

Die Lage am Morgen Von privaten Mails und digitalen Abstimmungen

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute befassen wir uns mit dem privaten Mailaccount von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, den privaten IT-Problemen von CDU-Delegierten und der Frage, wie viele Impfverweigerer es wirklich in der Pflege gibt.
»Ich schicke es direkt Min auf seine private email«
Eine Mehrheit im US-Kongress hat das zweite Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump eingeleitet. Da lohnt es sich, einen Blick zurück auf einen der wichtigsten Faktoren für den Wahlsieg von Donald Trump 2016 zu werfen: das »E-Mail-Gate« von Hillary Clinton, die als Außenministerin ihren privaten E-Mail-Account für Dienstgeschäfte genutzt hatte und damit kurz vor der Wahl das FBI auf den Plan gerufen hatte. »But her e-mails!« wurde zum geflügelten Wort in der amerikanischen Politik, der Code dafür, dass kleine Vergehen oft schärfer sanktioniert werden als große, wie die unrühmliche Amtszeit von Donald Trump verdeutlicht.
Heute geht es auch in Deutschland um private Mails eines Regierungsmitglieds: Wie meine Kollegen Gerald Traufetter und Sven Becker berichten, hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sich offenbar von engsten Vertrauten den Vertragsentwurf mit den Betreibern der Pkw-Maut auf seine GMX-Mailadresse schicken lassen – »ich schicke es direkt Min auf seine private email«, soll sein Staatssekretär Gerhard Schulz damals gesimst haben, wie meine Kollegen Sven Becker und Gerald Traufetter recherchiert haben.
Hat Scheuer die wichtigsten Details des Mautprojekts, das zum 500-Millionen-Euro-Haftungsdesaster wurde, abseits des offiziellen Dienstwegs kommuniziert? Das wäre mehr als eine Lappalie und dürfte die Abgeordneten im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags sehr interessieren, die heute wieder tagen.
Bevor sie in zwei Wochen Scheuer befragen dürfen, wird heute dessen besagter Staatssekretär Schulz kommen. Außerdem wird Scheuers Vorgänger Alexander Dobrindt aussagen. Ob der wohl auch einen GMX-Account hat?
Alles elektrisch bei der CDU
Heute Abend treffen sich die Spitzengremien der CDU, um den Parteitag einzuläuten. Sie treffen sich natürlich wegen der Pandemie nur virtuell, und auch in der Berliner Messehalle werden ab Freitag nicht 1001 Delegierte sitzen, sondern nur die Parteiführung, die drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz und einige einsame Kameraleute. Ein Parteitag ohne abendliches Gedränge mit JournalistInnen an der Bar – was Rainer Brüderle dazu wohl sagen würde? Und wissen die Jüngeren hier überhaupt noch, wer das ist?
Was Corona nicht nur atmosphärisch, sondern auch für die Machtfrage in der CDU bedeutet, hat mein Kollege Christoph Hickmann aufgeschrieben. Hier eine Kostprobe: »Dieser Parteitag wird ein politisches Geisterspiel. Die Bewerber um den Parteivorsitz (...) werden ihre Reden in eine Kamera halten, je 15 Minuten haben sie dafür, mehr wäre auch eine Zumutung, schließlich ist da hinter der Kamera nichts als Leere. Sie werden keine Reaktion bekommen, keinen Applaus, und die Stille im Saal wird ihnen nicht wie sonst anzeigen, dass ihre Pointen nicht zünden, der Funke nicht überspringt.«
Ein viel profaneres Problem haben die teils betagten Delegierten: Schaffen sie es alle rein technisch, den Livestream zu verfolgen? Wortmeldungen abzugeben? Ihre Stimmen korrekt einzureichen? Eine Generalprobe gab es zwar, aber Generalsekretär Paul Ziemiak soll in der Fraktionssitzung am Dienstag berichtet haben, dass die CDU-Zentrale zuletzt eine Flut von Mails mit der Bitte um technische Hilfe erhalten hätte – angefangen mit Fragen wie: »Was ist denn ein Browser?«
Eine steht am Samstag nicht mehr zur Wahl: Annegret Kramp-Karrenbauer, die glücklose Noch-Parteichefin und Bundesverteidigungsministerin. Unklar ist, ob sie überhaupt in der Politik bleiben wird. Diese Woche erschien ein großes Porträt über sie in der »Süddeutschen Zeitung« und ein großes Interview in der »Frankfurter Allgemeinen«, beide gespickt mit Andeutungen der CDU-Chefin, dass sie ja noch ein erfülltes Privatleben jenseits der Politik habe. Wenn Sie mich fragen: Hier wurde die Basis für einen Abschied gelegt.
