Die Lage am Mittwoch Liebe Leserin, lieber Leser,

wie wichtig ist Ostdeutschland für die Politik? Nicht so wichtig, diesen Eindruck konnte man haben, als das neue Kabinett gebildet wurde. Die Union ernannte nicht einen Minister von dort, die SPD fand immerhin eine Frau, Franziska Giffey, geboren in Frankfurt/Oder, die sie zur Familienministerin machte.
Heute trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder in Bad Schmiedeberg. Sie sollte das sehr ernst nehmen, aus vielen Gründen. Einer ist die Wahl in Sachsen im Sommer 2019. Ich sprach kürzlich mit einem Spitzenpolitiker der CSU über diesen Termin, den er so ernst nimmt wie die Landtagswahl in Bayern in diesem Herbst. Sein Szenario sah so aus: In Sachsen, der Hochburg der AfD, wird sie die mit Abstand stärkste Partei. CDU, SPD und Linke müssten dann eine gemeinsame Regierung bilden, die nicht funktionieren kann, was die AfD noch stärker macht. Ein Horror für diesen Politiker.
Die Antwort auf die Frage im ersten Satz: Ostdeutschland sollte sehr, sehr wichtig sein für die deutsche Politik.
Glückwunsch, Israel

Israel beginnt heute mit den Feiern zum 70. Gründungstag. Deshalb gibt es von mir kein Wort über Probleme, sondern nur Anerkennung. Hier sind die wunderbaren Seiten dieses Landes: Es wurde zur Heimat und zum sicheren Hafen für Opfer des Holocausts. Es ist, bei allen Mängeln, eine funktionierende Demokratie. Es hat zu großen Teilen eine liebenswürdige, humorvolle, leidenschaftliche Bevölkerung. Es trotzt einer scheinbar übermächtigen, im Prinzip feindlichen Umgebung. Es hat eine großartige Literatur hervorgebracht, Amoz Oz, David Grossman, Zeruya Shalev. Es schlägt sich hervorragend im Wettlauf um die besten digitalen Entwicklungen. Glückwunsch, Israel!
Alter Urin

Was es über das Kuba der Castros zu sagen gibt, hat Hans Magnus Enzensberger schon 1978 in seiner Komödie "Der Untergang der Titanic" gesagt. Hier ist ein Auszug:
"In den Eingeweiden der Hauptstadt rottete nämlich
das alte Elend ruhig weiter fort, nach altem Urin
und nach alter Knechtschaft roch es, das Wasser
im Hahn versiegte schon am frühen Nachmittag,
die Gasflamme erlosch auf dem Herd, die Wände
krümelten, frische Milch gab es nicht, 'das Volk'
stand abends geduldig Schlange um eine Pizza,
während im Hotel Nacional, Terrasse zum Meer,
wo früher die Gangster speisten, die Senatoren,
mit blaugefiederten Striptease-Tänzerinnen
auf ihren feisten Knien, schacherten um ihr Bakschisch."
Heute beginnt das kubanische Parlament ein Wahlverfahren, das die Dynastie der Castros beenden wird. Fidel ist tot, sein Bruder Raúl geht, immerhin, in den Autokraten-Ruhestand. Nicht dass es unbedingt besser wird. Miguel Díaz-Canel soll der Nachfolger als Staatschef werden, auch so ein kubanischer Kommunist. Ein schönes Update zu Enzensbergers Text steht im SPIEGEL in dieser Woche.
Gewinnerin des Tages...
... ist Vera Egenberger, die gestern vom Europäischen Gerichtshof recht bekam. Sie hatte sich auf eine Stelle der Diakonie beworben, war aber konfessionslos und wurde abgelehnt. Die Kirchen, sagt nun der Gerichtshof, dürfen bei bestimmten Jobs konfessionslose Kandidaten nicht diskriminieren. Das ist eine gute Nachricht.
Es gibt einen anderen Aspekt, der mich auf diesem Gebiet interessiert. Vor wenigen Wochen hat mir die Gleichstellungsbeauftragte einer norddeutschen Kommune von sogenannten AGG-Hoppern berichtet. Ich kannte diesen Begriff bislang nicht. Das AGG ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Diskriminierungen verhindern soll. Es gibt nun wohl Leute, die bewerben sich auf Stellen, die sie wahrscheinlich nicht bekommen, vor allem Männer, die damit rechnen, dass eine Frau eingestellt wird. Sie bewerben sich, um abgelehnt zu werden und eine Entschädigung einfordern zu können. Das machen sie wiederholt, als Job sozusagen.
Interessant, was für Sozialfiguren durch Gesetze hervorgebracht werden können.
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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch,
Ihr Dirk Kurbjuweit