
Die Lage am Morgen Die sehr, sehr, sehr gute Regierung
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um das Klima in der Bundesregierung. Um den Gaspreis. Und um einen majestätischen Besuch.
Eine sehr, sehr, sehr gute Regierung
Viele in Berlin hatten es gar nicht mehr für möglich gehalten, aber gestern am späten Abend ist der jüngste Koalitionsgipfel doch noch zu Ende gegangen. Das Rote Kreuz war bösen Gerüchten zufolge kurz davor, Notunterkünfte im Garten des Kanzleramts einzurichten, aber das war dann gar nicht mehr nötig. Insgesamt fast gut 31 Stunden netto (ohne Kurzbesuch wichtiger Regierungsvertreter in den Niederlanden) und 49 Stunden brutto benötigten die 20 bedeutendsten Vertreter der drei Koalitionsparteien, um die gefühlt 270 verschiedenen Konflikte beizulegen – oder zumindest zu verkleistern – die man bis zum Gipfelbeginn geschürt hatte.

Koalitionäre Lindner (l.), Lang, Klingbeil
Foto: Michael Kappeler / dpaWie tragbar die beschlossenen Ergebnisse im Einzelnen sind, lässt sich noch nicht sagen. Gleich nach Abschluss der Verhandlungen begann jedenfalls schon der Kampf um die Deutungshoheit, sprich: Wer sich noch häufiger durchgesetzt hat als die Konkurrenz. Verzeihung, die Partner.
Ich war gestern Abend bei der abschließenden Kurzpressekonferenz der drei Parteivorsitzenden Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP). Was mir dabei auffiel: Am wenigsten war Klingbeil darum bemüht, frei redend die möglichen Erfolge der SPD rhetorisch herauszustellen. Lang betonte hingegen drei Punkte, die ihr und den Grünen ganz besonders wichtig seien, auch in freier Rede. Lindner hingegen kramte irgendwann sogar einen Zettel aus der Tasche, um ja keinen Erfolg seiner FDP zu vergessen.
Schon vor Abschluss der Verhandlungen hatte der Bundeskanzler persönlich »sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse« angekündigt. Als gelte es, etwas Bescheidenes mit dem inflationären Gebrauch eines euphorischen Betonungswortes zu kompensieren.
Koalitionsausschuss: Und am Ende schlucken die Grünen wieder Kröten
Ende der Gaskrise?
Vor zwei Tagen habe ich Post von meinem Gasversorger bekommen. Man freue sich, mir mitteilen zu können, dass mein Gaspreis demnächst wieder sinken werde – nachdem er zuvor drastisch gestiegen war. Ist die Zeit der Gaskrise also vorbei?
Dieser Frage sind meine Kollegen Claus Hecking und Holger Dambeck nachgegangen. Sicher ist: In den nächsten Monaten muss Deutschland keinen Gasengpass fürchten – auch wenn Russland so gut wie nichts mehr liefern wird. Die Heizsaison endet bald, und Deutschlands Gasspeicher sind noch zu fast zwei Dritteln gefüllt. »Damit haben nicht mal die größten Optimisten gerechnet, als Putin im vergangenen Sommer zugedreht hat«, sagt Hecking. Es gab diesen Winter nie die ernsthafte Gefahr einer Gasknappheit. Und das lag nicht nur an den vergleichsweise hohen Temperaturen. Es hat sich bezahlt macht, dass die Menschen Gas gespart haben und der Staat Gas gehamstert hat.

Gaszähler an Gastherme
Foto: Jörg Sarbach / dpaAllerdings könnte es nun für die Verbraucher noch einmal richtig teuer werden. Um leere Speicher aufzufüllen, kaufte ein Unternehmen im Staatsauftrag über den Sommer massenhaft Erdgas zu Höchstpreisen auf: Rund 8,7 Milliarden Euro kostete das Programm. Seither aber ist der Gaspreis eingebrochen – und der eingelagerte Stoff nur noch etwa ein Viertel davon wert. Nach derzeitiger Gesetzeslage würden die Verluste auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt: in Form einer höheren Gasspeicherumlage, nicht zu verwechseln mit Robert Habecks kurzlebiger Gasumlage.
Ob die Bundesregierung den Menschen das allerdings zumutet, nach all den Preiskapriolen der letzten Monate? Wenn ja, stünde sie vor der nächsten Krise.
Volle Speicher, fallende Preise: Ist die Gaskrise jetzt endgültig vorbei?
Aus dem Leben geheiratet
Es ist ein Relikt aus dem Mittelalter, mitten in Deutschland. Hunderte Minderjährige leben in Kinderehen, meist, weil sie von ihren Eltern zur Hochzeit mit einem älteren Mann gezwungen werden. Experten schätzen, dass in Deutschland mindestens jede Woche eine neue Minderjährigen-Ehe geschlossen wird. Die Folgen für die betroffenen jungen Mädchen und Frauen sind oft gravierend. Die Verheiratete gehört fortan dem Ehemann, die Schule wird häufig beendet, soziale Kontakte abgebrochen. Viele leiden zudem unter Gewalt oder den Gesundheitsfolgen einer Schwangerschaft im Teenageralter. Am häufigsten betroffen sind Expertinnen zufolge Mädchen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan sowie aus der Türkei oder Bulgarien.
Ein 2017 erlassenes »Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen« sollte junge Mädchen und Frauen eigentlich vor der Zwangsehe schützen. Es war vor dem Hintergrund gestiegener Flüchtlingszahlen verabschiedet worden – Kinderehen hatten deswegen zugenommen.
Demnach darf, ohne Ausnahme, erst ab 18 Jahren geheiratet werden. Zudem sollen Ehen, die bereits geschlossen wurden, etwa im Ausland, von einem Richter aufgehoben werden, wenn einer der Beteiligten bei der Hochzeit 16 oder 17 Jahre alt war. Ehen von Personen unter 16 Jahren sind grundsätzlich nichtig.