Corona als politisches Lebenselixier
Seit dem Impfstart vor zwei Wochen wird viel über die angeblich geringe Impfbereitschaft unter Pflegekräften diskutiert – Bayerns Ministerpräsident ging so weit, eine Impfpflicht für diese Gruppe ins Spiel zu bringen. Doch wie ein Team um meine Kollegin Milena Hassenkamp recherchiert hat, ist die Verweigerung alles andere als bewiesen. Ob Diakonie, Caritas oder die großen Heimbetreiber in Bayern, niemand kann diese Aussage bestätigen. Nicht einmal Söders Staatskanzlei, die auf die Frage nach konkreten Belegen für die Aussage des Ministerpräsidenten erklärte, eine »Dokumentation und Erfassung einer ablehnenden Haltung einzelner Personen gegenüber Covid-19-Schutzimpfungen findet nicht statt.« Mit anderen Worten: stimmt vielleicht gar nicht. Diese wichtige Recherche können Sie heute im Laufe des Tages auf SPIEGEL.de lesen.
Es würde mich auch wundern, wenn Leute, die die Pflege alter und gebrechlicher Menschen zu ihrem Beruf gemacht haben, wirklich in so großer Zahl bereit sein sollten, das Leben ihrer Schützlinge durch Impfverweigerung aufs Spiel zu setzen. Wenn ja, könnte eine Impfpflicht eine gute Idee sein. Wenn nein, hätte Söder ohne Not eine ganze Berufsgruppe diffamiert. In jedem Fall war er mit seinem Vorstoß auf allen Kanälen präsent. So funktioniert Politik.
Apropos Schützlinge: Heute entscheidet die Landesregierung in Baden-Württemberg, ob die Kitas und Grundschulen im Ländle wieder geöffnet werden sollen. Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) ist dafür. Mit dem Ruf nach Öffnung der Schulen hatte sie schon im Dezember Schlagzeilen gemacht. Eisenmann, nicht alle geneigten Leserinnen und Leser der Lage werden dies auf dem Schirm haben, ist Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl im März. Noch Fragen?
Verlierer des Tages...
...ist Robert Habeck. Heute erscheint das neue Buch des Grünenchefs, dessen Titel hier verschwiegen sei, um keine unnötige Schleichwerbung zu betreiben.
Nur so viel sei aus der Schwärmerei des Verlagstextes über Habecks Werk verraten: »Selbstkritisch tastet er sich an die blinden Flecken der Politik der letzten Jahrzehnte und ihre Widersprüche heran.« Tatsächlich findet die Veröffentlichung ein bisschen im toten Winkel statt: keine offizielle Buchvorstellung, keine Belegexemplare (jedenfalls nicht an unsere Grünenexpertin), nur ein einsamer Instagram-Post von Habeck, dass sein Buch nun fertig sei. Was ist da los?
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Trump distanziert sich erneut von Gewalt – das Impeachment erwähnt er nicht: Donald Trump ist nach dem vom Repräsentantenhaus eingeleiteten Impeachment nicht auf die Vorwürfe gegen ihn eingegangen. Stattdessen versuchte er erneut, sich von seinen gewalttätigen Anhängern zu distanzieren
»Wir haben kein Problem mit der Menge«: Bei Sandra Maischberger steht Gesundheitsminister Jens Spahn nicht nur Rede und Antwort, sondern auch unter Beschuss – vor allem beim Thema Corona-Impfungen. Hätte die Anfangsknappheit verhindert werden können?
Bayerns Pokalniederlage in Kiel: Trikots im Retrochic, Torentscheidungen wie vor der Einführung des Videoschiedsrichters – die sensationelle Pokalniederlage bei Holstein Kiel fuhr der FC Bayern im Stil der frühen Neunzigerjahre ein
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Melanie Amann