegenheit zur Genugtuung geben, wenn am Ende nichts passiert.

Urteil im Prozess um Kuciak-Mord

Der Mord im Februar 2018 hatte nicht nur die kleine Slowakei erschüttert, sondern ganz Europa. Ein Killer erschoss in der Ortschaft Velka Maca nahe Bratislava den Investigativjournalisten Ján Kuciak und seine Verlobte.

Schnell stellte sich heraus: Kuciak war den krummen Geschäften des Oligarchen Marian Kocner auf der Spur. Weil dieser den Mörder angeheuert haben soll, wird ihm der Prozess gemacht. Heute soll das Urteil fallen. Neben dem Unternehmer sind eine mutmaßliche Organisatorin und ein als Mittäter beschuldigter Ex-Polizist angeklagt. Der Staatsanwalt hat jeweils 25 Jahre Gefängnis für alle drei Angeklagten verlangt. Der Todesschütze war bereits im April zu 23 Jahren Haft verurteilt worden.

Die Ermittlungen offenbarten, wie eng in der Slowakei Wirtschaft, Politik und Halbwelt verwoben waren. Kocner hatte Richter in der Hand und beste Kontakte bis in die Regierung. Korruptionsenthüllungen und Massenproteste führten schließlich zum Sturz von Ministerpräsident Robert Fico und zu dramatischen Machtverschiebungen im Land. "Mit dem Urteil heute", sagt SPIEGEL-Osteuropa-Experte Jan Puhl, "kann die slowakische Justiz beweisen, ob sie das Erbe von 1989, Demokratie und Rechtsstaat verteidigen kann."

Die unendliche Kohl-Geschichte

Nächster Akt im jahrelangen, erbittert geführten Streit um das Vermächtnis Helmut Kohls. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe urteilt heute über eine Klage von Maike Kohl-Richter: Die Witwe des Altkanzlers will wissen, ob dessen früherer Ghostwriter Heribert Schwan noch Tonbänder, Kopien oder Abschriften der Gespräche und Gesprächsprotokolle mit ihrem Mann hat. Falls ja - was wahrscheinlich ist -, verlangt sie deren Herausgabe.

Mehr als 600 Stunden hatte sich Kohl einst mit Schwan unterhalten, das war in den Jahren 2001 und 2002, die Gespräche sollten die Grundlage für Kohls Memoiren werden. Drei Bände erschienen, dann überwarf sich der Altkanzler mit seinem Ghostwriter. Schwan veröffentlichte trotzdem ein viertes Buch - ohne den Segen des Protagonisten: "Vermächtnis: die Kohl-Protokolle". Seither beschäftigt der Fall die Justiz, seit dem Tod des Altkanzlers 2017 führt Maike Kohl-Richter den Kampf um die Deutungshoheit der Ära Kohl weiter.

Auch nach dem Urteilsspruch an diesem Dienstag ist dieser Kampf nicht zu Ende. Ebenfalls vor dem BGH steht noch die Verhandlung über die Entschädigung von einer Million Euro aus, die das Landgericht Köln Kohl wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte zugesprochen hatte. Als Kohl kurz darauf starb, war das Urteil aber noch nicht rechtskräftig, die nächste Instanz entschied, dass Kohls Witwe keinen Anspruch auf die Rekordentschädigung für ihren Mann habe. Das will Maike Kohl-Richter nicht akzeptieren. Die unendliche Kohl-Geschichte geht weiter.

Gewinner des Tages…

…ist Norbert Röttgen. Monatelang kämpfte der CDU-Politiker, der doch gern Parteivorsitzender werden möchte, um Aufmerksamkeit gegen die Corona-Omnipräsenz eines Armin Laschet und den Favoritenstatus eines Friedrich Merz. Nun ist Röttgens Expertise als Außenpolitik-Experte im Fall Nawalny wieder sehr gefragt. So sehr, dass er am Mittwochabend zeitgleich in ARD und ZDF dazu befragt wurde - in den "Tagesthemen" und im "heute journal". Die Sendung im ZDF begann ausnahmsweise um eine halbe Stunde verspätet und startete zur selben Zeit, wie das ARD-Pendant. Wie heißt es so schön: "Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet."

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