Bundesverfassungsgericht
Foto: Sebastian Gollnow / dpaAber es gibt mindestens zwei Probleme. Leider sind diese Bestimmungen bis heute nicht in den Alltag der Behörden eingesickert. Jedenfalls wurden bislang nur ganz wenige Kinderehen aufgehoben. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof (BGH) das Gesetz für problematisch hält und deshalb das Bundesverfassungsgericht um Überprüfung gebeten hat. Das Ergebnis wollen die Karlsruher Richter heute präsentieren. Hoffentlich fällt es im Sinne der Mädchen aus.
Kinderehe in Deutschland: Irina will nicht länger schweigen
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
»Adoptiert keine ukrainischen Waisenkinder, die illegal verschleppt wurden«: Fast 20.000 ukrainische Kinder wurden laut Kiew im russischen Angriffskrieg bisher deportiert. Nun richtet Vizepremier Wereschtschuk eine Botschaft an die Russinnen und Russen.
Was die IOC-Empfehlung zu russischen Sportlern bedeutet: Das Internationale Olympische Komitee hat sich für eine Rückkehr russischer und belarussischer Athleten ausgesprochen. Sportsoldaten und Kriegsunterstützer sollen aber draußen bleiben. Das könnte kompliziert werden.
»Uns wurde mit Erschießung gedroht, wenn wir nicht vorstoßen«: Mutmaßlich russische Soldaten haben in einem Video schwere Anschuldigungen gegen die eigene Armeeführung erhoben: Sie sprechen darin auch von »Blockadeeinheiten«, die Rückzügler aus den eigenen Reihen erschießen sollen.
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Gewinner des Tages...

Heute ein König: Charles III.
Foto: WPA Pool / WPA / Getty Images… ist König Charles III. Heute Mittag wird er gemeinsam mit seiner Frau Camilla zum Staatsbesuch in Berlin landen. Um 15 Uhr werden die beiden mit militärischen Ehren am Brandenburger Tor begrüßt. Am Abend gibt es ein Staatsbankett mit 130 Gästen im Schloss Bellevue.
Das in Königsfragen meist gut unterrichtete Fachmagazin »Bild« wusste bereits zu berichten, dass Charles »genaue Vorstellungen zu seiner Unterkunft« im Hotel Adlon habe (»wohl die Royal Suite«) und er »bestimmt im Kingsize-Bett« schlafe. Beides erscheint in diesem Falle standesgemäß. Ob ihm zum Essen auch »Königsberger Klopse« und »König Pilsener« serviert werden, konnte offenkundig noch nicht in Erfahrung gebracht werden. Kaiserwetter war leider nicht angekündigt. Hoffentlich verzichtet die Berliner Bevölkerung wenigstens am heutigen Tag auf Majestätsbeleidigungen.
Watching the Royals: Hier können Sie Charles und Camilla live sehen
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»Guardian« arbeitet Sklaverei-Verbindungen von Gründern auf: Die britische Zeitung plant eine Textserie – und es sollen Millionen gezahlt werden.
Anhörung zum Fall aus Podcast »Serial« muss wiederholt werden: Der berühmte Fall des US-Amerikaners Adnan Syed dreht eine weitere Runde durch das US-Justizsystem. Ein Berufungsgericht nahm die Aufhebung seiner Verurteilung zurück.
»Tatort«-Schauspieler Robert Gallinowski ist tot: Er starb überraschend im Alter von 53 Jahren.
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»Hinsetzen, nicht mehr aufstehen – das ist keine Option«: Bei der Leichtathletik-WM der Senioren hat Klemens Wittig bereits zwei Titel gewonnen. Hier erzählt der 85-Jährige von einem nervigen Fersensporn, dem Konkurrenzkampf und einem Traum, den er sich noch erfüllen möchte.
Liebe Gestresste, dieser Text ist für Sie: Keine Zeit zu lesen? Diesen Text sollten Sie sich trotzdem gönnen – denn schon diese wenigen einfachen Methoden können Ihnen helfen, sich gegen Stress im Job zu schützen.
Welche Botschaften Carl Spitzweg in seinem »Armen Poeten« versteckte: Der Ofen kalt, das Wasser tropft durchs Dach, der Dichter bleibt im Bett: Dieses Gemälde ist die wohl bekannteste Darstellung von Armut in der deutschen Kunst. Was gibt es auf Spitzwegs Werk zu entdecken?
Was tun bei unruhigen Beinen? Die Beine kribbeln oder spannen, teilweise zucken sie unkontrolliert: Wer unter »Restless Legs« leidet, kann häufig kaum schlafen oder ruhig auf dem Sofa sitzen. Wann Betroffene zum Arzt sollten.
Einen heiteren Mittwoch wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen, Autor im SPIEGEL-Hauptstadtbüro